Internetzugang Mieter fühlen sich von Unitymedias Tempoversprechen getäuscht
Düsseldorf Als Winfried Rapp vor rund vier Monaten zum Chef des Kabelnetzbetreibers Unitymedia in Deutschland befördert wurde, überraschte er mit einer Ankündigung. Das Unternehmen steckte mitten in einem Übernahmeverfahren mit Vodafone, Rapp galt als Manager für den Übergang.
Doch er setzte ein Zeichen: „Wir führen eine Internet-Grundgeschwindigkeit ein, mit der wir die langsamsten Unitymedia-Zugänge nahezu doppelt so schnell machen wie der deutsche Durchschnittsanschluss“, sagte der Manager dem Handelsblatt.
Rapp versprach, alle langsamen Verbindungen seiner Kunden auf mindestens 30 Megabit pro Sekunde anzuheben. Das ist eine beachtliche Ankündigung. Schließlich liegt die Geschwindigkeit eines Internetanschlusses im deutschen Festnetz bei durchschnittlich gerade einmal zwölf Megabit pro Sekunde. „Mehr als jemals zuvor ist Internetgeschwindigkeit der wichtigste Faktor für unsere Kunden“, sagte Rapp. Bis zum Jahresende sollten alle Anschlüsse umgestellt sein, versprach Unitymedia in einer Werbekampagne.
Doch Recherchen des Handelsblatts zeigen, dass das Unternehmen bei dieser Initiative eine Gruppe ausklammert: Das Versprechen gilt nicht für Mieter, die den TV-Anschluss über die Nebenkosten der Wohnung bezahlen und den Internetzugang als Zusatzleistung inklusive bekommen.
Hintergrund ist eine Sonderregel. Die Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl hatte in den 1980er-Jahren ein Programm zur Förderung des Kabelfernsehens beschlossen. Danach durften Vermieter die Kosten für den Kabelanschluss von Wohngebäuden auf die Mieter umlegen.
Damals ergab das Sinn: Vermieter konnten sich sicher sein, dass sie die hohen Kosten für die Ausstattung ihrer Gebäude langfristig über die Mieten wieder einspielten. Die Regel war ein entscheidender Grund für die schnelle Ausbreitung des Kabelfernsehens in Deutschland. Das Nebenkostenprivileg gilt aber bis heute – und ist sehr umstritten.
Mit der Kampagne handelt sich Unitymedia Ärger mit Verbraucherschützern und dem Deutschen Mieterbund ein. Das gilt etwa für Aussagen aus der Werbung wie „Unsere Bestandskunden surfen jetzt noch schneller!“.
Wenn bestimmte Gruppen davon ausgeschlossen seien, ohne dass dies in der Werbung „transparent dargestellt“ werde, sei das wettbewerbswidrig, sagte Tom Janneck, Teamleiter für den Schwerpunkt Telekommunikation im Projekt Marktwächter Digitale Welt. Dieses wertet Beschwerden aus bundesweit rund 200 Beratungsstellen der Verbraucherzentralen aus.
Nach Fusion wäre Vodafone marktbeherrschend
Auch der Deutsche Mieterbund kritisierte das Vorgehen. „Unitymedia hat höhere Geschwindigkeiten für alle Kunden versprochen. Wenn die Firma diese Ankündigung nicht erfüllt, bricht sie ihr Versprechen“, sagte der Geschäftsführer des Mieterbundes, Ulrich Ropertz. Das Unternehmen dürfe nicht „nachträglich einzelne Kundengruppen von den Verbesserungen ausklammern“.
Noch bis Anfang Januar warb Unitymedia sogar in einer Rubrik mit Hintergrundfragen zur Umstellung: Die Internetgeschwindigkeit werde kostenlos erhöht für Unitymedia-Kunden, "die bisher mit einer geringeren Geschwindigkeit in unserem Netz unterwegs sind". Nach einer Anfrage des Handelsblatts änderte Unitymedia die Website ab. Nun schreibt das Unternehmen, das neue Tempoversprechen gelte für Kunden, "mit denen wir einen entgeltlichen Vertrag über ein Internetprodukt haben".
In dem Fall geht es um mehr als die Werbekampagne. Das Nebenkostenprivileg ist einer der zentralen Kritikpunkte der Gegner der Fusion von Vodafone mit Unitymedia in Deutschland. Mit der Übernahme würde Vodafone einen großen Teil des deutschen TV-Kabelnetzes kontrollieren.
„Nach der geplanten Übernahme von Unitymedia durch Vodafone läge der Kabelmarktanteil von Vodafone künftig bei rund 75 Prozent. Das ginge letztlich zulasten der Verbraucher, die die Kosten für das Fernsehsignal über ihre Nebenkostenabrechnung zwangsweise bezahlen müssen“, klagte Stephan Albers, Geschäftsführer des Bundesverbandes Breitbandkommunikation.
Rund elf Millionen Haushalte in Deutschland werden über die Wohnungswirtschaft versorgt. Die Mehrheit der Mitglieder des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen hat Mehrnutzungsverträge mit Kabelnetzbetreibern abgeschlossen, wie GdW-Präsident Axel Gedaschko sagt. „Kern dieser Mehrnutzerverträge ist, dass das jeweilige Wohnungsunternehmen dem Netzbetreiber gestattet, seine Wohnungen mit TV- und Hörfunkangeboten sowie weiteren Angeboten wie Internet und Telefonie zu versorgen“, sagt Gedaschko.
Unitymedia bietet der Wohnungswirtschaft in einem Programm an, das Angebot an TV-Kabelanschlüssen um ein Internetangebot zu erweitern. Dabei liegt das Tempo jedoch oft nur bei einem Mbit pro Sekunde oder bei sechs Mbit pro Sekunde. Manche dieser Kunden hatten nach der Ankündigung auf mehr gehofft. Doch sie wurden ausgeklammert. Unitymedia wollte auf Anfrage nicht sagen, um wie viele Kunden es geht. In Foren und in sozialen Netzwerken beklagten sich bereits seit November die ersten Betroffenen.
Unitymedia widerspricht der Kritik. „Es gibt das kostenlose Internet-Einstiegsangebot seit mehr als zehn Jahren als Option“, sagt Wolf Osthaus, Senior Vice President Regulatory & Public Policy bei Unitymedia. Das Unternehmen wolle Kunden damit zeigen, dass sie ihren TV-Kabelanschluss auch fürs Surfen im Internet nutzen können. Die Möglichkeit sei als Schnupperangebot gedacht. Wer mehr Bandbreite wolle, könne separate Verträge mit Unitymedia abschließen.
Ringen um das Privileg
Zudem verteidigte Osthaus das Nebenkostenprivileg. Es sei mit den Kosten für einen Aufzug in einem Mietshaus vergleichbar. „Die Anlage steht allen gleichermaßen zur Verfügung. Die Kosten sind aber auch auf alle Mieter umlegbar, egal ob sie ihn nutzen oder nicht“, sagte der Manager.
Die Wohnungswirtschaft warnt zwar vor einer Machtkonzentration, sollte die Übernahme von Unitymedia durch Vodafone genehmigt werden. Allerdings hält GdW-Präsident Gedaschko am Nebenkostenprivileg fest.
Für den Mieterbund ist hingegen klar, dass die Regeln abgeschafft gehören: „Das Nebenkostenprivileg ist nicht mehr zeitgemäß. Mieter sollten nicht gezwungen werden, für einen TV-Kabelanschluss zu zahlen, den sie nicht nutzen wollen“, sagte Ropertz.
Der Umgang mit der Sonderregel ist Thema in Brüssel. Dort prüft die EU-Kommission die Fusion von Vodafone und Unitymedia. Noch ist nicht klar, wie die Behörde entscheidet. Nach Handelsblatt-Informationen werden verschiedene Optionen abgewogen. Eine Möglichkeit wäre, die Fusion unter Auflagen zu genehmigen – dazu könnte eine Abschaffung des Nebenkostenprivilegs gehören.
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