Piper-Chefin Felicitas von Lovenberg: „Das Buch ist schöner als ein paar Bits“
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Piper-Chefin Felicitas von Lovenberg„Das Buch ist schöner als ein paar Bits“
Die Chefin des Münchner Traditionsverlags Piper spricht im Handelsblatt-Interview über die allerorten bedrohte Lesekultur, die Grenzen des Digitalen und die Kraft von „Harry Potter“.
„Alles verschwimmt in dieser elektronischen Soße“, sagt die Chefin des Piper Verlages über eReader.
(Foto: Thomas Dashuber )
Mehr Branchenerfahrung geht wohl kaum: Felicitas von Lovenberg war nicht nur viele Jahre Literaturkritikerin. Sie schrieb auch selbst. Neuerdings lernt sie das Geschäft, das Literatur eben auch immer ist, noch von einer anderen Seite kennen: als Chefin des großen Traditionsverlags Piper. Das Medium Buch liegt ihr also am Herzen. Noch mehr kämpft die 43-Jährige aber für etwas viel Größeres: das Lesen an sich.
Frau von Lovenberg, Sie waren einst Literaturchefin der „FAZ“ und sind nun Chefin des Piper Verlags. Wer steht vor den größeren Herausforderungen, die Zeitung oder das Buch? Wir sitzen wohl alle auf demselben Baum, an dessen Wurzeln mittlerweile von vielerlei Seiten intensiv gesägt wird. Da geht es gar nicht mehr so sehr um die Frage Papier oder Digital, sondern um die Vermittlung von Inhalten, von Wissen generell. Das E-Book zum Beispiel hat nirgendwo auf der Welt die Durchschlagskraft entwickelt, die man anfangs erhofft oder befürchtet hatte, je nach Standpunkt. Belletristik geht als E-Book recht gut, Sachbücher hingegen verkaufen sich kaum.
Was ist dann das Problem des gedruckten Buches? Dasselbe wie das der Zeitungen: Uns allen brechen die Leser weg. Noch 2012 hat sich jeder Mensch hier zu Lande statistisch gesehen mindestens einmal pro Jahr ein Buch gekauft. Diese Reichweite hat sich praktisch halbiert…
… was bedeutet, dass viele Menschen gar nicht mehr lesen? Leider. Aktuelle Medien wie Sie können sich dann noch andere Formate ausdenken. Das Buch aber, gleich wie seine Oberfläche beschaffen ist, bleibt ein Buch und verlangt einen Leser, der bereit ist, sich in einen Stoff zu versenken. Dagegen spricht heute schon der chronische Druck, dem jeder von uns unterliegt, alle zehn Minuten Mails und Messages checken zu müssen. In den USA ist „Deep Reading“ bereits als Schulfach anerkannt, weil man dieses tiefe Lesen sonst einfach nicht mehr lernt. Da fragt man sich als Verlag mitunter schon: Wie kann man überhaupt noch reagieren?
Vita Felicitas von Lovenberg
Felicitas von Lovenberg studierte in Oxford Geschichte und wurde nach einem Praktikum bei der Süddeutschen Zeitung vom FAZ-Feuilleton entdeckt. 2001 holte Frank Schirrmacher sie zur Literatur, die sie später und bis 2016 verantwortete. Daneben moderierte sie Literatursendungen im Fernsehen. Im Frühjahr 2016 übernahm sie die verlegerische Geschäftsführung des Piper Verlags in München. Sie sitzt in der Jury des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, der am 13. Oktober an Margaret Atwood verliehen wird, die bei Piper verlegt wird.
1904 gegründet, gehört Piper seit 1995 zur schwedischen Bonnier-Gruppe. Mit rund 100 Mitarbeitern setzt das Unternehmen rund 50 Millionen Euro um. Piper-Autorin Margaret Atwood erhält kommenden Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Alle paar Jahre taucht doch immer noch irgendein Weltbestseller auf wie „Harry Potter“… … und hilft mit seiner schieren Wucht der gesamten Buchindustrie, stimmt. Deshalb kämpfe ich auch immer für Joanne K. Rowling, weil man gar nicht in Zahlen ermessen kann, was diese Schriftstellerin für den Buchmarkt getan hat. Bis heute sind Menschen geradezu süchtig nach ihren „Harry Potter“-Bänden. Und wer einmal derart in den Sog des Lesens geraten ist, der bleibt – hoffentlich – dabei.
Alle haben heute eine Digitalstrategie. Piper auch? Ganz ehrlich: In den vergangenen Jahren haben viele Verlage in digitale Geschäftsfelder Unsummen von Geld investiert, das sie eher nicht mehr wiedersehen werden. Und diese Erkenntnis ereilt uns zu einem Zeitpunkt, da wir merken: Käufer und Leser kommen uns in erschreckendem Maß abhanden. Uns geht’s also nicht mehr so sehr um die Frage: Auf welchen Kanälen wollen die Leute lesen? Das bedienen wir alles. Es geht vielmehr darum, das Kulturgut Lesen vorm Aussterben zu bewahren.
„Bücher sind Mittel unserer Menschwerdung“, sagte einst Ihr Verlagsgründer Reinhard Piper. Taugt das Buch überhaupt noch zum Leitmedium? An diesem Punkt stehen wir als Gesellschaft tatsächlich gerade – und das gilt nicht nur für das Land, in dem der Buchdruck erfunden wurde. Immerhin unterstützt uns da die Wissenschaft, die in vielen Studien längst gezeigt hat, wie wichtig das Lesen für die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen und dessen Entwicklung ist. Leser sind klüger, neugieriger, seelisch stabiler …
Weil Lesen aber auch anstrengend sein kann, greifen immer mehr zum Youtube-Tutorial oder der Sprachnachricht… … wobei es auch ermutigende Zeichen gibt. In meinem eigenen Bekanntenkreis erlebe ich immer öfter Menschen, die das Smartphone weglegen oder sich wieder ein ganz schlichtes Handy zulegen, mit dem man nur telefonieren kann – gegen die Fremdbestimmtheit. Smartphones locken uns in eine Abhängigkeit bis hin zur Sucht. Insofern müssten wir Verlage da eigentlich eine viel größere Allianz schmieden.
Immerhin erscheinen jedes Jahr noch 95.000 neue Bücher, was die Begeisterung des Konsumenten sicher nicht erhöht. Und dazu kommt: Reader-Scans haben ergeben, dass Buchrezensionen längst nicht mehr so stark gelesen werden, wie wir uns das wünschen würden. Also finden Bücher auch in den tagesaktuellen Leitmedien immer weniger Eingang, was die Bedeutung des Buches weiter erodieren lässt. Ein Teufelskreis…
… dem die Literaturkritik nichts entgegenzusetzen hat? Sie gefällt sich eben oft in einer Nische. Nur: Wenn drum herum nichts mehr ist, verschwindet auch die Nische irgendwann. Ich kämpfte deshalb schon früher für eine Literaturkritik, die Bestseller selbst kreieren will, statt die vorhandenen von oben herab zu diskreditieren.
Ihr „FAZ“-Vorgänger Marcel Reich-Ranicki… … hat nie den Fehler gemacht, seine Leser zu unterschätzen. Er hat das Lesen von Büchern, die ihm wichtig waren, nicht angeordnet, sondern er hat derart überzeugend von ihnen geschwärmt, dass man selbst gleich loslesen wollte. Solche Art unwiderstehlicher Vermittlung tut auch heute not. Nehmen Sie etwa den Deutschen Buchpreis: Dort werden – anders als beim großen Vorbild, dem britischen Booker Prize – oft vor allem schwergängige Werke nominiert. Schon die Shortlist ist dann so seriös, dass der kleine Buchhändler die Titel kaum mehr bestellt, weil sie kaum Käufer finden. Schon die Shortlist ist dann so anspruchsvoll, dass viele Buchhändler die Titel kaum mehr bestellen, weil sie dafür kaum Käufer finden.
Sie reden sich in Rage. Weil mich das wirklich aufregt. Dabei wurde der Preis einst gegründet, um das Lesen zu feiern. Kein Land vergibt so viele Literaturpreise wie Deutschland – und schafft es dabei so ausdauernd, den Lesern die Freude zu verderben. Und das in Zeiten wie heute…
… in denen auch Self-Publishing Ihnen zusetzt? Immer mehr Autoren sparen sich den Umweg über Verlage und bringen ihre Stoffe selbst via Netz auf den Markt. Sie haben ja schon gemerkt: Zunächst einmal finde ich es gut, wenn Menschen schreiben und erzählen und also auch lesen. Ich glaube aber, dass Verlage den Autoren da eine wichtige Unterstützung bieten können. Viele Self-Publisher finden dann ja auch irgendwann zu einem Verlag. Das physische Buch ist am Ende etwas Schöneres und Erhebenderes als ein paar Bits.
Im Urlaub sind die E-Reader doch prima… … aber alles verschwimmt in dieser elektronischen Soße: die Autoren, die Titel, die Inhalte, die Preise, die Cover und die Verlage. Wenn diese Bücher stattdessen alle auf Ihrem Nachttisch lägen, ich garantiere Ihnen, dass Sie zu jedem eine Beziehung hätten.
Ist Amazon Totengräber oder Rettungsanker der Buchbranche? Alles… und alles gleichzeitig. Über die Bedeutung des US-Konzerns und seine Macht lässt sich nicht mehr streiten. Interessant ist dann schon eher, sich Länder anzuschauen, in denen Amazon gar nicht vertreten ist.
Die gibt’s noch? Ja, zum Beispiel Schweden hat ohne Amazon einen völlig anderen Buch- und damit Lesermarkt. Andererseits ist das Unternehmen für uns hier in Deutschland natürlich ein extrem wichtiger Partner.
Wie hoch ist der Umsatzanteil, den die Verlagsbranche Amazon verdankt? Querbeet sind es inzwischen an die 20 Prozent. In vielen Fällen heißt das: höher als der anderer großer Buchhandels-Ketten.
Nehmen wir an, dass wir im Buchladen unseres Vertrauens einen neuen Roman für 20 Euro kaufen. Wer bekommt davon was? Etwa die Hälfte geht schon mal an den Buchhändler, der Autor erhält eine prozentuale Beteiligung von jedem verkauften Exemplar. Die Auslieferung muss noch bezahlt werden, und natürlich die gesamte Arbeit des Verlags: Lektorat, Herstellung, Pressearbeit, Marketing, Vertrieb…
Und welche Rolle spielen Literaturagenten in diesem Gefüge? Nun, auch sie müssen sich bezahlt machen – und werden von den Autoren beteiligt. Allerdings verkauft man als Verlag von einem Titel mit Agent darum noch nicht mehr als ohne.
Klingt nicht nach gedeihlicher Zusammenarbeit. Doch, durchaus. Es gibt sehr gute und vertrauensvolle Beziehungen, aber natürlich auch solche, die schwierig sind, wenn es nur noch ums Geld geht und der Autor und sein Werk gar keine Rolle mehr spielt. Viele Autoren wollen dieses leidige Thema gern outsourcen. Das verstehe ich sogar.
Apropos: Was bleibt beim Schriftsteller übrig von unserem Buch? Pi mal Daumen in dem skizzierten Fall neun bis zehn Prozent vom Netto-Ladenpreis…
… also in unserem Fall knapp zwei Euro… … die wiederum gegengerechnet werden müssen zu dem Vorschuss, den der Autor vom Verlag bekommen hat.
Große Piper-Autorinnen wie Hannah Arendt oder Ingeborg Bachmann würden heute hart an der Armutsgrenze entlang philosophieren, oder? Nein, das glaube ich nicht. Vom Schreiben vermögend zu werden, war zu allen Zeiten schwierig. Der Kreis der lebhaft Interessierten war schon mal größer. Und früher waren zum Beispiel die Bibliotheken wichtige Kunden, die gerade bei den anspruchsvollen Titeln eine Art Sockelabnahme garantierten. Diese Nachfrage besteht nicht mehr.
Wovon lebt ein Autor heute dann? Auftritte, Lesereisen, Nebenjobs… Aber auch dieses Lamento begleitet die Branche im Grunde schon seit der Erfindung des Buches. Neu ist nur die Wucht einer sich digital völlig neu formierenden Gesellschaft.
Wenn Piper ein Mensch wäre, wie würden Sie ihn – oder sie – beschreiben? Lebhaft, neugierig, offen. Auch tolerant, streitbar. Und optimistisch!
Wovor hatten Sie hier am meisten Respekt? Immerhin ist Ihr Vorgänger nicht ganz freiwillig gegangen... Am meisten Respekt hatte ich sicher vor dem Team hier, der großen Tradition des Hauses und der Führungsaufgabe. Ich sage gern: 99 Leute bei Piper wissen genau, was sie tun, und daneben gibt’s noch mich…
… als Gesicht und Kopf des Verlags? Genau. Und hoffentlich auch als Herz.
Was erwartet Ihr schwedischer Mutterkonzern Bonnier von Ihnen? Dass ich wichtige und erfolgreiche Autoren für uns gewinne, die Außenwirkung und die Marktposition des Verlags verstärke und das Haus in guter Verfasstheit führe. So aufgestellt, lassen sich hoffentlich auch guter Umsatz und Rendite erzielen.
Wie hoch sollte der Gewinn sein? Da Bonnier aus dem Buchgeschäft kommt, muss man unseren Gesellschaftern die Marktsituation nicht erklären. Da geht es in erster Linie um eine stabile Geschäftsentwicklung. Als eine Ihrer ersten Amtshandlungen mussten Sie den angeschlossenen Berlin Verlag klein- oder gesundsparen. Das sorgt auch für Schmerzen… Für extreme Schmerzen, ja. Und sicher würde man diese Aktion mit dem Abstand von heute schon wieder etwas anders gestalten. Wie ja vieles im Leben. Es war aber nötig zu handeln, und jetzt steht der Berlin Verlag sehr gut da.
Woran erkennt man am aktuellen Piper-Programm bereits Ihre Handschrift? An den Titeln, zumal den Spitzen der Programme, aber auch an ihrer Optik und Gestaltung, die mir ebenfalls wichtig ist. Der Verlag hat ein sehr breites Programm, das in seinem Facettenreichtum durchaus zu mir passt. Es gab indes früher Nachbarschaften in den Programmen, die mir nicht eingeleuchtet haben. Unterhaltende Autoren findet man nun in den Vorschauen bei den anderen ihrer Zunft, und die Literaten ebenfalls. Das bringt beide Seiten mehr zum Strahlen.
Sehen Sie schon Erfolge Ihrer Strategie? Wir stehen von den Programmen und den Bestsellerplatzierungen her deutlich besser da als noch vor einigen Jahren. Gerade bei den deutschsprachigen Autoren haben wir starke neue Namen und Titel: Jan Weiler, Mareike Krügel, Rolf Dobelli – um nur einige wenige zu nennen. Dennoch ist es so, dass sich auch Top-Titel heute schlechter verkaufen? Ja, wir haben ja bereits ausführlich über den Leserschwund gesprochen. So kann es passieren, dass Autoren, die früher - sagen wir mal – 5000 Bücher pro Woche verkauft haben, heute mit deutlich geringeren Stückzahlen dieselbe Bestseller-Platzierung erreichen.
Sie haben selbst zwei Bücher geschrieben, die eher dem Unterhaltungs-Genre zuzuordnen sind. Wie haben die sich verkauft? Furchtbar. Es bedrückt einen, oder jedenfalls mich, ja geradezu persönlich, wenn man nach einem Vorschuss nie mehr etwas aus den Verkäufen erhält, denn das verrät zugleich: Der Verlag zahlte drauf.
So schlimm? Bei „Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie?“ war‘s gar nicht so schlecht. Aber „ Plötzlich war ich zu sechst“ zum Thema Patchworkfamilie blieb doch sehr hinter den Erwartungen zurück. Das Thema ist wohl doch noch immer ein Tabu, auch wenn so viele heute damit zu tun haben.
Hat sich die Literaturkritikerin mittlerweile in eine Verlegerin verwandelt? Ich spüre hier jedenfalls große Akzeptanz, vertrete etwas Gemeinsames und stehe für das Team, für die Autoren und die Mitarbeiter. Als ich hierher kam, ist mir viel Zaghaftigkeit begegnet, in der Art: „Wir sind ja nur Piper.“ Dabei kann das Haus stolz auf sich und seine Inhalte sein. Heute kann ich sagen: Unser Selbstbewusstsein wächst.
Haben Sie es je bereut, die „Frankfurter Allgemeine“ verlassen zu haben? Nein. Ich bin extrem dankbar für die Zeit bei der Zeitung, aber ich verspürte nach achtzehn Jahren auch den Wunsch nach Veränderung. Da ich mich immer eher als Literaturvermittlerin denn als Kritikerin gesehen habe, war die Vorstellung, die Bücher von Anfang an begleiten zu können, stets eine reizvolle. Insofern fühle ich mich in der Verlagswelt sehr zuhause.
Frau von Lovenberg, vielen Dank für das Interview.
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