Wolfgang Reitzle Die Reitzfigur

Am Ziel angelangt.
München Es dauert, bis die Anspannung von Wolfgang Reitzle abfällt. Natürlich wird er beim Abschied von der traditionsreichen Linde AG noch einmal persönlich kritisiert. Der langjährige Linde-Vorstandschef Hans Meinhardt drehe sich womöglich im Grabe um, wenn er sehe, wie die Fusion mit Praxair durchgedrückt worden sei, sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz auf der außerordentlichen Hauptversammlung. Meinhardt hatte den Automann Reitzle einst zu Linde geholt.
Unruhig sitzt Reitzle bei dieser Hauptversammlung anfangs auf dem Podium. Der Aufsichtsratschef stützt das Kinn auf die Faust, blickt in den Saal, lehnt sich zurück, verschränkt die Arme vor der Brust, beugt sich vor und stützt sich wieder auf die Faust.
Solche Hauptversammlungen sind ja ohnehin nichts für ungeduldige Menschen. Aber es scheint, als könne Reitzle gar nicht mehr abwarten, bis mit dem hier zu beschließenden Squeeze-out der verbliebenen Kleinaktionäre auch der letzte Vorhang für das 1879 gegründete Münchener Unternehmen fällt.
Zweieinhalb Jahre hat er für die Fusion seiner Linde AG mit dem US-Konkurrenten Praxair gekämpft, der – welche Ironie – die US-Sparte von Linde war, bis der Konzern im Ersten Weltkrieg dort enteignet wurde.
Reitzle hat seine persönliche Reputation riskiert und das Projekt gegen alle Widerstände durchgepeitscht. Ein erster Anlauf platzte, der Finanzvorstand Georg Denoke wurde gefeuert, Vorstandschef Wolfgang Büchele verließ in den Irrungen und Wirrungen das Unternehmen. Reitzle wolle sich nur die Taschen vollmachen, schimpften Gewerkschafter und nannten die Fusion mit Praxair den „größten Skandal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte“.
Reitzle soll 1,5 Millionen Euro verdienen – mehr als bisher
Reitzle und das Geld, das ist ein ewiges Thema. Der Ex-BMW-Mann mit dem Menjou-Bärtchen, der mit der TV-Moderatorin Nina Ruge verheiratet ist, hatte einst ein Buch über Luxus geschrieben und führte die Premium-Gruppe von Ford. Als Chairman der neuen Linde plc dürfte nach Informationen des Handelsblatts aus Industriekreisen Reitzles Vergütung bei knapp 1,5 Millionen Euro liegen, mehr als bei der Linde AG.
Für einen Chairman, der mehr Verantwortung trägt als ein deutscher Aufsichtsratsvorsitzender, ist das in etwa üblich. Beim Zementhersteller LafargeHolcim hatte Reitzle ähnlich viel verdient.
Von Doppelbelastungen zu sprechen ist bei Reitzle ein wenig untertrieben. Er führt auch die Aufsichtsräte bei Continental, Medical Park und Bogner und kontrolliert bei Springer mit. Reitzle mache sich mit seinen vielen gut dotierten Posten schon angreifbar, meint ein Unternehmer, der persönlich gut mit ihm kann. Geld sei für ihn immer wichtig gewesen – „nicht um es zu besitzen“, aber als Zeichen der Anerkennung.
Womöglich, sinniert der Unternehmer, wäre es besser gewesen, wenn Reitzle die Fusion eingefädelt, sich dann aber zurückgezogen hätte. Doch Reitzle habe den Ehrgeiz, nun zumindest in den nächsten zwei, drei Jahren auch noch die schwierige Integrationsphase mitzulenken, heißt es in seinem Umfeld.
Die Fusion habe er nicht aus Eigeninteresse betrieben. Er sei überzeugt, dass der neue Linde-Konzern als Weltmarktführer in dem Abschwung, der in den nächsten Jahren zu erwarten ist, besser bestehen könne als alleine. Und sich auf sein Weingut in der Toskana zurückzuziehen und den edlen Rotwein seiner eigenen Marke „Loto“ zu genießen ist für Reitzle auch mit 69 Jahren noch unvorstellbar. Das würde er keine zwei Tage aushalten, hat er selbst einmal gesagt.
Doch bei Linde ist ja fürs Erste alles in seinem Sinne ausgegangen. Die Börse honoriert das Fusionsprojekt eindeutig. Und so entspannt er bei der Hauptversammlung sichtlich, als ein Redner lobt, wenn man die US-Aktivitäten der beiden Dax-Konzerne ansehe, sei „Linde das bessere Bayer“.
Der Aktienkurs sei seit der Rückkehr Reitzles von 120 auf fast 200 Euro gestiegen. „Das ist auch das Denkmal, das sie sich gesetzt haben.“ Die neue Linde sei ja immerhin viertstärkster Wert im Dax. Da greift Reitzle gegen die Usancen bei Aktionärstreffen spontan zum Mikrofon und wirft gut gelaunt ein, dass Linde die Nummer drei sei.
Die Anspannung vom Anfang ist da längst weg.
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