Münchener liefern Erkennungstechnik Google vertraut Infineon

Smartwatch-Präsentation auf der Google-Entwicklerkonferenz I/O: Infineons Chip soll der Computeruhr nun zum Durchbruch verhelfen.
München, San Francisco Als die Hand sich der Uhr nähert, leuchtet das Display auf. Ein blaues Signal wandert über den Bildschirm. Ivan Poupyrev reibt zwei Finger gegeneinander. Songtitel, Nachrichten, das Wetter tauchen auf, verschwinden. Dabei hat der Google-Manager das Gerät nicht angefasst.
„Mit Gestenerkennung können wir die Interaktion von Mensch und Maschine revolutionieren“, sagt der Designer auf der Bühne im kalifornischen Mountain View, dem Stammsitz seines Arbeitgebers. Dies sei „eine komfortable Alternative zur bisherigen Steuerung durch Berührung oder Spracherkennung“.
Auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz I/O präsentiert Google eine neue Sprache für das Internet der Dinge. Sie könnte eines der zentralen Probleme der Branche lösen. Bislang scheitert die Vision von der vernetzten Welt, in der Menschen problemlos mit Uhren, Thermostaten, Lautsprechern oder Autos kommunizieren, an mangelnder Bedienbarkeit. Vor allem die Smartwatch, der Minicomputer fürs Handgelenk, sieht immer noch aus wie ein geschrumpftes Telefon. Auf dem Bildschirm ist kaum Platz für sinnvolle Navigation.
Der wohl wichtigste Wegbereiter für die sich nun abzeichnende Revolution aber kommt aus Deutschland. Der Münchener Dax-Konzern Infineon liefert die entscheidende Hardware, um die Bewegungen des Nutzers erkennbar zu machen – und in Signale für das Betriebssystem der Uhr umzuwandeln. Was sich Google an externem Wissen ins Haus holt, wurde am Standort in Regensburg entwickelt.
Computerchips, die auf Luftdruck reagieren
Seit Ende 2014 kooperieren die Deutschen mit Google im Rahmen von „Project Soli“. Die ungewöhnliche Zusammenarbeit könnte die Art und Weise, in der Menschen mit Technik umgehen, neu definieren. „Erstmals in der Geschichte richten sich die Werkzeuge nach ihren Benutzern, statt umgekehrt“, sagt Andreas Urschitz. Der Österreicher führt die Sparte Power Management & Multimarket (PMM), zu der das Mobilfunkgeschäft zählt. Der neuartige Chip besitze großes Potenzial: „Hieraus könnte ein Milliardenmarkt werden. Es sind viele Geräte vorstellbar.“
Infineon vollzieht bei der Partnerschaft mit Google eine strategische Wende. Vor fünf Jahren hatte der Konzern seine Handy-Sparte an Intel verkauft. Damit schien sich Deutschlands größter Chiphersteller endgültig aus dem Mobilfunkgeschäft zu verabschieden. Doch es kam anders. Inzwischen beliefern die Münchener die Telefonhersteller wieder im großen Stil. Von Apple über Huawei bis Samsung stehen alle bekannten Namen der Branche in der Kundenkartei.
Der Halbleiterkonzern erwartet kräftig steigende Umsätze mit den Smartphone-Produzenten. „Bislang sind in einem durchschnittlichen Handy Chips im Wert von zwei Dollar von Infineon. Wir gehen davon aus, dass wir in zwei Jahren auf drei Dollar kommen können“, sagt Urschitz. Die Kooperation mit Google soll Infineon den Zukunftsmarkt „Internet der Dinge“ erschließen.
Es sind einerseits völlig neuartige Chips, mit denen der Manager zusätzliche Aufträge ergattern möchte. Darunter auch ein Sensor, der auf einen Zentimeter genau die Höhe misst. Das sei weltweit einmalig, schwärmt Urschitz. Das Bauteil lasse sich für die Navigation in Gebäuden nutzen, aber auch für die vielen populären Fitnessanwendungen. Die erkennen bislang meist nur die Bewegung, registrieren aber nicht, wenn es rauf oder runter geht. „Der Chip reagiert extrem empfindlich auf die Veränderung des Luftdrucks“, erklärt Urschitz.
Auf die eigenen Stärken konzentrieren
Viel wird davon abhängen, wie gut die Chips in der Praxis funktionieren. Im Fall von „Project Soli“ ist die Zahl der Gesten und zugeordneten Befehle auf rund fünf beschränkt. Wie reibungslos Nutzer mit der Technologie interagieren, muss sich noch zeigen.
Doch selbst wenn die Neuentwicklungen nicht wie geplant einschlagen: Der Handyumsatz von Infineon werde steigen, ist Urschitz überzeugt: „Die neuen Mobilfunkstandards erfordern zusätzliche Halbleiter in den Geräten.“ Die derzeit gebräuchliche vierte Generation, besser bekannt als LTE, wird in den nächsten Jahren aufgerüstet. Weil alle früheren Standards ebenfalls erfüllt werden müssen, braucht es immer mehr Halbleiter.
Allerdings: Infineon ist weit davon entfernt, das einstige, umfassende Mobilfunkgeschäft wieder aufleben zu lassen. Bis Anfang des Jahrzehnts haben die Bayern praktisch das komplette Innenleben eines Telefons angeboten. Gegen wesentlich größere Wettbewerber wie den US-Konzern Qualcomm tat sich die ehemalige Siemens-Tochter aber zunehmend schwer. Daher war der damalige Vorstandschef Peter Bauer heilfroh, als Intel Anfang 2011 mehr als eine Milliarde Euro für den Bereich bezahlte.
Nun beliefert Infineon die Handyproduzenten wieder – aber eben nur in ausgewählten Bereichen, in denen der Konzern eine führende Position einnimmt. Das sind insbesondere Chips für Handy-Ladegeräte, aber auch Mikrofone und Signalverstärker.
PMM ist die zweitgrößte Sparte von Infineon mit einem Quartalsumsatz von zuletzt 510 Millionen Euro. Damit steht die Division für etwa ein Drittel aller Erlöse. Den größten Anteil haben Autochips mit 42 Prozent vom Konzernumsatz. Mit einer operativen Marge von 15 Prozent erfüllte PMM im vergangenen Quartal genau das Renditeziel von Vorstandschef Reinhard Ploss.
Marktsättigung erreicht
Für Infineon ist es wichtig, dass das Geschäft im Mobilfunk nicht allein an den Telefonen hängt. Deshalb ergibt der Vorstoß Richtung Wearables, also tragbarer Technologien, Sinn. Weil in den Industrieländern inzwischen fast jeder ein Smartphone besitzt, sinken die Verkaufszahlen. Im ersten Quartal gingen den Experten von Juniper Research zufolge nur noch 320 Millionen Stück über die Ladentheken, sechs Prozent weniger als im Vorjahr.
Selbst Apple hat zu Jahresbeginn weniger iPhones als im selben Zeitraum 2015 verkauft. Es war das erste Minus in der Geschichte des Apple-Smartphones. Das hat zwar auch Infineon belastet, aber andere Chiphersteller leiden viel mehr.
Infineon-Chef Ploss ist deshalb zuversichtlich. Der Unternehmenslenker erwartet 2016 ein Umsatzplus von zwölf Prozent.
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