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Big-Data-Projekt in China Eine Mega-Schufa für das Reich der Mitte

Chinas Regierung arbeitet an einem Big-Data-Projekt, das das Land radikal verändern könnte. Es geht nicht nur darum, die Zahlungsfähigkeit von Firmen zu bewerten. Auch ausländische Unternehmen sind betroffen.
17.05.2016 - 14:25 Uhr
Das geplante Bonitätssystem für Unternehmen könnte zur Totalüberwachung aller Bürger genutzt werden, monieren Kritiker des Projekts. Quelle: AFP
In den Straße von Schanghai

Das geplante Bonitätssystem für Unternehmen könnte zur Totalüberwachung aller Bürger genutzt werden, monieren Kritiker des Projekts.

(Foto: AFP)

Peking Die Taxifahrer warten in einer langen Schlange neben ihren Fahrzeugen, vor dem Ausgang des Pekinger Flughafens ist gerade nicht viel los. Zhang Guoru zieht an seiner Zigarette und bläst den Rauch in die Luft. Dann kommen die ersten Reisenden mit ihren Koffern.

Herr Zhang steigt in sein Auto und schaltet das Taxameter ein. Mit einem kurzen Piepen bestätigt das Gerät den Beginn der Fahrt. Schon drückt er auf das Gaspedal und steuert seinen Wagen auf die Schnellstraße in Richtung Innenstadt.
Ein Kilometer, zwei, drei, vier: Rote Ziffern zeigen die zurückgelegte Strecke und den Fahrpreis an. Viel wichtiger könnte für Herrn Zhang und seinen Arbeitgeber jedoch bald ein zweites Gerät werden, das sich direkt unter dem Taxameter befindet. Es ist eine Art Fahrtenschreiber und ausgestattet mit einem GPS-Sender. „Ich beachte das eigentlich gar nicht, aber jedes Taxi muss so einen Apparat eingebaut haben“, sagt Herr Zhang knapp.

Diese Geräte könnten jedoch ein zentraler Baustein in einem neuen Zeitalter der chinesischen Wirtschaftsplanung werden. Unter Federführung der chinesischen Zentralbank will die Volksrepublik bis 2020 ein „Gesellschaftliches Bonitätssystem“ aufbauen. Dafür hat sich China bei Wirtschaftsauskunfteien wie der Schufa in Deutschland oder der US-amerikanischen Equifax sowie Ratingagenturen wie Moody’s umgeschaut. Aber die chinesischen Pläne gehen viel weiter.

Hinter den Überlegungen steht ein praktisches Problem: In China fehlt bislang ein landesweit etabliertes Bonitätssystem. Das erzeugt viele Schwierigkeiten. Banken haben Probleme, die Kreditwürdigkeit von Firmen und Privatleuten einzuschätzen. Deshalb leihen sie ihr Geld am liebsten den Staatskonzernen, da sie davon ausgehen, dass im Zweifelsfall der Staat für ausgefallende Kredite einsteht. Kleine und mittelständische Firmen kommen nur schwer an Kredite, von Start-ups und Privatleuten ganz zu schweigen.

Deshalb tüftelt der Staatsrat, das höchste Organ der Staatsverwaltung, seit Anfang des neuen Jahrtausends an einer Lösung. 2001 wurde dazu die erste Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Seitdem wurden in immer neuen Verhandlungsrunden mehr Ministerien in die Pläne miteinbezogen. Bei der Zentralbank laufen die Fäden zusammen, die über die staatlichen Banken Informationen über 300 Millionen der fast 1,4 Milliarden Menschen im Land sammelt. „Wir kommen gut voran“, sagte Zentralbankchef Zhou Xiaochuan kürzlich.

Die Idee geht jedoch weiter. Vor den mehr als 3000 Delegierten des Volkskongresses kündigte Ministerpräsident Li Keqiang vor zwei Jahren den Aufbau des „Gesellschaftliches Bonitätssystems“ an. Was damit gemeint ist, erläuterte der Staatsrat in seinem Reformplan bis zum Jahr 2020. Demnach geht es nicht nur um eine Bewertung der Zahlungsfähigkeit auf Grundlage von Wirtschaftsdaten. Die Regierung strebt zudem eine Bewertung an, ob sich Unternehmen und Bürger rechtlich und moralisch entsprechend der Vorgaben verhalten.

Hier kommen die Fahrtenschreiber in den Taxis ins Spiel. Sie liefern die Daten, um Bewegungsprofile von Fahrzeugen anzulegen. Diese können Aufschluss geben, ob sich Fahrer an Geschwindigkeitsvorgaben halten oder nicht. Wer oft die Regeln verletzt, kann eine schlechtere Bonitätsbewertung bekommen. Bei Herrn Zhangs Arbeitgeber gibt man sich jedoch noch gelassen. Ja, die Fahrtenschreiber seien in allen Taxis der Flotte installiert, bestätigt die Sprecherin der Shouqi-Taxigruppe. „Aber ob und wie sie ausgewertet werden, wissen wir nicht genau“, fügt sie hinzu.

Auch die Daten von Taxi-Unternehmen und anderen Verkehrsteilnehmern sollen künftig in einer zentralen Datenbank gesammelt werden. Quelle: AFP
Verkehrsströme in Shanghai

Auch die Daten von Taxi-Unternehmen und anderen Verkehrsteilnehmern sollen künftig in einer zentralen Datenbank gesammelt werden.

(Foto: AFP)

Es gibt eine Stelle, die es eigentlich wissen müsste. Vergangenes Jahr wurde ein Büro und eine Internetplattform für das neue Bonitätssystem eingeführt: creditchina.gov.cn. Die Internetseite ist gefüllt mit Berichten aus Staatsmedien über Kreditbewertungen in China. Künftig sollen Firmen hier die Daten von Kreditnehmern abrufen können.

Auf Anfrage weist sich ein Mitarbeiter der Plattform als Angestellter des chinesischen Suchmaschinenanbieters Baidu aus. Wie Baidu mit dem staatlichen System kooperiere und wie die Pläne für eine Fahrtenauswertung seien, werde auf schriftliche Anfrage gerne beantwortet, sagt er. Auf das Schreiben folgt jedoch nie eine Antwort. Dafür äußert sich eine Vordenkerin des Systems gegenüber dem Handelsblatt. Die Finanzwissenschaftlerin Ye Xiangrong von der Guangdong University of Finance gehört zu den Entwicklerinnen des chinesischen Bonitätssystems der ersten Stunde.

„Die grundsätzlichen Ideen für das System stammen aus dem Finanzsektor“, sagt sie. Aber langfristig könnte das System auf viele weitere Wirtschaftsbereiche erweitert werden. „Der Aufbau einer Datenbank zur Bewertung der Zahlungsfähigkeit ist auf einem guten Weg“, sagt sie. Neben der Regierung arbeiteten auch Firmen an eigenen Systemen. Acht chinesische Unternehmen seien lizensiert worden, Datenbanken zur Bewertung der Kreditwürdigkeit aufzubauen, darunter etwa Alibaba. Aufgrund fehlender Kredithistorien griffen die Firmen etwa auf Daten über das Kaufverhalten im Internet zurück. „Mittlerweile hat China die größte Datenbank der Welt mit Informationen über mehr als 800 Millionen Menschen“, sagt Ye.

Big Data ist der Schlüssel. Die kontinuierliche Auswertung großer Datenmengen soll fehlende Kreditdaten überflüssig machen. „Im Internetzeitalter wird jeder Datensatz wertvoll. Erfasst wird etwa, wie lange ein Nutzer im Internet ist, welche Seiten er aufruft, welche Sachen er kauft“, sagt Ye.

Für die Finanzwissenschaftlerin Ye eröffnen sich dadurch völlig neue Möglichkeiten der wirtschaftlichen Steuerung. Noch immer gibt die Pekinger Zentralregierung die Leitlinien der Entwicklung in Fünf-Jahresplänen vor. Aber die Blaupausen sind schon lange nicht mehr in der Lage, das komplexe Wirtschaftssystem abzubilden. Die computergestützte Auswertung von Verhaltensmustern könnte hingegen eine Steuerung möglich machen.

So ließen sich etwa Werte über Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung aus dem ganzen Land in Echtzeit auswerten. Betrug auf lokaler Ebene würde erschwert. Das könnte endlich zum lang ersehnten Durchbruch führen, denn Chinas strenges Umweltschutzgesetz wird nur schleppend umgesetzt. Mit ausreichend verfügbaren Daten ließe sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt viel effizienter steuern, hofft die Wissenschaftlerin.

Die Plattform dürfte aber nicht nur chinesische, sondern auch internationale Firmen betreffen. „Das System ist gut für China“, sagt Tim Pagett, Chef für Chinas Finanzmärkte bei der Unternehmensberatung Deloitte. An fehlendem Vertrauen scheiterten viele Geschäfte in China. Das Kreditsystem könne ein Weg sein, mehr Vertrauen aufzubauen. Noch ist jedoch völlig unklar, wie ausländische Unternehmen davon betroffen sein werden.

Trotzdem ist Pagett überzeugt, dass das System über Chinas Grenzen hinaus wirken könnte. Gestützt von einer gewaltigen Datenauswertung könnte Regulierung in einer völlig neuen Form möglich werden. „China hat die Chance, mit der Technik von Big Data staatliche Regelsetzung auf eine völlig neue Stufe zu heben“, sagt Pagett.

Die Pläne seien Grundlage für einen computergestützten Überwachungsstaat, warnt hingegen der Pekinger Historiker Zhang Lifan. „Die Regierung kann die Systeme einsetzen, um die Bürger auszuspionieren“, klagt er. Die Pläne seien keine verbesserte Version staatlicher Regulierung, sondern das Rezept für einen technisch perfekten Überwachungsapparat, vor dem schon George Orwell in seinem Buch 1984 gewarnt habe.

Das Sammeln von Daten an sich sei kein Problem, argumentiert Zhang. „Das Problem ist, was mit den Daten passiert. Es gibt viele unterschiedliche Akteure mit verschiedenen Interessen“, sagt er.

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