Markenexperte über Sprachassistenten: „Kunden identifizieren sich nicht mit Maschinen“
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Markenexperte über Sprachassistenten„Kunden identifizieren sich nicht mit Maschinen“
Der Boom der Sprachassistenten wie Alexa oder Google Home verändert auch die Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden. Markenexperte Jürgen Gietl über Herausforderungen und Chancen.
Herr Gietl, Unternehmen verbauen zunehmend kommunizierende Künstliche Intelligenz in eigene Angebote wie zum Beispiel im Kundendienst. Wo sind da die Vorteile für Unternehmen? Bei der Nutzung von Conversational AI im Kundendienst bleibt das Unternehmen im direkten Kontakt mit den Kunden und gibt die Schnittstelle nicht aus den Händen. Das ist zu befürworten, denn durch den Direktkontakt über die intelligenten Systeme können wichtige Erkenntnisse abgeleitet werden: Welche Wünsche haben meine Kunden wirklich? Was brauchen sie, um besser leben zu können? So kann eine neue Art der Kundennähe geschaffen werden. Über persönliche Kontakte ist es den Unternehmen bisher eher selten gelungen, echte Verhaltensmuster der Kunden zu erkennen, um dafür passende Angebote zu liefern.
Welche Chancen bietet das Aufkommen von Angeboten wie Google Home oder Amazons Alexa für Marken? Es ergeben sich Risiken und Chancen. Die Nutzung von Google Home und Amazon Echo ist intuitiv und spontan. Deshalb werden Marken, die im Gedächtnis der Kunden stärker und an vorderster Front verankert sind, auch gegenüber Alexa oder Google Home an erster Stelle genannt. Gut gepflegte Marken, die echte Fans haben, werden davon profitieren.
Lexikon der Künstlichen Intelligenz
Die wissenschaftliche Disziplin Künstliche Intelligenz (KI) begründete der Forscher John McCarthy. Er lud 1955 zu einer Konferenz an der Darthmouth-Universität in New Hampshire ein, um über Maschinen zu diskutieren, die „Ziele in der Welt erreichen können“. Die Definition ist allerdings bis heute umstritten – schon weil Intelligenz an sich schwer abgrenzbar ist.
Unser Bild von Künstlicher Intelligenz wird geprägt von Filmen wie „Terminator“ oder „Her“, in denen Elektronenhirne ein Bewusstsein haben und selbständig agieren – Experten sprechen von starker KI. Die Technik ist bislang weit von solchen Visionen entfernt, verbreitet aber Angst und Schrecken. Was, wenn die Maschinen schlauer werden als die Menschen und sich über sie erheben?
In der Realität zu finden ist derzeit lediglich schwache KI. Dabei handelt es sich um Systeme, die einzelne Fähigkeiten des Menschen abbilden, etwa die Spracherkennung oder Herstellung von inhaltlichen Zusammenhängen. Sie wären jedoch nicht in der Lage, die Ergebnisse zu verstehen oder inhaltlich zu diskutieren.
Die derzeit erfolgreichste Spezialdisziplin der KI ist das maschinelle Lernen. Dabei leitet der Computer aus Daten weitgehend selbständig Muster und Erkenntnisse ab. Zum Einsatz kommt die Technologie etwa bei der Sprach- und Objekterkennung – und damit an vielen Stellen, von digitalen Assistenten auf dem Smartphone bis zum autonomen Fahrzeug.
Beim maschinellen Lernen verwenden Forscher und Entwickler häufig künstliche neuronale Netze, die das Gehirn als Vorbild nehmen. Die Methode ist davon inspiriert, dass es im Denkorgan viele Verbindungen und Schichten gibt, die Informationen verarbeiten. Der Computer simuliert diese Struktur. Mit dem menschlichen Denken hat das nur entfernt zu tun: Es handelt sich um komplexe statistische Modelle.
Als Deep Learning bezeichnen Experten eine Methode des maschinellen Lernens. Dabei kommen neuronale Netze mit vielen Schichten zum Einsatz – so entsteht die namensgebende Tiefe. Die Technologie ist vielversprechend und kommt bereits auf breiter Basis zum Einsatz. Damit sie funktioniert, sind jedoch große Datenmengen nötig, sie dienen als Trainingsmaterial fürs künstliche Gehirn.
Sie sprachen über Risiken: Worin bestehen diese für Unternehmen? Die Herausforderung lautet Kategorie versus Marke. Sucht man auf dem Smartphone, Tablet oder Computer nach Yogamatten, wird eine Ergebnisliste angezeigt. Die Chance ausgewählt zu werden, existiert für alle Marken oder Händler, die zumindest auf der ersten Seite erscheinen. Bei den intelligenten Systemen sieht es anders aus: „Alexa, zeige mir Yogamatten“. Wenn meine Marke bei der Suche nach Yogamatten in diesem Moment nicht an erster Stelle im Kopf der Kunden steht und explizit genannt wird, kann sie von Alexa oder Google Home gar nicht erst gefunden werden.
Was bedeutet das für Unternehmen? Marken haben keine Wahl mehr, sie müssen die Nummer-eins-Position im Gedächtnis der Kunden einnehmen. Das Ziel muss sein, dass Kunden die Frage stellen: „Google, zeig mir Stranger Things von Netflix“, „lies mir die News von BILD vor“ oder „bestelle mir Schuhe von adidas bei Zalando“. Nur so bleiben Händler und Hersteller relevant. Und noch einen Schritt weiter gedacht: Je intensiver der Kontakt zwischen den Marken und ihren Kunden über Mittler wie Amazon, Google und Co. und deren digitale Assistenten werden, desto wichtiger wird es für Marken, einmal gewonnene Kunden selbst zu pflegen und mit einmaligen Markenerlebnissen die Präferenz für die jeweilige Marke zu festigen.
Welche Handlungsanweisung lässt sich daraus für Unternehmen ableiten? Je austauschbarer, flacher und unspezifischer die Angebote der Markenunternehmen sind, desto weniger werden sie sich in der digitalen Vergleichswelt durchsetzen. Wer verstanden hat, dass in gesättigten Märkten Menschen nicht das kaufen, was sie brauchen, sondern das, womit sie sich identifizieren und was für sie begehrenswert ist, ist im Vorteil. Und genau hier liegt das Problem. Kunden identifizieren sich mit Marken und Menschen, nicht aber mit Maschinen. Es gilt deshalb Maschinen so einzusetzen, dass die Identifikation der Kunden mit der Marke nicht leidet, sondern vielleicht sogar noch gesteigert wird. Es reicht nicht, Kunden mechanisch zu unterstützen – auch wenn diese Unterstützung noch so intelligent ist. Diese Systeme müssen den Kern einer Marke genauso verkörpern wie alle anderen Kontaktpunkte der Marken mit ihren Kunden. Es geht also nicht nur darum, mit Hilfe der AI exzellente, sondern charakteristische Markenerlebnisse zu kreieren. Wenn BMW Conversational AI einsetzt, müssen diese mehr Freude bereiten als die der Wettbewerber. Gelingt das nicht, verlieren diese Marken nach und nach ihre Relevanz, und somit den wichtigsten Hebel, um in gesättigten Märkten zu wachsen.
Die Herausforderungen ist doch auch, weg vom visuellen hin zum auditiven Auftritt zu kommen. Wie lässt sich aber zum Beispiel ein Markenimage in Sprache übersetzen? Ein Markenimage entsteht durch Erfahrungen, die Kunden mit einer Marke machen. Durch Produkte, Kommunikation oder Service. Klar definierte und geführte Marken zeichnen sich nicht nur durch eine klare Leistung, sondern auch durch einen eindeutigen, durchsetzungsstarken Stil aus. Sprache kann dabei sehr stilprägend sein. Ritz Carlton hat einmal definiert: We are Ladies and Gentlemen, serving Ladies and Gentlemen. Aus dieser Regel leitet sich ein spezifischer Sprachstil und eine Haltung ab, der bei Ritz Carlton vorherrschen sollte. Moderne Sprachsoftware kann das Wertesystem und die Positionierung bereits in stilprägende Sprache völlig automatisch übersetzen. Technologisch ist es also bereits machbar.
Wie werden intelligente Sprachassistenten unsere Interaktion mit Marken und unser Verständnis von ihnen verändern? Die Kontakte zwischen Marken und Kunden werden weiter technokratisiert. Was mit Warteschleifen begann, wird durch Sprachassistenten weitergetrieben. Problematisch ist, dass die Begehrlichkeit von Marken am intensivsten geprägt wird, wenn ein unmittelbarer Kontakt zur Marke besteht. Je weniger diese Kontakte aber markenprägend, also charakteristisch und differenzierend, gestaltet werden, desto weniger Chancen haben Marken, sich im Kopf, Herz und Bauch der Kunden zu verfestigen. Denn Marken bilden sich nicht über die Funktion, die sie bieten, sondern über den Wert und die Bedeutung, die sie den jeweiligen Kunden geben.
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