Wirecard-Film bei TV Now: Ufa-Chef Nico Hofmann im Interview
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InterviewWirecard-Pleite hat Ufa-Chef Nico Hofmann darin bestärkt, „nie auf allzu gehypte Aktien als einzige Werte zu setzen“
Der Produzent legt den ersten Film zum Bilanzskandal vor. Im Interview spricht er über seine persönlichen Lehren und den Glamourfaktor der Wirtschaft.
„Ein Stoff muss immer „Bigger than life“ sein und am besten eine Tragödie, eine Fallhöhe beinhalten, die auch menschlich berührt.“
(Foto: TVNOW / Gordon Muehle )
Hamburg Die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals findet auf vielfältigen Ebenen statt: Nicht nur ein Untersuchungsausschuss des Bundestags und etliche Staatsanwälte bringen derzeit Licht in die dunklen Geschäfte des einstigen Dax-Konzerns. Die Affäre taugt auch als Filmstoff.
Im Wettlauf um die erste große Premiere hat nun die Ufa mit ihrem Chef Nico Hofmann die Nase vorn: Ab Mittwoch zeigt der Bertelsmann-Streamingdienst TV Now „Der große Fake – die Wirecard-Story“. Selbst Deutsche-Bank-ChefChristian Sewing taucht als Zeitzeuge auf und gebe, so Hofmann, „dem ganzen Projekt zusätzlich Tiefe“.
Als Kleinanleger hat die Story Hofmann „darin bestätigt, nie auf allzu gehypte Aktien als einzige Werte im Portfolio zu setzen. Sein bitteres Fazit: „Politik, Journalismus, Investorinnen und Investoren, Kleinanlegerinnen und Kleinanleger, Finanzkontrolle – da regierte eine zumindest im Nachhinein unfassbare Naivität.“ Hofmann prophezeit zugleich, dass solche halbdokumentarischen TV-Formate noch einen Boom erleben werden.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Herr Hofmann, von der Pleite des Zahlungsdienstleisters Wirecard bis zum fertigen Film, der am 31. März beim Streamingdienst TV Now Premiere hat, verging nicht mal ein Jahr. Dauern solche Projekte nicht normalerweise viel länger? Wir hatten uns ja früh entschieden, auf eine Mischform zu setzen, halb Fiktion, halb Dokumentation. Das geht ohnehin schneller als bei einem großen, reinen Filmprojekt wie etwa „Bad Banks“, der fiktionalen Serie zur Finanzkrise. Von der Idee, „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ überhaupt zu machen, bis zum Verkauf an einen Sender vergingen sogar nur 24 Stunden. Und alle Beteiligten waren schnell und produktiv an Bord. Das hat uns geholfen, da ja auch bei der Konkurrenz filmische Umsetzungen des Themas in Vorbereitung sind.
Was kostet so ein Projekt? Die semifiktionalen Budgets liegen generell zwischen 1,4 und 1,6 Millionen Euro. Das ist also deutlich mehr als normale TV-Dokumentationen, aber auch weniger als etwa der abendfüllende Spielfilm.
Nico Hofmann
Der Ufa-Chef hat den Wirecard-Skandal verfilmt.
(Foto: Ufa)
Wie viel künstlerische Freiheit darf bei einem Sujet wie Wirecard sein, wie viel Faktentreue muss sein? Die klare Spielregel ist: Man darf nichts behaupten, was nicht belegbar ist. Nicht nur die Persönlichkeitsrechte setzen Grenzen. Wenn jemand klagt, muss man aufzeigen können, warum die Darstellung so und nicht anders ausfiel.
Im Fall Wirecard tagt in Berlin regelmäßig ein Untersuchungsausschuss. Die juristische Aufarbeitung hat erst begonnen. Wie groß ist die Gefahr, mit einem halbfiktionalen Film selbst Fake News zu inszenieren? Ziemlich gering. Entscheidend ist, dass alle Fakten belegbar sind, am besten durch unterschiedliche Quellen. Das war im Fall Wirecard schon früh gewährleistet.
Politische Naivität, ökonomische Gerissenheit, Fehler im Wirtschaftssystem, eine überforderte Finanzaufsicht, Geheimdienstverwicklungen, persönliche Eitelkeiten, Größenwahn, Gier, Börsenspektakel – es gibt kaum einen Faktor, der in der Wirecard-Story unterbelichtet bleibt. Worauf kam es Ihnen selbst besonders an? Christoph Maria Herbst spielt Ex-Chef Markus Braun, Franz Hartwig seinen Vorstandskollegen Jan Marsalek. Auf dieser Ebene der Schauspieler bekommt man eine plastische Vorstellung der beiden Hauptakteure, die ja auch in der Wirklichkeit besonders spannend waren…
… hier der grüblerisch-kühle CEO, dort sein halbseidener Juniorpartner? Der spannenden Psychologie zwischen zwei so unterschiedlichen Charakteren konnten wir uns nur schauspielerisch nähern. Die vielen Zeitzeugen, inklusive Deutsche-Bank-ChefChristian Sewing, geben dem ganzen Projekt zusätzlich Tiefe.
Vita Nico Hofmann
Nico Hofmann – 1959 in Heidelberg geboren – ist vieles: Regisseur, Drehbuchautor, Filmproduzent und mittlerweile auch alleiniger Chef der Filmfirma Ufa. Nach einem Zeitungsvolontariat studierte er an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Bekannt wurde er unter anderem mit TV-Großproduktionen wie „Dresden“, „Die Flucht“ und „Unsere Mütter, unsere Väter“. Nebenher wirkt Hofmann auch noch als Intendant der Wormser Nibelungen-Festspiele.
Die Ufa gilt mittlerweile als der größte deutsche Produzent von Fernsehfilm- und TV-Produktionen und ist Teil des Gütersloher Medienkonzerns Bertelsmann. Zur Ufa-Geschichte gehören neben Klassikern wie „Der blaue Engel“ auch große Kino-Produktionen jüngeren Datums wie „Der Medicus“ oder „Der Junge muss an die frische Luft“. Daneben steht die in Potsdam ansässige Firma auch für viele TV-Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Wer weiß denn sowas“, Seifenopern wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und teils aufwendig produzierte TV-Serien wie „Charité“.
Was haben Sie persönlich aus der Affäre gelernt? Als Privatanleger hat sie mich darin bestätigt, nie auf allzu gehypte Aktien als einzige Werte im Portfolio zu setzen. Überrascht hat mich, wie das Blendwerk „Wirecard“ letztlich doch auf allen Ebenen und sehr lange funktionieren konnte. Politik, Journalismus, Investorinnen und Investoren, Kleinanlegerinnen und Kleinanleger, Finanzkontrolle – da regierte eine zumindest im Nachhinein unfassbare Naivität.
Was braucht ein Wirtschaftsthema, um in Ihren Augen massentaugliche Unterhaltung zu werden? Ein Stoff muss immer „Bigger than life“ sein und am besten eine Tragödie, eine Fallhöhe beinhalten, die auch menschlich berührt.
Adidas, Käthe Kruse oder Beate Uhse gab es schon als Fiktion. Wären die Generationskräche bei den Bahlsens oder Oetkers mal ein Filmstoff? Oder der Aufstieg Zalandos? Eine reine Aufstiegsstory reicht allein jedenfalls nie aus. Es braucht eine gewisse Zuspitzung, einen Bruch, eine Katharsis.
Dokumentationen als Topentertainment?
Dann könnten Sie doch den verrückten Aufstieg und tiefen Fall des früheren Bertelsmann- und Karstadt-Chefs Thomas Middelhoff verfilmen. Bestimmt nicht.
Warum, Sie kennen ihn doch gut. Als Bertelsmann-CEO war er sogar mal Ihr Chef. Eben, wir kennen uns gut. Damals habe ich übrigens konstruktiv mit Thomas Middelhoff zusammengearbeitet. Aber man kann dann keinen objektiven Film mehr über eine Person machen.
Sie bereiten auch die „VW-Saga“ als Mehrteiler vor. Was erwartet uns? 50 Jahre deutsche Nachkriegs-Industriegeschichte im Brennglas zweier großer Unternehmerclans. Das Spannendste daran ist die Familienaufstellung mit all ihren Temperamenten, Abhängigkeiten und Egos.
Warum dauert gerade die Vorbereitung dieses Projekts über die Porsches und Piëchs mittlerweile schon sechs Jahre? Für ein solch großformatiges Filmprojekt ist das völlig normal. Hier brachte ja auch der Tod von Ferdinand Piëch und vor allem die Dieselaffäre die Bücher nochmals gehörig durcheinander.
Nicht nur an der VW-Saga ist der frühere „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust beteiligt. Er bereitet auch eine vierteilige Doku über Angela Merkel für Sie vor. Sind Dokumentationen das neue Topentertainment? Die Ufa will den Dokumentarbereich auf jeden Fall weiter ausbauen. Das betreibe ich mit hoher Energie, denn da sehe ich tatsächlich einen großen Markt, der in den nächsten Jahren noch weiterwachsen wird.
Christoph Maria Herbst als Ex-Wirecard-Chef Markus Braun
Die Ufa legt die erste TV-Produktion zum Bilanzskandal vor.
(Foto: TVNOW / Gordon Muehle )
War die Ufa-„Expedition Arktis“ rund um das Forschungsschiff „Polarstern“ eigentlich ein Erfolg? Ein riesiger. Rund 4,5 Millionen waren in der ARD dabei, das Format ist auf dem Weg zu einem weltweiten Hit.
Ihre Ufa gehört zum Bertelsmann-Imperium, wo Stoffe wie diese Expedition oder auch das Wirecard-Projekt seit geraumer Zeit möglichst medienübergreifend gespielt werden sollen. Zur Story gibt es am besten noch das Buch, den Podcast, den „Stern“-Titel oder die CD. Soll so auch die geplante Verfilmung der Affäre rund um den „Spiegel“-Fälscher Claas Relotius vermarktet werden? Nein. Der Fall Relotius ist nicht mit dem Arktis-Projekt vergleichbar. Und die Synergien bei Bertelsmann sind für mich grundsätzlich erst einmal inhaltlich getrieben.
Ihre Eltern waren selbst beide ihr Leben lang Journalisten. Wem hat Relotius mehr geschadet, dem „Spiegel“ oder dem Journalismus? Beiden, würde ich ehrlich sagen: Die Affäre ist dem Fall Wirecard übrigens gar nicht so unähnlich. In beiden Fällen wurden mit viel Energie Potemkin’sche Dörfer aufgebaut, von denen sich die Öffentlichkeit lange blenden ließ. Denken Sie daran, wie viele Journalistenpreise Claas Relotius für seine künstlich dramatisierten Reportagen bekam. Und auch Wirecard bedeutet letztlich für die ganze deutsche Finanzszene mehr als nur ein Imagedesaster.
Der Medienanwalt Christian Schertz vertritt Claas Relotius. Zugleich ist er Chefberater und Vorbild der Hauptfigur einer anderen Ufa-Produktion, der Serie „Legal Affairs“. Kann das nicht Interessenkonflikte provozieren? Das darf natürlich nicht passieren, ganz klar. Zumal Christian Schertz uns ja selbst schon viele Jahre lang anwaltschaftlich betreut.
Umso eher könnte es doch sein, dass Schertz versucht, Einfluss auf das Relotius-Drehbuch zu nehmen? Diese Gefahr gab es nie, zumal ich das Drehbuch für juristisch nicht angreifbar halte.
Coronakrise und die Ufa
Nach einem Jahr Corona – was hat das Virus bislang für die Ufa bedeutet? Wir haben uns relativ schnell nach dem Ausbruch der Pandemie mit DFL-Geschäftsführer Christian Seifert über Hygienekonzepte ausgetauscht. Die sind für große Filmsets und Fußballspiele letztlich gar nicht so verschieden. Was bei Christian Seifert die Trainerbank ist, sind bei uns die Filmteams. Seine Fußballer sind unsere Schauspielerinnen und Schauspieler. Für die Ufa hieß das: Sechs Wochen nach dem ersten Lockdown konnten wir schon wieder rund 60 Prozent unserer Produktionen fortführen, im Moment laufen wir bei über 90 Prozent. Und natürlich profitieren wir extrem von der Corona-bedingt steigenden Fernsehnutzung.
Also keine Einbrüche? Beim Umsatz war das Minus überschaubar. Aber die Gewinne sind um rund 25 Prozent abgeschmolzen, weil die neuen Hygienemaßnahmen mit all den Schnelltests, aber auch kurzfristig nötige Drehstopps mit monatelanger Verschiebung doch sehr hohe Kosten verursacht haben. Es gibt ja durchaus gewaltige Drehaufwände, wo beispielsweise getanzt oder durchaus auch geküsst werden soll. Das musste erst mal alles neu vorbereitet werden.
Im Sommer haben Sie einen Ausfallfonds für die TV-Branche gefordert. Was ist daraus geworden? Das ist nach anfänglichen Schwierigkeiten gut gelaufen – übrigens auch, was die Solidarität innerhalb unserer Produktionsbranche angeht. Gerade die kleineren Firmen trifft Corona hart.
Die Kinos sind dicht, bereits fertige Blockbuster werden nun bei Streamingdiensten verklappt. Wie ist die Situation der Filmbranche? Man muss aufpassen, dass an zwei Fronten die Risse nicht zu groß werden: Das betrifft kleine gegenüber großen Produktionsfirmen und Fernsehen versus Kino. Am härtesten erwischt Corona gerade die kleineren Firmen, die überwiegend im Kinobereich produzieren. Da müssen wir weiterhin Solidarität zeigen, denn am Ende des Tages beschäftigen wir alle die gleichen Menschen.
ZDF-Serie „Bad Banks“
Die Produktionsfirma Ufa bringt immer wieder Wirtschaftsthemen ins deutsche Fernsehen.
(Foto: ZDF und Sammy Hart)
Musikszene, Theater, Opern, Events – in der Kulturbranche kommen einem die Corona-Maßnahmen bisweilen wie Berufsverbote vor. Wie erleben Sie die Situation dort? Ich bin nah dran an diesem Thema, nicht nur weil ich nebenbei ja auch als Intendant der Nibelungen-Festspiele in Worms fungiere und zudem die künstlerische Leitung der Verleihung des Deutschen Filmpreises übernommen habe: Das Klima dreht sich nach meiner Beobachtung. Die Menschen vermissen die Kultur und Live-Events. In Verbindung mit den Impfungen und den Schnelltests wird der Druck auf die Politik jetzt enorm wachsen, tragfähige Konzepte zu entwickeln oder zu erlauben.
Länder wie Israel zeigen schon, was da möglich ist… … und auch nötig. Es ist schon erstaunlich, wie ausgerechnet ein hochentwickeltes Industrieland wie Deutschland in den vergangenen Monaten den Anschluss verlieren konnte.
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