Fake News im Self-Publishing Lügen wie gedruckt

Im Selbstverlag erscheinen nicht nur Liebesromane und Kochbücher.
Düsseldorf Angela Merkel ist Hitlers Tochter, Mitglied der jüdischen Bankiersdynastie Rothschild, und Juden haben die Zerstörung Deutschlands geplant. Klingt absurd und erschreckend – und ganz nach „Fake News“, also Falschmeldungen, von denen in letzter Zeit oft die Rede ist. Verschwörungstheorien, „alternative Fakten“ und sonstige Unwahrheiten sind vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Doch das Internet bietet ihnen eine nahezu grenzenlose Reichweite. Während Medien und Politik über die Verantwortung von Facebook diskutieren, dienen auch andere Plattformen der Verbreitung: Die Behauptungen über die Bundeskanzlerin und zahlreiche andere Falschmeldungen sind auf Self-Publishing-Portalen zu finden, auf denen Autoren ihre Bücher ohne Verlag veröffentlichen können. Es ist eine wenig beachtete, aber relevante Nische.
Die Branche ist attraktiv für viele, die von Verlagen abgelehnt werden oder sich und ihrem Manuskript den langen und oft ziellosen Weg durch deren Lektorate ersparen wollen. Denn für Newcomer ist der Einstieg in den umkämpften deutschen Buchmarkt schwer. Jährlich schaffen es rund 90.000 neue Titel. Die Branche setzte 2015 nach Angaben des Börsenvereins des deutschen Buchhandels 9,2 Milliarden Euro um, davon 17 Prozent im Internet. Dort sammeln sich auch die Self-Publisher. Angezogen von Erfolgsgeschichten wie der des Weltbestsellers „Fifty Shades of Grey“, der zuerst im Selbstverlag erschien. Das Potenzial ist groß: Laut einer Studie der Unternehmensberatung PwC haben immerhin 30 Prozent aller E-Book-Leser schon einmal Titel von Self-Publishing-Autoren gelesen. Wenn sie es denn bemerkt haben: Jeder vierte kann keinen Unterschied zwischen „herkömmlichen“ und selbst publizierten E-Books feststellen.
Books-on-Demand, der größte deutsche Self-Publishing-Anbieter, schätzt, dass deutschlandweit 100.000 Autoren im Selbstverlag veröffentlichen und jedes dritte gedruckte Buch bereits selbst verlegt sei. Auch PwC rechnet mit einem Wachstum in diesem Markt. Anbieter für Self-Publisher gibt es viele. Amazon ist zum Beispiel 2005 mit „Create Space“ unter die Plattformen für das Self-Publishing gegangen. Autoren lockt die große Reichweite des Konzerns. Doch unter den selbst verlegten E-Books und Taschenbüchern finden sich nicht nur Erotikromane, Belletristik oder Kochbücher. Wer genau hinsieht, entdeckt auch anderes. Zum Beispiel Titel wie „Höllensturm: Die Vernichtung Deutschlands“, den antisemitischen Roman „Raubland“ oder allerlei als Fachbücher getarnte Abrechnungen mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik.
Leonard Novy ist Mitglied der Institutsleitung am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik und Mitherausgeber des Autorenblogs „Carta“. Er beobachtet und beschreibt das Problem schon länger: „Plattformen wie Amazon gebärden sich als neutrale Plattform und kassieren mit.“ Bei der Prüfung von Inhalten herrsche jedoch Nachholbedarf. Der Vorwurf ist nicht neu: Bereits 2009 stand Amazon in der Kritik, rechtsextreme Propaganda zu vertreiben. Erst auf öffentlichen Druck hin nahm der Konzern Bücher des NPD-Verlags „Deutsche Stimme“ aus dem Sortiment.
Auch sonst ist der Onlinehändler nicht wählerisch: In dem Sortiment finden sich zum Beispiel die Bücher des Kopp-Verlags. Der macht immer wieder mit umstrittenen Titeln von sich reden. Zu den Autoren gehört der verstorbene Journalist Udo Ulfkotte, der im Verlag Bücher wie „Mekka Deutschland“ oder „Gekaufte Journalisten“ veröffentlichte. Auch kleinere Verlage nutzen die Plattform, um verschwörungstheoretische und teils antisemitische Inhalte anzubieten. In Bezug aufs Self-Publishing hat Amazon an sich klare Regeln: Pornografie, Gewalt oder extrem verstörende Inhalte sind zum Beispiel tabu. Titel wie „Höllensturm“ oder „Raubland“ aber augenscheinlich nicht. Anbieter wie der US-Konzern sagten zwar, dass sie kein Verlag seien, sagt Novy: „Aber sie sind eben auch kein Kopiershop.“ Sie übernähmen etliche Funktionen eines Verlages. Nur bei der Verantwortung hielten sie sich zurück.
Doch nicht nur Amazon trägt zur Verbreitung derartiger Inhalte bei. Auch bei deutschen Self-Publishing-Anbietern finden sich fragwürdige Titel. Zum Beispiel auf der E-Book-Plattform Bookrix, an der Bastei Lübbe mehrheitlich beteiligt ist. Bastei Lübbe ist einer von vielen großen Verlagen in Deutschland, die mittlerweile auf eigene Plattformen für Self-Publisher setzen. Auch in der Hoffnung, dort neue Talente zu entdecken und für sich zu gewinnen. Wie Poppy J. Anderson, die mit ihren Liebesromanen als Star der deutschen Self-Publishing-Szene gilt. Ihr gelang es erstmals, mehr als eine Million E-Books bei Amazon Kindle Publishing zu verkaufen. Schließlich kamen Verlage auf sie zu. Ihre Romane erscheinen nun auch bei Rowohlt und Bastei Lübbe. Auf Bookrix publiziert auch eine Autorin mit dem seriös anmutenden Namen Rev. Dr. Karen Adrien Osbey Atkins. In ihrem englischsprachigen Manifest behauptet die US-Amerikanerin, einer großen Verschwörung auf die Spur gekommen zu sein: Angela Merkels Mutter seien Adolf Hitlers Spermien eingepflanzt worden – demnach sei die Bundeskanzlerin die biologische Tochter des verstorbenen Diktators. „Da kursiert teilweise wirklich ausgemachter Unsinn“, sagt Medienexperte Leonard Novy.
Problematisch wird es bei Verstößen gegen geltendes Recht. Der Medienrechtler Christian Solmecke rät Betroffenen, bei Verdacht auf üble Nachrede, Verleumdung oder strafbare Beleidigungen Strafanzeige zu stellen und zusätzlich zivilrechtlich gegen den Autor vorzugehen: „Bei rechtswidrigen Tatsachenbehauptungen kann der Betroffene unter anderem Schadensersatz und Unterlassung verlangen.“
Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass falsche Tatsachenbehauptungen und Verschwörungstheorien in Buchform auf Self-Publishing-Plattformen gelangen? Ein Sprecher von Bookrix räumt ein, dass Bücher, die auf der Plattform lediglich publiziert und nicht zum Verkauf angeboten werden, keinerlei inhaltliche Vorabprüfung durchlaufen. „Wir werden allerdings tätig, wenn wir von Nutzern auf strafrechtlich relevante oder gegen die guten Sitten verstoßende Inhalte hingewiesen werden.“
Auf diese Form der Selbstregulierung setzen auch andere Anbieter. Und das Gesetz gibt ihnen mit dieser Haltung recht: „Es besteht keine Verpflichtung der Dienstanbieter, ohne Anlass zu überprüfen, ob ein Rechtsverstoß vorliegt. Eine gesetzliche Kontrollpflicht jedes einzelnen Beitrags wäre nicht zumutbar. Lediglich bei Kenntnisnahme eines Verstoßes besteht Handlungsbedarf“, bestätigt Solmecke. Auch Kontrollinstanzen wie die Internet-Beschwerdestelle oder die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien werden erst auf konkrete Anträge hin aktiv. Die Verantwortung für den Inhalt geben Anbieter meist an den Autor weiter.
Solange die Titel also unbemerkt bleiben, können sie weiterhin angeboten werden. Und in der Zwischenzeit können die Autoren der problematischen Werke mit dem Verkauf ihrer Bücher Geld verdienen. So zum Beispiel Thomas Goodrich – ein umstrittener Autor aus den USA. Seine Werke erfreuen sich auch in Deutschland einer Anhängerschaft – in einschlägigen Foren wird sein Buch „Höllensturm“ als Augenöffner empfohlen. Das hat der US-Amerikaner auch ins Deutsche übersetzen lassen. Mit Hilfe der Vorschau erhalten interessierte Leser eine Kostprobe. Darin bezeichnet Autor Goodrich zum Beispiel den Boykott jüdischer Geschäfte im Deutschland der dreißiger Jahre als nachvollziehbare Reaktion auf eine angebliche Verschwörung der Juden gegen das Deutsche Reich.
Kauft ein interessierter Leser das Werk als Taschenbuch, erhält Goodrich 25,29 Euro. „Davon erhält Amazon dann vierzig Prozent Beteiligung“, sagt Leonard Novy. Was aber sagt der Onlinehändler selbst zu diesem Autor? Auf diese Frage hat das Unternehmen trotz mehrmaliger Anfragen des Handelsblatts nicht reagiert. Auch zum allgemeinen Umgang mit volksverhetzenden oder verschwörungstheoretischen Inhalten äußerte es sich nicht.
Ein gefährlicher Trend
Petra Pfannes, Referentin in der Kommission für Jugendmedienschutz, sagt: „Uns erreichen immer wieder Beschwerden zu E-Books, meist wegen pornografischer oder rechtsextremistischer Inhalte. Im Falle von absolut unzulässigen Inhalten, zum Beispiel bei Volksverhetzung oder Holocaust-Leugnung, werden die Fälle an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben.“
Riesige Reichweiten hätten solche Publikationen nicht, aber es forme sich eine kommunikative Infrastruktur der Rechten – und Self-Publishing sei ein Teil davon, meint Politikwissenschaftler Novy: „Hier entsteht ein Trend, der von den politischen und medialen Eliten bislang kaum wahrgenommen wurde.“ Auch der Anbieter Books-on-Demand (BoD) kennt das Problem, hat aber Sicherheitsmaßnahmen. „Vor der Veröffentlichung durchläuft jedes einzelne Buch bei BoD einen mehrstufigen Prüfungsprozess. Wenn ein Buch fragwürdigen Inhalts ist, weil es gegen geltendes Recht verstößt oder Personen verunglimpft, dann kommt es erst gar nicht zur Publikation“, sagt Thorsten Simon von Books-on-Demand. Außerdem sei in den Autorenverträgen klar geregelt, dass der Autor für mögliche Rechtsverletzungen verantwortlich sei.
Nach diesem Prinzip verfährt auch der unabhängige Self-Publishing-Dienstleister Tredition, erklärt Nadine Otto, Leiterin des Buchmarketings. Bei Verstößen gegen die inhaltlichen Richtlinien würden Titel konsequent zurückgewiesen: „Wir haben beispielsweise das Buch eines ehemaligen Führungsmitglieds der NPD abgelehnt. Dieser hat dann gerichtlich die Veröffentlichung eingeklagt und verloren.“ Der Anbieter Grin hat ähnliche Schutzmechanismen. Amazon sichert sich ebenfalls durch seine Autorenverträge ab.
Andere Self-Publishing-Anbieter wie Neobooks, Epubli oder Xinxii haben auf Nachfrage zu der Problematik nicht reagiert. Medienanwalt Christian Solmecke rät entsprechenden Unternehmen, sich durch stichprobenartige Kontrollen der einzelnen Titel und die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in die AGB rechtlich abzusichern. Der umstrittene Titel „Raubland“ ist auf Amazons deutscher Seite nicht mehr zu finden. Die US-amerikanische Seite bietet den deutschsprachigen Titel aber weiterhin an.
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