Frauen in der IT-Branche Ausgegrenzt, belästigt, degradiert

Obszöne Mails wurden publik.
San Francisco Sie lesen sich wie Verhaltensregeln für unflätige Teenager. Doch der ethische Kodex für die Teilnehmer der renommierten Technologie-Konferenz „Tech-Crunch Disrupt“ richtet sich an Erwachsene. Der Veranstalter weist explizit darauf hin, dass bei den jährlichen Konferenzen in San Francisco, New York und Peking „Belästigung jeglicher Art nicht toleriert wird. Das beinhaltet auch übermäßige sexistische und abwertende Bemerkungen“. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit – doch diverse Ausrutscher von Silicon-Valley-Größen haben die Aufmerksamkeit für angemessenes Benehmen inzwischen geschärft.
Besonders starkes Interesse erregt derzeit ein regelrechter Schauprozess in Sachen politischer Korrektheit am Arbeitsplatz rund um Kleiner Perkins Caufield & Byers – eine der ältesten und einflussreichsten Risikokapital-Gesellschaften an der amerikanischen Westküste. Und einer der Geldgeber aus Gründertagen der heutigen Internetmultis Google und Amazon. Ellen Pao, ehemals Juniorpartnerin, beschuldigt ihren Ex-Arbeitgeber, sie bei gleicher Leistung schlechter gestellt zu haben als einen männlichen Kollegen. Kleiner Perkins argumentiert, die Managerin habe trotz Coachings schlechtere Leistungen erbracht und sei deshalb nicht befördert worden.
Der Prozess um Kleiner Perkins befeuert die seit geraumer Zeit tobende Debatte um Sexismus im Valley. Sein Ausgang wird mitentscheiden, wie fortschrittlich die Tech-Gesellschaft aus Entwicklern, Gründern und Geldgebern tatsächlich ist, die sonst so gern für sich beansprucht, die Zukunft zu erfinden.
Belästigung oftmals Alltag
Die Vorwürfe gegen den Partner der noblen Investmentfirma jedenfalls lesen sich im Detail wie das Drehbuch eines Leinwanddramas: Der verheiratete Mann habe Juniorpartnerin Pao in eine Affäre gezwungen und sie dann, nachdem sie diese beendete, systematisch niedergemacht. So sei sie von einem wichtigen Unternehmertreffen absichtlich ausgeschlossen worden mit dem Hinweis: „Frauen killen die Stimmung.”
Offenbar vergreifen sich einflussreiche Manager gegenüber Frauen gerne mal im Ton. Auch Snapchat-Chef Evan Spiegel, jüngster Milliardär der „Forbes“-Liste, musste sich im vergangenen Mai für öffentlich gewordene E-Mails entschuldigen, die er 2009 als 19-jähriger Student der Elite-Universität Stanford geschrieben hatte. Mitgliedern seiner Studentenverbindung berichtete er damals, wie er beim Sex betrunken auf eine Frau urinierte und von seinem Wunsch, die „Titten” der damaligen Uni-Dekanin Julie Lythcott-Haims zu sehen.
Und eine Managerin der Dating-App Tinder verklagte den Mitgründer wegen sexueller Belästigung. Kommunikationschef Justin Mateen habe sie per SMS als „Verliererin“ und „Nutte“ beschimpft, „die von einer Beziehung zur nächsten springe“, noch lange nachdem sie ihre Beziehung zu ihm bereits beendet habe, erklärte Marketingchefin Whitney Wolfe. Tinder-Geschäftsführer Sean Rad habe bewusst weggesehen, ihre Hilferufe als „übertrieben“ zurückgewiesen und der Kollegin sogar damit gedroht, sie zu feuern, sollte sie mit dem Mann nicht zusammenarbeiten können. Inzwischen ist der ausfällig gewordene Justin Mateen suspendiert.
Sogar der Softwareriese Microsoft geriet in die Kritik, latent frauenfeindlich zu sein. Vorstandschef Satya Nadella forderte Frauen auf, nicht um Gehaltserhöhungen zu bitten. Es gehe eher darum, „darauf zu vertrauen, dass das System schon zur rechten Zeit die Bezahlung anheben wird”, sagte er vergangenen Oktober – ausgerechnet auf einer Konferenz für ambitionierte Frauen in der Technologiebranche. Auf die Forderungen nach mehr Geld zu verzichten sei „gutes Karma”, und am Ende würden die Mitarbeiterinnen dafür belohnt werden. Nachdem ein Shitstorm auf den Konzern niedergegangen war, entschuldigte sich Nadella.
Männer fördern Männer
Längst hat das Thema politische Dimensionen angenommen. „Es ist ja fast eine Atmosphäre wie im Wilden Westen, und ich glaube, dass viele Frauen das geschmacklos finden“, kritisierte Hillary Clinton Ende Februar bei einem Auftritt auf einer Technikkonferenz speziell für Frauen. Die ehemalige US-Außenministerin bereitet gerade ihre Kampagne für den Präsidentschaftswahlkampf 2016 vor und könnte als erste US-Präsidentin im Weißen Haus regieren. Die Stimmen vieler ihrer Geschlechtsgenossinnen aus dem Valley dürften ihr sicher sein.
Dabei gelangen ohnehin nur die besonders drastischen Fälle an die Öffentlichkeit. In privaten Gesprächen berichten Mitarbeiterinnen von sehr viel subtileren Taktiken ihrer Vorgesetzten, die sie ausgrenzen und ihnen Aufstiegschancen verwehren. Wer etwa zu einem Firmenausflug oder einem Abend an der Bar mit Kollegen nicht eingeladen wird, läuft Gefahr, dies als Kleinigkeit abzutun. Doch sind es eben meist genau diese informellen Anlässe, bei denen über die Vergabe von Top-Jobs entschieden wird.
„Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass wir uns gern mit Menschen umgeben, die so sind wie wir selbst, und dass wir besonders diejenigen fördern, mit denen wir uns identifizieren“, sagt Zella King von der britischen Henley Business School. Im Klartext heißt das: Männer fördern Männer. Kein Wunder also, dass immer noch Männer das High-Tech-Geschäft dominieren. Daran änderten auch Vorzeigemanagerinnen wie Yahoos Geschäftsführerin Marissa Mayer oder Sheryl Sandberg von Facebook wenig. Sie sind die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Eine Zählung bei den größten Arbeitgebern der amerikanischen Computerszene wie Google, Facebook, Microsoft und Apple ergab das blamable Ergebnis: Nur etwa jeder dritte Mitarbeiter und nur 16 Prozent der Programmierer sind weiblich. Zum Vergleich: In Deutschland sieht es auch nicht besser aus. Laut Branchenverband Bitcom haben Technologie-Unternehmen hierzulande insgesamt nur 14 Prozent weibliche Mitarbeiter.
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