Milliardenstrafe gegen Google Großer Schlag gegen den Riesen

2,42 Milliarden Euro muss Google wegen Missbrauchs seiner Marktmacht zahlen.
Die EU-Kommission hat sich viel Zeit gelassen mit der Entscheidung. Bereits im November 2010 hatte sie mit der Untersuchung gegen Google begonnen. Der Vorwurf: Wenn ein Kunde über die Suchmaschine eine Abfrage startet, stellt der Konzern eigene Dienste wie Google-Shopping prominenter vor als die von Konkurrenten. Anbieter wie Billiger.de oder Idealo fühlten sich davon benachteiligt und klagten. Sieben Jahre später steht fest: Sie hatten recht. Die zuständige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager brummte Google am Dienstag die Rekordstrafe von 2,42 Milliarden Euro auf, weil der Konzern seine dominierende Marktposition missbraucht habe.
Noch nie hat die EU-Kommission eine so hohe Strafe verhängt. Und es könnte mehr werden: Sollte Google den Umgang mit seinen Diensten innerhalb der kommenden 90 Tage nicht ändern, drohen weitere Strafen. In zwei anderen, noch laufenden Verfahren, ist die Kommission zudem schon zu dem vorläufigen Schluss gekommen, das Google dort ebenfalls seine Marktmacht missbraucht habe. Zum einen geht es dabei um Googles Betriebssystem Android. Die Kommission bemängelt, dass Hersteller von Android-Geräten Google-eigene Apps vorinstallieren müssen und so die marktbeherrschende Stellung weiter ausbaut wird. Auch der Google-Werbedienst Adsense steht im Fokus: Nach Auffassung der Kommission soll der Konzern damit verhindern, dass Webseiten von Dritten auf Suchmaschinenwerbung von Wettbewerbern zugreifen können.
Die am Dienstag getroffene Entscheidung treffe Google denn auch „bis ins Mark, nämlich in seiner Innovationsfähigkeit“, sagte ein mit dem Fall vertrauter Brüsseler Kartellrechtsexperte, der sich nicht zitieren lassen will. „Ob dieser Eingriff rechtlich und ökonomisch hinreichend begründet ist, werden die europäischen Gerichte zu beurteilen haben.“ Google selbst argumentiert, seine Daten würden zeigen, dass Kunden auf der Suche nach einem Produkt nicht auf eine andere Suchmaschine weitergeleitet werden wollten, sondern direkt zum Angebot. Der US-Konzern erwägt Einspruch gegen die Entscheidung.
In der Vergangenheit hat der zuständige Europäische Gerichtshof (EuGH) in vergleichbaren Fällen aber fast immer der Kommission recht gegeben. Einen wichtigen Fingerzeig über die Erfolgsaussichten Googles dürfte ein Urteil geben, dass für die kommenden Monate erwartet wird: Der US-Chiphersteller Intel hatte vor dem EuGH gegen die bisherige Rekordstrafe wegen Marktmachtmissbrauchs von gut einer Milliarde Euro geklagt, der Generalanwalt unterstützte die Argumentation des Unternehmens in wichtigen Teilen. Sollten die Richter dem Gutachter folgen, würden Googles Erfolgsaussichten laut Kartellexperten deutlich steigen.
Finanziell lässt sich die Strafe für Google verkraften, operativ verdiente das Unternehmen fast 24 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr. Allerdings könnte die Strafzahlung nur der Anfang sein: Durch Kartellverstöße Geschädigte können inzwischen weitaus leichter Schadensersatz einklagen, eine neue EU-Richtlinie und die daraus abgeleitete Änderung des deutschen Wettbewerbsrechts machen es möglich. Auf die Mitglieder eines Lkw-Herstellerkartells, gegen die die Kommission im vergangenen Sommer entschieden hatte, rollt bereits eine milliardenschwere Klagewelle zu. Anwaltskanzleien wittern bereits das große Geschäft, mehrere auf Schadensersatzklagen spezialisierte US-Kanzleien haben bereits Büros in Europa eröffnet.
Bei der Konkurrenz gibt man sich bedeckt: Microsoft, Betreiber der Suchmaschine Bing, will den Kommissionsentscheid nicht kommentieren. Wolfgang Sander-Beuermann, Vorstand und Geschäftsführer von Suma, der gemeinsam mit der Leibniz Universität Hannover die Suchmaschine „Metager“ betreibt, erklärte aber: „Ich gehe davon aus, dass die Kläger im Kartellverfahren nun auch Schadensersatz gelten machen werden.“ Das britische Vergleichsportal Foundem, das unter anderem gegen Google Klage eingereicht hat, habe seiner Meinung nach erdrückende Beweise gesammelt.
Angst vor Google?
Ein Brancheninsider, der nicht namentlich genannt werden will, sieht das kritischer: „Alle sind bemüht, die Klappe zu halten, aus Angst, von Google plattgemacht zu werden.“ Am Ende sei man doch von der Suchmaschine abhängig und könne sich eine Klage gegen den Konzern nicht leisten. Er sieht das Problem zudem nicht nur bei den Shoppingergebnissen, auch bei Reisen sieht er mit den Angeboten Google Flights und dem Pendant für Hotels einen Marktmissbrauch der Monopolstellung.
Trotzdem: Für die Branche sei die Entscheidung ein „starkes Signal“, wie Philipp-Christopher Peitsch, Geschäftsführer des Preisvergleichsportals Idealo sagt: „Wir glauben, dass die Entscheidung vom heutigen Tage die Investitionsfreude in einem Markt, in dem sich jede wesentliche Investition der letzten Jahre an der Frage ‚What will Google do?‘ messen musste, wieder deutlich steigern wird.“ Ein Sprecher von Billiger.de macht deutlich: „Sinkt die Sichtbarkeit in der Google-Suchmaschine, wie es in den vergangenen Jahren in Summe der Fall ist, sinkt entsprechend fast eins zu eins unser Umsatz mit nicht undramatischen Auswirkungen.“
Laut Wettbewerbskommissarin Vestager hatte Google seinen Shopping-Dienst stets oben auf der ersten Seite der Trefferliste gerankt. Die Konkurrenten seien nachweislich im Durchschnitt erst ab Seite vier angezeigt worden. So weit hinten platziert würden sie von den Nutzern kaum noch wahrgenommen: Etwa 95 Prozent aller Klicks entfielen am Desktop-Computer auf die zehn höchstplatzierten Suchergebnisse auf der ersten Seite. Bei Mobilgeräten sei der Effekt noch ausgeprägter, so die Kommission.
Durch diese Diskriminierung habe Google seinem zunächst wenig erfolgreichen Vergleichsdienst ab 2008 enorme Wachstumsraten verschafft. Die Anzahl der Aufrufe von konkurrierenden Websites sei hingegen parallel eingebrochen, in Deutschland um 92 Prozent und in Frankreich um 80 Prozent. Einige Wettbewerber hätten über die Zeit einen Teil der Nutzer zurückgewonnen. Um ihren Vorwurf zu belegen, werteten die Kommissionsbeamten rund 1,7 Milliarden Google-Suchanfragen aus.
In der europäischen Politik trifft Vestagers Entscheidung auf viel Zustimmung. Bundesjustizminister Heiko Maas äußerte Sorge darüber, dass es mittlerweile Unternehmen gebe, die sich für supranational und über dem Recht stehend halten. „Fairen Wettbewerb gibt es im Digitalsektor nur, wenn gleiche Bedingungen für alle Akteure herrschen“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. Es sei ein „schwerer Missbrauch von Marktmacht“, wenn Google seine eigenen Produkte besserstelle. Auch der CSU-Wirtschaftspolitiker Markus Ferber sprach von einem „glasklaren Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung“. Das Verfahren habe aber viel zu lange gedauert. Gerade in der schnelllebigen Digitalwirtschaft führe das zu oft dazu, dass sich Marktmissbrauch am Ende auszahle und die Konkurrenz vom Markt gedrängt werde, so der Europaabgeordnete. Andreas Mundt, Chef des Bundeskartellamts, sagte dem Handelsblatt: „Die Entscheidung der Kommission zeigt, dass die Wettbewerbsbehörden im Umgang mit den Internetgiganten eine ganz zentrale Rolle einnehmen.“
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