Medienmacher Das Rätsel um die „Tagesthemen“ vom 22. Juli

Der Handelsblatt-Medienexperte mit Sitz in Hamburg berichtet in seiner Kolumne über die neuesten Rochaden im Mediengeschäft.
Hamburg Man kann nicht unbedingt behaupten, dass die Ausgabe der „Tagesthemen“ vom 22. Juli eine Sternstunde des deutschen Fernsehens war. Es war der Tag des Amoklaufs von München und nicht nur die „Tagesthemen“-Redaktion war damit ziemlich überfordert. Die komplizierte Nachrichtenlage – aus dem Amoklauf wurde zwischenzeitlich fälschlicherweise ein Anschlag mit möglicherweise terroristischem Hintergrund – erschwerte die Arbeit der berichterstattenden Kollegen. Obwohl klar erkennbar war, dass es kaum belastbare Informationen gab, hielt es das Erste dennoch für eine gute Idee, das komplette Abendprogramm für die „Tagesthemen“ frei zu räumen, die bis nach Mitternacht zu sehen waren.
Entsprechend fiel das Ergebnis aus: Journalisten interviewten Journalisten, die munter drauf los spekulierten. Zwischendurch verlor Moderator Thomas Roth den Überblick: Auch nachdem die Polizei die Zahl der Attentäter auf „bis zu drei“ korrigiert hatte, sprach Roth noch eine gefühlte Ewigkeit von „mindestens drei Attentätern“.
Es gäbe also jede Menge Gründe, diese ziemlich missglückte „Tagesthemen“-Ausgabe in den Tiefen der ARD-Archive verschwinden zu lassen. Und tatsächlich war sie bei Redaktionsschluss dieser Kolumne in der Mediathek des Ersten unauffindbar. Doch dahinter steckt offenbar keineswegs Absicht. Warum sie aber in der Mediathek fehlt, lässt sich kaum sagen. Denn mit einer rational nachvollziehbaren Begründung tun sich die ARD-Kommunikatoren ausgesprochen schwer.
Zuerst äußerte sich vergangenen Dienstag die Social-Media-Redaktion des Ersten via Twitter: „Die Sendung ist aus rechtlichen Gründen nicht in der Mediathek verfügbar“, schrieb sie. Nur zwei Tage später kassierte ein Sprecher des NDR, der für ARD-aktuell - der Redaktion von „Tagethemen“ und „Tagesschau“ - verantwortlich ist, diese Erklärung wieder ein: „Die twitternden Kollegen des Ersten haben sich geirrt“, sagte er gegenüber dieser Kolumne. „Wir haben sie um Richtigstellung gebeten.“
Allerdings kann auch der NDR-Sprecher die Gründe für das Fehlen der „Tagesthemen“-Ausgabe in der Mediathek nur sehr bedingt erklären. Er verweist zunächst darauf, dass sie mit „3 Stunden, 14 Minuten außergewöhnlich lang“ lang gewesen sei. „Wegen der weiter angespannten Nachrichtenlage unterblieb danach das Encoding - es beansprucht in etwa noch einmal die gleiche Zeit wie die Sendung.“ Das lässt sich nachvollziehen. Unverständlich bleibt jedoch, warum dieses „Encoding“ auch eine Woche nach Ausstrahlung der Sendung noch nicht erfolgt ist.
Noch seltsamer wird es, wenn der Sprecher darauf verweist, dass die „Tagesthemen“-Ausgabe vom 22. Juli schon seit Tagen über den Facebook-Account der „Tagesschau“ abgerufen werden kann. Warum war bei Facebook das „Encoding“ problemlos möglich? Und müssen wir uns daran gewöhnen, dass bestimmte Inhalte der gebührenfinanzierten ARD mobil und online künftig nicht mehr in deren Mediathek, sondern nur noch über einen US-Internetkonzern zugänglich sind? Medienpolitisch wäre das auf jeden Fall eine bemerkenswerte Entwicklung.
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