Bernd Reichart im Interview RTL sichert sich umfangreiches Fußball-Rechtepaket – „Wir wollen flinker und mutiger werden“

Vor etwa einem Jahr übernahm der Manager die Führung der Mediengruppe.
Düsseldorf RTL-Chef Bernd Reichart will mit neuen Sport-Formaten seine Sendergruppe weiter voranbringen: „Wir haben von der Uefa die TV-Rechte an der Europa League und der neuen Europa Conference League für den Zeitraum 2021 bis 2024 erworben“, sagte er dem Handelsblatt in einem Interview.
„Ein starkes Statement in Zeiten, in denen der Bieterwettbewerb um Sportrechte intensiver ist denn je und immer weniger Spiele für die Fans frei empfangbar sind“, saget Reichart. Nun habe sich RTL „freien Zugriff auf 282 Spiele pro Saison gesichert“, die teilweise auch auf seiner Streaming-Plattform TV Now ausgespielt werden könnten.
Dort soll auch besonders investiert werden: „Über die Mediengruppe RTL hinweg investieren wir jährlich rund eine Milliarde Euro in Inhalte, bei unseren Sendern und TV Now.“ Man habe sich „früh dazu entschieden, den Fokus auf eigene, exklusive Inhalte zu legen.
In einigen Jahren werden die Programmbudgets von TV Now-Originals und einem Sender wie Vox ähnlich hoch sein. Hinzu kommen wichtige Investitionen in Technologie“, sagte Reichart. TV Now solle als „Local Hero“ im Kampf der Streaming-Giganten „das vielseitige und abwechslungsreiche deutsche Abo Nummer eins sein“.
Generell wünsche er sich, dass die TV-Gruppe „noch flinker und mutiger“ wird. Reichart sagte zum Handelsblatt: „Wenn man Kreativen das Vertrauen gibt, dass sie auch mal danebenliegen können, steigt die Wahrscheinlichkeit, einen Treffer zu landen. Diese Haltung, mehr Risiken einzugehen, tragen wir ins Unternehmen, nicht nur im Programmbereich.“
Unter anderem sei bei RTL dieses Jahr die Live-Übertragung einer Herz-OP geplant. Und an Ostern will der 46-Jährige „Die Passion“ als Live-Event in eine deutsche Stadt bringen, wo „wir die größte Geschichte aller Zeiten, den Kreuzweg von Jesus, als spektakuläres Musik-Live-Event nachzeichnen werden. Modern und ganz sicher ungewöhnlich inszeniert.“
Lesen hier das vollständige Interview:
Herr Reichart, seit genau einem Jahr führen Sie nun die Mediengruppe RTL Deutschland. Wie fällt Ihre erste Bilanz aus?
Es war beruflich sicher ein sehr aufregendes Jahr – und hat zugleich Riesenspaß gemacht. Als Team haben wir uns neu gefunden und sind durchaus stolz auf das, was wir geschafft haben.
Demnach sind hier in Köln nicht nur die „Vibrations“ gut, sondern auch die Zahlen?
Alle Sender und Plattformen der Mediengruppe RTL haben ein erfolgreiches Jahr hingelegt. ntv ist stabil geblieben, alle anderen sind gewachsen. Das ist vor allem für unseren Hauptsender RTL nicht selbstverständlich. Seit 2011 konnte RTL erstmals wieder Marktanteile gewinnen – und zwar deutlich. Das wirkt sich auch auf die Performance auf dem Werbemarkt aus.
Gleich zu Ihrem Start präsentierten Sie eine neue Führungsmannschaft. Warum musste so viel Personal ausgetauscht werden?
Ich wollte rasch ein neues Team zusammenstellen, die richtige Mischung aus Profis, die schon lange im Haus sind, unser Geschäft in- und auswendig kennen und für Stabilität stehen. Und ausgewiesene Medien-Experten aus dem Markt, die von außen kommen, ganz andere Fragen stellen und neue Impulse geben.
Eine der größten Überraschungen war, dass Sie Stephan Schäfer, Vorstand beim Hamburger Schwesterunternehmen Gruner + Jahr, in einer Doppelrolle auch in Ihre Führung geholt haben. Wo versprechen Sie sich am meisten von dem Verlags-Manager?
Stephan ist ein rastloser Kreativer, der Menschen begeistern kann, ein toller Botschafter für uns bei den Kreativen und Geschäftspartnern im Markt. Gruner + Jahr und die Angebote der Mediengruppe RTL bedienen oftmals die gleichen Themen, ob News, Reisen, Lifestyle oder Food. Wenn wir das gemeinsam orchestrieren, gefällt das im Übrigen auch den Werbekunden, die wir viel lieber überzeugen, indem wir über Inhalte sprechen statt über Rabatte. Die Tatsache, dass Stephan Schäfer in seiner Position die Chefredakteure in Hamburg und die Senderchefs in Köln führt, ist ein starkes Signal für diese neue Zusammenarbeit.
Die Personalie ist Teil der neuen Content Alliance Ihrer übergeordneten Konzernmutter Bertelsmann. Woran lässt sich die Zusammenarbeit schon ganz konkret ablesen?
Ein gutes Bespiel für die neue Art des Denkens und der Zusammenarbeit war die Nachhaltigkeits-Initiative „Packen wir‘s an“, die bei RTL gestartet ist und dann über einen ganzen Monat crossmedial gespielt wurde, über die verschiedenen Bereiche der Bertelsmann Content Alliance hinweg. Millionen Menschen haben wir damit erreicht, bei vielen nachweislich ein Umdenken angeregt. Da haben wir gezeigt, wie einzigartig das Potenzial der Allianz ist, wenn die verschiedenen Einheiten relevante Themen über alle Gattungen hinweg gemeinsam setzen.
War Ihr TV-Konzern zu behäbig geworden in seinem Kölner Silo?
Mein Eindruck ist, dass sich unser Haus jedenfalls sehr neugierig und erwartungsfroh auf die neue Etappe mit unserem Management-Team eingelassen hat. Die Grundwerte von Bertelsmann – Kreativität und Unternehmertum – laden genau dazu ein. Wir wollen gemeinsam nach vorn, unsere Stärken gemeinsam ausspielen, dabei flinker und mutiger werden. Dazu gehört auch, dass wir hier in Köln die Verantwortung für wichtige Zukunftsthemen übernehmen wollten. Ob das Werbetechnologiegeschäft von Smartclip, welches wir jetzt auch europäisch denken und ausbauen. Oder die gemeinsam von der Bertelsmann Content Alliance initiierte Plattform Audio Now, die als wichtiges Engagement von RTL Radio Deutschland schon jetzt die Nummer 1 für Podcasts in unserem Markt ist.

Interview mit dem RTL Deutschland CEO Bernd Reichart in der Zentrale der Mediengruppe RTL in Köln am 20.01.2020. Das Interview führten Catrin Bialek und Thomas Tuma
Wenn derzeit von Fernsehen die Rede ist, geht es vor allem um den globalen Machtkampf von Streamingdiensten wie Netflix, Disney+ oder Amazon Prime. Wer wird da am Ende siegreich sein?
Diejenigen, die ihr Publikum am besten kennen, verstehen und bedienen. Die Vielzahl neuer Angebote folgt der Explosion der Nachfrage und der rasant wachsenden Anzahl videofähiger Screens. Jeder einzelne Screen ist aber auch für uns wie gemacht. Gleichzeitig wird es für Anbieter auf den hinteren Positionen immer ungemütlicher. Das gilt für unseren lokalen Markt, aber auch für den globalen Streaming-Wettlauf. Da hissen selbst Medien-Milliardäre wie Rupert Murdoch die weiße Flagge. Er hat sein Studio 21st Century lieber an Disney verkauft, anstatt die Nummer vier, fünf oder sechs zu sein. Wir werden also sehen, wie viele globale Streaming-Champions es auf Dauer geben wird. In unserem eigenen Markt wollen wir unsere führende Position im Streaming ausbauen.
… mit TV Now. Wie geht’s dem Unternehmen?
Wir haben unsere eigenen Wachstumsziele weit übertroffen. Bei Videoabrufen, Nutzungsdauer und Abozahlen. Wir definieren uns klar als „Local Hero“ im deutschen Markt. Das gilt für das Inhalte-Geschäft, für die Vermarktung sowie für die Technologiekompetenz. Wir haben den Anspruch, besser als andere zu wissen, was Deutschland bewegt, berührt und beschäftigt.
Können Sie uns konkrete Zahlen zu TV Now nennen?
Die RTL Group hat Ende September 1,4 Millionen Abonnenten für TV Now und Videoland, den Streamingservice unserer niederländischen Kollegen, kommuniziert. Das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Nutzungsdauer ist deutlich gestiegen. Mit diesem Rückenwind werden wir unsere Streaming-Investitionen in den kommenden Jahren deutlich erhöhen. In Deutschland sind wir schon heute die lokale Plattform mit den meisten Abonnenten…
… wobei Sie keine gesonderten Zahlen für Deutschland nennen, oder?
Nein, als Einziger macht das aufgrund fehlender Vergleichbarkeit auch keinen Sinn.
Kommt die Streaming-Offensive von RTL nicht ein wenig spät?
Mit TV Now sind wir weiter als jeder andere deutsche Wettbewerber. Und wir nutzen unsere Stärke im TV, das Wachstum im Streaming weiter zu beschleunigen. Für einen reinen Streaming-Dienst ist es nicht einfach, nachhaltige Profitabilität zu erreichen. Das gilt selbst für Netflix. Unser Vorteil ist, dass wir lineares Fernsehen und Streaming kombinieren und bei all unseren Programmmarken einen echten Mehrwert für TV-Now-Nutzer garantieren.
Ein Beispiel bitte!
Die erste schwule Datingshow „Prince Charming“, soeben für den Grimme-Preis nominiert, zeigten wir als Original exklusiv bei TV Now und nun sechs Monate später im Free TV auf Vox. In anderen Fällen gefällt uns der umgekehrte Weg besser. Es gibt viele Modelle. Oder nehmen Sie unser Angebot hoch attraktiver Fußballrechte, bei dem wir jetzt nochmal richtig nachlegen konnten.
Inwiefern?
Wir haben von der Uefa die TV-Rechte an der Europa League und der neuen Europa Conference League für den Zeitraum 2021 bis 2024 erworben. Ein starkes Statement in Zeiten, in denen der Bieterwettbewerb um Sportrechte intensiver ist denn je und immer weniger Spiele für die Fans frei empfangbar sind. Wir haben uns freien Zugriff auf 282 Spiele pro Saison gesichert, auf alle Rechte und entscheiden selbst, welches Spiel wir wo zeigen. Ob – und wie zuletzt sehr erfolgreich – bei RTL und unserem Männersender Nitro oder künftig mit exklusiven Spielen auch bei TV Now.

Interview mit dem RTL Deutschland CEO Bernd Reichart in der Zentrale der Mediengruppe RTL in Köln am 20.01.2020. Das Interview führten Catrin Bialek und Thomas Tuma
Wie sieht es mit den Investitionen für TV Now aus?
Über die Mediengruppe RTL hinweg investieren wir jährlich rund eine Milliarde Euro in Inhalte, bei unseren Sendern und TV Now. Wir haben uns früh dazu entschieden, den Fokus auf eigene, exklusive Inhalte zu legen. In einigen Jahren werden die Programmbudgets von TV-Now-Originals und einem Sender wie Vox ähnlich hoch sein. Hinzu kommen wichtige Investitionen in Technologie. Unser aktuelles Engagement im Sportbereich zeigt, mit wieviel Lust und Entschlossenheit wir voranschreiten.
Bei all den Angeboten – wieviel Streaming-Abos kann man uns Zuschauern am Ende andrehen?
Viele Marktforscher zerbrechen sich über Ihre Frage gerade den Kopf. Sind es zwei, drei oder sogar vier? Ich selbst habe aktuell elf Abos, aber das ist zweifellos jobbedingt. Die Inhalte-Produktion boomt. Allein in den USA werden dieses Jahr rund 600 Serien produziert. Vor einigen Jahren war es ein Drittel. Aber noch wichtiger als die Frage, ob es für all das noch genügend Abonnenten zur Refinanzierung gibt, ist auf lange Sicht die Überlegung: Welche Inhalte definieren die Positionierung des jeweiligen Streaming-Dienstes. Das wird spannend. Wir wollen jedenfalls das vielseitige und abwechslungsreiche deutsche Abo Nummer eins sein.
Viele klassische RTL-Erfolgsformate wie aktuell das „Dschungelcamp“, „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Let’s Dance“ sind in die Jahre gekommen. Wo bleibt das Neue, fragen wir den Mann, der vorher bei Vox immerhin Erfolgsformate wie „Club der roten Bänder“, „Kitchen Impossible“ oder „Die Höhle der Löwen“ gestartet hat?
Mit den genannten Erfolgs-Formaten im Rücken haben unsere Redaktionen den Freiraum, mutig neue Formate auszuprobieren. Wenn man Kreativen das Vertrauen gibt, dass sie auch mal danebenliegen können, steigt die Wahrscheinlichkeit, einen Treffer zu landen. Diese Haltung, mehr Risiken einzugehen, tragen wir ins Unternehmen, nicht nur im Programmbereich.
Welche Innovationen haben Sie am Start?
„Die Passion“ an Ostern ist beispielsweise ein Live-Event in einer deutschen Stadt, in der wir die größte Geschichte aller Zeiten, den Kreuzweg von Jesus, als spektakuläres Musik-Live-Event nachzeichnen werden. Modern und ganz sicher ungewöhnlich inszeniert.
Im Ernst?
Und ob! In Holland ist das seit Jahren ein Riesenspektakel. Das machen wir in diesem Jahr in Deutschland. Ebenso werden wir eine Herz-OP live übertragen. RTL muss der Sender sein, der am meisten überrascht und die meisten solcher, teils spektakulärer Experimente wagt.

Interview mit dem RTL Deutschland CEO Bernd Reichart in der Zentrale der Mediengruppe RTL in Köln am 20.01.2020. Das Interview führten Catrin Bialek und Thomas Tuma
Mit der früheren „Bild“-Chefredakteurin Tanit Koch bei ntv wollen Sie auch den Journalismus in der Gruppe stärken. Was genau ist geplant?
Wir produzieren wochentäglich rund 15 Stunden Live-Information, bei uns arbeiten um die 700 Bewegtbild-Journalisten. Dieses Potenzial wollen wir noch besser ausspielen, indem wir bislang verteilte Kompetenzen in einer gemeinsamen Redaktion bündeln, ausbauen und über alle Plattformen orchestrieren. Das ist neben der Geschäftsführung von ntv die spannende Aufgabe von Tanit Koch und ihrer Mannschaft. Politisch und wirtschaftlich unabhängiger Journalismus wird in zunehmend komplexen Zeiten immer wichtiger. Auch das zählt zu unserem Selbstverständnis als „Local Hero“. Die strategische Bedeutung, journalistische Inhalte in der digitalen Welt sichtbar und erfolgreich zu machen, erkennen Sie daran, dass Jan Wachtel in unserer Geschäftsführung schlüssigerweise beides aus einer Hand verantwortet.
Wie ist unabhängiger Qualitätsjournalismus in Deutschland langfristig finanzierbar?
Wir können und wollen uns Journalismus leisten. Viele Millionen Menschen zu erreichen ist ein Privileg, aber eben auch Verantwortung. Die Geschichten der Menschen in unserem Land wollen wir erzählen. Auch das ist „Local Hero“.
Arbeiten Sie eigentlich mit Facebook und Google zusammen? Sind diese US-Giganten eher Feinde oder Partner?
Wenn wir über Vermarktung sprechen, sind sie vor allem Wettbewerber. Unsere Werbetechnologie-Plattform Smartclip werden wir als unabhängige Alternative zu den US-Tech-Giganten ausbauen und europaweit ausrollen. Der Werbemarkt goutiert dies sehr. Die Werbekunden suchen durchaus Wege jenseits der Technologieabhängigkeit von Google und Facebook. Auch D-Force, unser Joint Venture mit Pro Sieben Sat.1, ist aus diesem Gedanken heraus entstanden und etabliert sich im Markt.
Wie setzen Sie Ihre Prioritäten für 2020, Ihr zweites Jahr, was tritt eher in den Hintergrund?
Die Investitionen in eigene Inhalte und die systematische Verzahnung unseres TV-Senderportfolios mit TV Now haben für uns oberste Priorität. Auch die Ad Alliance als größter deutscher Cross-Media-Vermarkter bekommt unsere volle Aufmerksamkeit. Im Bereich Technologie & Daten haben wir uns deutlich verstärkt und lernen schnell. Alles, was unsere digitale Transformation nicht perspektivisch vorantreibt, werden wir immer wieder hinterfragen.
Und wie sieht Ihre Prognose für das Geschäftsjahr aus – für RTL, aber auch den ganzen Markt?
Wir werden massiv in TV Now investieren. Die RTL Group weiß das und unterstützt die geplanten Investitionen voll. Im Zuschauermarkt wird das Supersportjahr 2020 mit Olympia und Fußball-EM sicherlich fordernd. Im Werbemarkt wollen wir dennoch ein weiteres Jahr Marktanteile hinzugewinnen.

Thomas Tuma (Mitte) und Catrin Bialek im Gespräche mit RTL-Deutschland-CEO Bernd Reichart.
Die Frage ist doch: Wird die nächste Generation, die heute mit Netflix aufwächst, überhaupt noch klassisches lineares Fernsehen gucken wollen?
Die Menschen werden sich für attraktive Inhalte entscheiden und dafür, in welcher Situation sie die nutzen wollen. Heute ist Streaming eher hyper-individualisierte Alltagsstillegung, TV eher Alltagsvergewisserung und weiterhin das Fenster zur gemeinsamen Welt. Das wachsende Bedürfnis der Menschen nach Information und Video-Entertainment immer besser zu bedienen, ist die aufregendste Aufgabe, vor der unsere Branche je gestanden hat.
Herr Reichart, vielen Dank für das Interview.
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