Herbert Diess im Gespräch VW-Chef: „Das Thema Software ist die große Herausforderung“

Der Volkswagen-Konzernchef bezeichnet die Digitalisierung und die damit verbundene Umstellung auf ein modernes Software-Unternehmen im Handelsblatt-Gespräch als die größte Herausforderung.
Düsseldorf Es war eines der Highlights der Handelsblatt Innovation Week: Der Auftritt von VW-Chef Herbert Diess im Livestream des Podcasts Handelsblatt „Disrupt“. Kurz nach Bekanntgabe der Zahlen für das erste Quartal 2021 diskutierte Diess mit Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes über die Transformation des Konzerns, eine mögliche Herausforderung durch das Apple Car, seine Sichtweise auf Tesla, das Ende der Ära von Betriebsratschef Bernd Osterloh und Probleme bei der Besetzung von Vorstandsposten.
Die Autobranche steht vor einem Umbruch, wie sie ihn in den zurückliegenden 100 Jahren noch nicht erlebt hat. Davon ist zumindest Volkswagen-Vorstandschef Herbert Diess überzeugt. „Die Transformation in der Automobilindustrie in den nächsten zehn bis 15 Jahren wird unvergleichlich sein mit der bisherigen Entwicklung“, sagte er.
Der Wechsel zur Elektromobilität ist für den VW-Chef dabei das weniger bedeutende Thema. „Das ist für uns händelbar. Das ist eine Technik, die wir beherrschen“, erläuterte Diess. Eine neue Antriebstechnik sei keine besondere Herausforderung, der Fahrzeugbau werde sich dadurch nicht wesentlich verändern. „Da sind wir mittendrin.“
Mit viel mehr Fragezeichen ist für Diess eher die Digitalisierung verbunden, die zweite grundlegende Veränderung für die Autobranche. „Das Thema Software ist für die Automobilindustrie in Summe die größere Herausforderung“, so der Volkswagen-Chef. Wenn sich die Autos der Zukunft immer stärker zu einem permanent vernetzten „mobilen Device“ entwickelten, kämen auf die Autohersteller viel grundlegendere Veränderungen bei den eigenen Prozessen zu.
Heute beziehen die Autohersteller die Software für ihre Fahrzeuge zum überwiegenden Teil von Zulieferern. Volkswagen beispielsweise kommt aktuell auf einen Eigenanteil in der Softwareentwicklung von etwa zehn Prozent. „Das wird in Zukunft so nicht mehr gehen“, betonte Diess. Schon in den nächsten vier Jahren soll der Softwareeigenanteil deshalb auf etwa 60 Prozent ansteigen.
Einheitliches Betriebssystem für Audi, Porsche und VW
Eine Schlüsselrolle bei diesem Wandel zu einem modernen Softwarekonzern spielt die IT-Tochter Cariad. Für die neu gegründete Firma hat VW Software- und Computerspezialisten von Audi, Porsche und der Pkw-Marke Volkswagen in Ingolstadt zusammengezogen. Dort arbeiten aktuell etwa 4000 Menschen und entwickeln eine zentrale, einheitliche Software für alle Fahrzeuge aus der gesamten Volkswagen-Gruppe. Bis 2025 soll die Zahl der Mitarbeiter in dieser Einheit auf rund 10.000 anwachsen. Jährlich investiert der Konzern rund 2,5 Milliarden Euro in die neue Tochter.
„Cariad legt das Herz-Kreislauf-System der neuen Autos fest“, erläuterte Herbert Diess. Fachleute sprechen von einem „Software-Stack“. Mit diesem einheitlichen Betriebssystem („VW.OS“) sollen voraussichtlich von 2025 an alle neuen Modelle aus dem Konzern ausgestattet werden.
An dieses einheitliche Betriebssystem können dann verschiedene IT-Anwendungen wie das Infotainmentsystem, die Navigation und das autonome Fahren angebunden werden. VW-Chef Diess kalkuliert damit, dass in Zukunft 70 bis 80 Prozent der Unterschiede einzelner Autos allein aus der Software kommen.

VW-typische Ansprüche.
Eine ganze zentrale Rolle spielt aus Sicht des Volkswagen-Vorstandschefs dabei das autonome Fahren, das als neues Komfortelement von den 2030er-Jahren an aus keinem Auto mehr wegzudenken sei. Jedes Fahrzeug werde zur „Zeitmaschine“, weil der Fahrer den Wagen nicht mehr selbst steuern müsse, sondern Zeit für andere Dinge gewinne.
Trotz vieler aktueller Zweifel: Herbert Diess glaubt fest daran, dass sich das autonome Fahren durchsetzen wird. Wichtig seien dafür die Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz. „Damit verzehnfachen sich die Rechenleistungen alle zwei Jahre“, sagte er. Dadurch stehe auf absehbare Zeit die nötige Rechenkapazität bereit, um die großen Datenmengen aus Bilderkennung und -verarbeitung nutzen zu können. Bilderkennung, die das menschliche Auge ersetzt, macht autonomes Fahren überhaupt erst möglich.
Auch wenn Volkswagen bislang nicht durch besonderes Software-Know-how aufgefallen ist: Der Konzernchef glaubt, dass der Wolfsburger Autohersteller die bevorstehenden Veränderungen bewältigen wird. „Niemand zweifelt daran, dass das der richtige Weg ist. Ich bin mir sicher, dass uns das gelingt“, betonte er. Dazu gehöre auch die Eigenentwicklung von Computerchips. „Wir brauchen spezifische Chips für das Auto.“
Apple und Baidu werden neue Konkurrenten
Software im Fahrzeug soll in den nächsten zehn Jahren zum wichtigsten Ertragsbringer werden. „Die Umsätze mit der persönlichen Mobilität werden sich wahrscheinlich verdoppeln“, so Diess weiter. Neue Dienste wie das autonome Fahren würden in Zukunft ganz wesentlich dazu beitragen, dass der Markt für individuelle Mobilität so stark wachsen könne.
Das erkläre auch, warum einem IT-Konzern wie Apple immer wieder nachgesagt werde, dass der Einstieg in das Autogeschäft wahrscheinlich nicht mehr lange auf sich warten lasse. Ein Unternehmen wie Apple mit seiner großen Softwarekompetenz antizipiere die Möglichkeiten, die sich in den kommenden Jahren in der Mobilität durch den stark zunehmenden IT-Einsatz ergäben. „Da öffnet sich ein Fenster für Apple“, sagte Diess.
Apple sei nicht der einzige mögliche neue Konkurrent für Volkswagen. Der chinesische Internetkonzern Baidu unternehme ebenfalls große Anstrengungen, in das Autogeschäft einzusteigen. Tesla sei nicht nur der bekannte Hersteller von Elektroautos, sondern habe schon Standards beim Softwareeinsatz gesetzt. Auch an der Börse ist das US-Unternehmen Vorbild: „Tesla ist nicht überbewertet, Volkswagen ist unterbewertet“, so Diess.
Volkswagen müsse sich aber nicht verstecken, weil der Konzern die nicht immer einfache Technik des Autobauens durch und durch beherrsche. Die seit Jahren anhaltenden Diskussionen um einen möglichen Einstieg von Apple machten mehr als deutlich, „dass es nicht so einfach ist, in diese Industrie hineinzukommen“.
Tesla ist der Maßstab für Effizienz
Vor dem neuen Tesla-Werk in Grünheide bei Berlin hat Diess keine Angst. „Tesla in Brandenburg ist für uns ein Glücksfall“, führte er aus. Das VW-Stammwerk in Wolfsburg bekomme nicht allzu weit entfernt einen neuen Wettbewerber, an dem es sich selbst messen könne. Mit dem „Trinity“-Projekt für hochmoderne Elektroautos, die von 2026 an in Wolfsburg von den Bändern laufen sollen, will VW in Sachen Effizienz und Produktivität mindestens Tesla-Niveau erreichen. Die riesige Fabrik in Wolfsburg sei auf dem richtigen Weg, „ich sehe deutliche Fortschritte“.
Durch den Rückzug des langjährigen Betriebsratschefs Bernd Osterloh wird sich das Verhältnis zur Arbeitnehmervertretung in der Zentrale aus Sicht von Herbert Diess nicht wesentlich verändern. Nachfolgerin Daniela Cavallo könnte allerdings neue Akzente bei Stil und persönlichem Umgang setzen.

Atmosphärisch wird sich das ein oder andere verändern.
Osterlohs neue Aufgabe als Personalvorstand der Lkw-Tochter Traton bezeichnete Diess als „Erfüllung“ für den bisherigen Chef der Arbeitnehmervertretung, weil er sich immer „am Management“ gemessen habe. Osterloh sei „wahrscheinlich der weltweit erfolgreichste Betriebsrat“.
Diess bedauerte es, dass Katrin Suder, frühere Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, nicht zur neuen IT-Vorständin des Autokonzerns berufen wird. „Ich finde es schade“, sagte er. Für die Entscheidung sei allerdings ausschließlich der Aufsichtsrat verantwortlich.
Dass Vorstandsposten in Wolfsburg immer wieder nur mit großen Schwierigkeiten besetzt werden könnten, gehe auf die besondere Eigentümerstruktur zurück. „Das Unternehmen ist sehr komplex“, sagte Diess.
Mehr: Die autonome Bewegung: Diess verordnet VW nach der E-Mobilität schon die nächste Revolution.
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