Marika Lulay wird GFT-Chefin Die Digitalstrategin

Schon als Schülerin unter Männern.
„Die Quote wirkt!“, hat Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig vor ein paar Wochen erst wieder ausgerufen. Was läge also näher, als die Berufung einer Frau an die Spitze eines TecDax-Unternehmens in diese Schublade zu stecken? Schließlich haben derzeit nur drei Konzerne, die einem der Dax-Indizes angehören, eine Chefin. Doch für Marika Lulay, die Ende Mai die Führung des Finanzdienstleisters GFT Technologies übernimmt, wäre es die völlig falsche Lade.
Lulay ist zwar für viele Frauen in der Wirtschaft ein Role-Model und, keine Frage: Die 54-Jährige wird als eine von künftig vier Frauen mit 156 Männern auf dem Mannschaftsbild deutscher Konzernlenker auffallen. So, wie sie auch schon als Schülerin im Physik-Leistungskurs und als eine von drei Studentinnen in der Informatik-Vorlesung an der Fachhochschule Darmstadt auffiel – damals grüßte ein Dozent im Hörsaal konsequent mit „Meine Herren“, und Damentoiletten fanden sich nur auf jedem zweiten Stockwerk.
Doch Lulay atmet immer, leicht genervt, tief ein, wenn man sie auf Frauenquote oder Förderprogramme anspricht. Tatsächlich ist ihr Aufstieg vor allem logische Konsequenz einer 25-jährigen Laufbahn, die mit dem Informatik-Abschluss als Jahrgangsbeste begann und über Stationen bei der Software AG und dem US-Softwareunternehmen Cambridge Technology Partners, für das Lulay den Markteintritt in Deutschland organisierte, vor 15 Jahren zu GFT führte. Bei dem Unternehmen, das Banken und Finanzunternehmen bei der Digitalisierung berät, war Lulay von Beginn an fürs operative Geschäft verantwortlich. Sie ist enge Vertraute und gilt als rechte Hand des amtierenden Vorstandschefs Ulrich Dietz.
Der gebürtige Pforzheimer Dietz, der künftig dem Verwaltungsrat vorstehen wird, leitete seine Erklärung zur Rochade denn auch mit badischem Understatement ein: Wie der Ad-hoc-Meldung zu entnehmen sei, stünden „ein paar kleine Veränderungen“ an.
Affinität zum Risiko
Nun, ganz so klein werden sie natürlich nicht sein: Der 59-Jährige, der mit seiner Frau Maria Dietz insgesamt 36 Prozent der Unternehmensanteile hält, sitzt immerhin seit Firmengründung 1987 auf dem Chefsessel bei GFT. Zwar bleibt Dietz, der auch stellvertretender Präsident des Branchenverbands Bitkom ist, dem Stuttgarter Unternehmen als Ankeraktionär und im Verwaltungsrat als Stratege erhalten. Und Gerüchte, er strebe die Bitkom-Präsidentschaft an, tut er mit einem Verweis auf die hervorragende Leistung des amtierenden Thorsten Dirks ab. Doch Dietz will mehr Zeit haben, um sich als Privatinvestor auf die Suche nach spannenden Beteiligungen zu begeben. Über Lulay sagt er: „Sie kennt das Unternehmen wie kaum ein anderer.“
Bei aller Harmonie lässt die designierte Chefin, an deren Seite Finanzvorstand Jochen Ruetz im Amt bleibt, keinen Zweifel daran, dass keine Langeweile droht. Sie hat schon nach ihrem Einstieg 2002, als GFT gerade die Wirren des Neuen Marktes überstanden hatte, so manchen Wandel vorangetrieben: den Umzug vom Schwarzwald nach Stuttgart, den Verkauf der Software-Sparte und im Gegenzug zahlreiche Zukäufe vor allem in Südeuropa, die Konzentration auf Dienstleistungen für die Finanzindustrie.
Die energiegeladene Managerin blieb immer an Bord – sicherlich auch dank ihres Pragmatismus und einer gewissen Affinität zum Risiko, die sie etwa bewies, als sie im Alter von 23 Jahren mit Kommilitonen eine Firma für Bausoftware gründete und sich hoch verschuldete. Als sie dort wieder ausstieg, versuchte sie sich als Beraterin, ging aber schon nach der Probezeit, weil sie nicht als weibliches Aushängeschild herhalten wollte.
Das Aushängeschild blieb sie trotzdem immer, auch wegen ihrer persönlichen Biografie: Als sie 1996 Mutter wurde und kurz nach der Geburt das Jobangebot von Cambridge Technology erhielt, prüften sie und ihr Mann ihre Karrierechancen – und er hängte seinen Job an den Nagel, um sich um den Sohn zu kümmern. „Er hat auch seinen Porsche gegen einen Ford Fiesta eingetauscht, weil da der Kinderwagen reingepasst hat“, erzählt sie und grinst, weil sie weiß, dass solche Geschichten heute noch verblüffen.
Die Episode zeugt zumindest von ihrer eigenen Wandlungsfähigkeit. Auch angesprochen auf das Mantra in der Unternehmensbroschüre von GFT: „Wir müssen den Wandel als Normalität begreifen“, antwortet Lulay selbstbewusst: „Ich stehe für kontinuierliche Weiterentwicklung. Und ich verspreche, dass sich eines nicht ändern wird: dass sich die GFT weiter wandeln wird.“ Schließlich agiere man in einem Markt, „in dem Wettbewerbsvorteile nicht lange vorhalten“.
Die Notwendigkeit zum Wandel gebietet allein das hehre Ziel, 2020 einen Umsatz von 800 Millionen Euro zu erwirtschaften. Zwar kann sich die Bilanz von GFT, gerade vor dem Hintergrund der vielen Auf und Abs in der Branche, sehen lassen: Aus der kleinen Mannschaft, mit der Ulrich Dietz einst im Schwarzwald begann, hochspezielle Software zu entwickeln, sind 4 800 Mitarbeiter geworden, die 2016 in zwölf Ländern voraussichtlich 420 Millionen Euro umgesetzt haben. Doch wie will Lulay in drei Jahren diesen Umsatz noch einmal fast verdoppeln?
Wachstum in den USA
Die gebürtige Heidelbergerin wird auch zukaufen, etwa die Hälfte des angepeilten Wachstums will sie auf diesem Weg erreichen. Aber sie setzt auch auf organisches Wachstum, vor allem in Großbritannien und den USA, dem größten Markt für GFT – wo, Notiz am Rande, bislang kein Mitarbeiter von Donald Trumps neuen Einreiseregeln betroffen sei. Lulay hofft, in den USA, wo die Banken im Bereich Digitalisierung „weit zurückhängen“, mit guten Referenzen aus Südeuropa zu punkten: Unter dem Druck der Finanzkrise waren die Banken dort schon vor Jahren gezwungen, Filialen zu schließen, Kosten zu senken – und neue (digitale) Wege zu ihren Kunden zu finden.
GFT hat den Markt dort quasi abgearbeitet, und Lulay, die daran entscheidend mitgewirkt hat und gefragte Keynote-Speakerin ist, berichtet auf den Podien so unterhaltsam wie lehrreich darüber, was Digitalisierung einer Bank konkret bedeuten kann. Da erzählt sie etwa anschaulich davon, wie so ein viel gepriesenes „Innovation Lab“ eingerichtet ist – eine Art Wohnzimmer mit Sofa, Regalen und Computer, in dem Mitarbeiter in entspannter Umgebung neue Service-Ideen entwickeln und dann Rückschlüsse fürs eigentliche Bankgeschäft ziehen. Anekdoten hat sie auch parat aus dem Handy-affinen Italien, wo GFT den populären Service „Jiffy“ mit aufgebaut hat, mit dem Nutzer Geld via Mobiltelefon transferieren können – die Kontonummer des Empfängers ist dafür nicht nötig.
Auch in Deutschland peilt Lulay Wachstum an. Hier habe die Finanzindustrie lange „im Elfenbeinturm gesessen“ und Fintechs noch vor wenigen Jahren belächelt, erzählt die Digitalstrategin. Nun aber gebe es „keine Bank mehr, die sich nicht mit dem Thema beschäftigt“. Es ist eine Episode am Rande, dass es Lulay in der Finanzwelt, wo Frauen rar sind, auch heute noch passieren könnte, dass einer die Runde mit „Meine Herren“ eröffnet.
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