Zinsanstieg Thyssen-Krupp, VW, Siemens: Die Pensionsrückstellungen sinken – das stärkt das Eigenkapital

Unternehmen aus der Montanindustrie haben traditionell hohe Pensionsverpflichtungen aus der Vergangenheit, die sie nur schrittweise abbauen können.
Düsseldorf Als Thyssen-Krupp-Finanzchef Klaus Keysberg in der vergangenen Woche die Zahlen für das abgelaufene Quartal vorlegte, stach eine Position besonders heraus: Obwohl der Industriekonzern einen Periodenverlust von 187 Millionen Euro ausweisen musste, stieg das Eigenkapital sprunghaft an – und zwar um rund eine halbe Milliarde Euro.
Der Grund: Dank gestiegener Zinsen konnte Thyssen-Krupp seine Pensionsrückstellungen reduzieren. Der Verlust aus dem Geschäft mit Stahl und Anlagen wurde damit rein bilanziell sogar überkompensiert.
So wie Thyssen-Krupp geht es derzeit vielen Unternehmen, die ihre Pensionsrückstellungen im ersten Quartal wegen der steigenden Diskontierungszinssätze drastisch abbauen konnten. Ob Volkswagen, Eon oder Daimler: Fast alle Dax-Konzerne konnten zwischen Januar und März hohe sogenannte „versicherungsmathematische Gewinne“ verbuchen.
Die lassen sich zwar nicht als tatsächlicher Gewinn ausweisen, haben aber dennoch einen wesentlichen Einfluss beispielsweise auf die Verschuldung – und damit mittelbar auch auf die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen.
Bei VW sanken die Pensionsrückstellungen dabei in absoluten Zahlen am stärksten: Statt rund 45 Milliarden Euro per Ende Dezember muss der Autobauer für seine Betriebsrentner nun nur noch rund 41 Milliarden Euro zurückstellen. Relativ betrachtet wurde Siemens am stärksten entlastet. Hier sanken die Rückstellungen für Pensionen um fast die Hälfte von rund 6,4 auf 3,3 Milliarden Euro.
Über Jahre klagten die Unternehmen über stetig steigende Pensionsrückstellungen, die das Eigenkapital aufzehrten – nun kehrt sich die Entwicklung wieder um. Laut Michael Hoppstädter, Geschäftsführer des Pensionsberaters Longial, wiederholt sich damit ein Trend, der ansatzweise schon im vergangenen Jahr zu beobachten war: „Wir haben bereits zu Beginn der pandemiebedingten Krise gesehen, dass die Zinsen kurzfristig sprunghaft angestiegen sind. Das hat bei den Unternehmen zu geringeren Pensionsrückstellungen geführt.“
Damals sei die Entwicklung aber nicht nachhaltig gewesen und habe sich bis zum Ende des Jahres wieder umgekehrt. „Nun sehen wir eine ähnliche Entwicklung. Ob sie diesmal anhalten wird, lässt sich im Moment nicht seriös abschätzen.“
Anleihezinssätze und Alter der Belegschaft sind entscheidend
Für die Ermittlung des sogenannten Diskontierungszinssatzes im Rahmen der Bilanzierung nach dem internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS, den die Unternehmen zur Abschätzung ihrer Pensionszahlungen heranziehen, sind verschiedene Faktoren relevant. Maßgeblich ist dabei in erster Linie die Entwicklung langfristiger Unternehmensanleihen mit einem exzellenten Rating, also „AA“ oder besser.
Dabei kommt es vor allem darauf an, welche Anleihen welcher Unternehmen berücksichtigt werden. Die pensionspflichtigen Unternehmen und deren Dienstleister, die die Berechnung häufig übernehmen, haben also hier einen gewissen Spielraum bei der Bewertung ihrer Pensionsverpflichtungen.
Andererseits spielt auch das Alter der Versorgungsberechtigten, also der derzeitigen und zukünftigen Pensionäre, eine wichtige Rolle: Bestehen die Verpflichtungen zumeist gegenüber sehr jungen Mitarbeitern , muss der Diskontierungszinssatz höher sein, als wenn nur ehemalige Mitarbeiter im Rentenalter zu den Pensionären zählen. Ob die Einschätzung der Unternehmen realistisch ist, muss der Rechnungsprüfer beurteilen – also Firmen wie PwC oder KPMG.
Im Beispiel von Thyssen-Krupp stieg der zugrunde liegende Diskontierungszinssatz nach Angaben des Unternehmens von 0,5 auf 0,9 Prozent – je nach Höhe können also selbst relativ kleine Zinsschritte zu einer immensen Entlastung führen, die sich dann direkt in verbesserten Kennzahlen wie dem Eigenkapital oder der Verschuldungsquote niederschlägt.
So freute sich etwa Eon-Finanzchef Marc Spieker bei der Vorlage der Quartalszahlen in der vergangenen Woche, dass der Konzern sein Verschuldungsziel bereits in diesem Jahr und damit früher als geplant erreichen werde – „vor dem Hintergrund unserer starken Performance im ersten Quartal und unter der Annahme, dass das Zinsniveau unverändert bleibt“.

Der Finanzchef erklärte bei der Vorlage der Quartalszahlen, dass der Konzern sein Verschuldungsziel bei stabilen Zinsen womöglich früher als erwartet erreichen könnte.
Auch Longial-Geschäftsführer Hoppstädter betont die Vorteile sinkender Pensionsrückstellungen für die Bilanz – auch wenn sich die Finanzsituation dadurch nicht zahlungswirksam verändert. „Für die Unternehmen bedeuten die sinkenden Rückstellungen zwar keinen ergebniswirksamen Ertrag“, so der Manager, dessen Unternehmen verschiedene Firmen bei der Bewertung ihrer Pensionen berät.
„Dennoch verbessern sich dadurch wesentliche Bilanzkennzahlen wie das Eigenkapital und die Verschuldung.“ Das könne zu besseren Finanzierungsbedingungen und Aktienkursen führen – „wenn die Zinssteigerung tatsächlich nachhaltig ist“.
Zudem gehe der erneute Zinsanstieg im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres, als die plötzliche Wirtschaftskrise infolge der Pandemie die Refinanzierungskosten für die Unternehmen sprunghaft ansteigen ließ, dieses Mal langsamer vonstatten, sagt André Geilenkothen, Partner bei der Beratungsfirma Aon. Das Unternehmen zählt auch Thyssen-Krupp und viele Dax-Konzerne zu seinen Kunden. „Allerdings ist auch viel Unsicherheit im Markt – und es gibt derzeit anders als in den USA keine Anzeichen, dass die Europäische Zentralbank den Pfad der expansiven Geldpolitik in nächster Zeit verlassen wird.“
Unterschied zwischen Großkonzernen und Mittelständlern
Von den neuerlichen Zinsanstiegen sind übrigens vor allem Großkonzerne betroffen, die ihre Bilanz nach dem internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS erstellen. Zahlreiche deutsche Mittelständler hingegen bilanzieren noch nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) – hier unterscheidet sich die Bewertung der Pensionsverpflichtungen deutlich, weshalb der Effekt sich nur sehr verzögert bemerkbar macht.
So werden für die Bewertung der Pensionsrückstellungen nach HGB nicht Unternehmensanleihen als Grundlage zur Berechnung des Diskontierungszinssatzes herangezogen, sondern der Durchschnittszinssatz für Unternehmensanleihen der vergangenen zehn Jahre, wie er regelmäßig von der Bundesbank veröffentlicht wird. „Dort werden in den nächsten Jahren einige zinsstarke Monate aus der Berechnung herausfallen“, stellt Aon-Experte Geilenkothen in Aussicht. „Deshalb ist davon auszugehen, dass die HGB-Pensionsrückstellungen hier in den nächsten Jahren deutlich ansteigen werden.“
Nach Schätzungen der Deutschen Aktuarvereinigung dürfte diese Entwicklung die deutschen Unternehmen, die nach HGB bilanzieren, zwischen 2020 und 2022 mit 80 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Der Verband fordert daher, den Rechnungszins bis Ende 2022 einzufrieren und das System „grundlegend“ zu überarbeiten.
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ob das wohl nur der Zinssatz-Effekt ist ? Möglicherweise wurden auch Pensionsverpflichtungen ausgegliedert, dann aber mit geringen Eigenkapital-Effekt. Nach HGB werden die Zinssätze bis ca. 2030 weiter gegen Null sinken und viele Mittelständler hart treffen. Da das Einkommensteuergesetz für die Ewigkeit an seinen 6 % Diskont festhält, ist der Zinsaufwand steuerlich nur teilweise absetzbar. Der Killer der Betrieblichen Altersversorgung.