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Snapchat-Börsengang Übergesnapt oder ein Riesenerfolg?

Snap, der Konzern hinter dem Bilderdienst, wird ab Donnerstag in New York gehandelt. Noch macht er vor allem Verluste. Investoren sind trotzdem angetan. Vier Thesen zu den Erfolgsaussichten von Snapchat.
01.03.2017 - 11:36 Uhr Kommentieren

Düsseldorf, San Francisco, New York Einer der größten Börsengänge des Jahres steht kurz bevor: Am Mittwoch nach Handelsschluss in New York will Snap, der Betreiber der Bilder-App Snapchat, den offiziellen Preis für seine Aktie bekanntgeben. Bis zu 22 Milliarden Dollar soll das Unternehmen wert sein. Am Donnerstag startet der Handel.

Für Anleger ist die Aktie eine riskante Wette auf die Zukunft. Snap hat im vergangenen Jahr 515 Millionen Dollar Verlust gemacht – bei einem Umsatz von 405 Millionen Dollar. Hinzu kommt: Die Aktionäre an der Börse bekommen keinerlei Stimmrecht. Um Investoren zu überzeugen, setzt der Konzern auf Wachstum und seine Hauptzielgruppe, die Jugendlichen. Die sind gerade für Marken höchst interessant.

Erste Analysten rechnen auch damit, dass Snap sein Minus bereits in diesem Jahr deutlich verringern kann.

Das Unternehmen schreibt aber nicht nur hohe Verluste, sondern hat auch einen mächtigen Konkurrenten: Facebook. Mit drei Milliarden Dollar versuchte Mark Zuckerberg mehrere Male, den Dienst zu übernehmen, die beiden Snap-Gründer Evan Spiegel und Bobby Murphy lehnten immer ab. Seitdem lässt der Facebook-Chef nichts unversucht, Snapchat die Nutzer abzugraben – und der Bilderdienst wehrt sich.

Die Erfolgsaussichten für Snap und den geplanten Börsengang des Unternehmens analysiert das Handelsblatt in vier Thesen.

1. Die Investoren werden zugreifen

Es ist der entscheidende Punkt: 2016 machte der Konzern 515 Millionen Verlust, was viele Analysten am Börsengang zweifeln lässt. Das Marktforschungsunternehmen eMarketer schätzt allerdings, dass die Werbeumsätze schon in diesem Jahr an der Milliardengrenze kratzen und damit den Verlust ausgleichen könnten. Snaps größter Kostentreiber ist die IT. Dabei baut der Konzern keine eigenen Kapazitäten auf, sondern mietet sie von Anbietern wie Amazon.

Ab Donnerstag wird hier die Snap-Aktie gehandelt. Quelle: Reuters
Börse in New York

Ab Donnerstag wird hier die Snap-Aktie gehandelt.

(Foto: Reuters)

Immerhin: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Umsatz fast versiebenfacht, während der Verlust nur um 36 Prozent gewachsen ist. Die Investoren greifen zu, heißt es aus Finanzkreisen, und das gilt insbesondere auch für kapitalstarke, langfristig orientierte Vermögensverwalter wie etwa Fidelity, T. Rowe Price, Capital Group oder Wellington. Diese werden traditionell in Einzelgesprächen auf einen Börsengang vorbereitet.

Der Preis dürfte daher am oberen Ende der vorab genannten Spanne von 14 bis 16 Dollar pro Aktie liegen. Das würde auf eine Bewertung von rund 22 Milliarden Dollar hinauslaufen, auf ein Volumen des Börsengangs von knapp 3,7 Milliarden und einen Geldsegen für die Banken von bis zu 90 Millionen Dollar. Die aktiven Konsortialbanken sind Morgan Stanley, Goldman Sachs, JP Morgan und Deutsche Bank. Auf sie entfallen 70 bis 80 Prozent der Gebühren. Zusätzlich haben noch Barclays, Credit Suisse und Allen & Company den Börsenprospekt unterschrieben.

Snapchat und die Banken versuchen gar nicht erst, die Investoren mit Finanzzahlen zu überzeugen. Sie setzen auf steigende Nutzerzahlen und entsprechende Verwertungsmöglichkeiten in der Werbung, die langfristig für Gewinn sorgen. Snapchat geht so mit einer Bewertung an die Börse, die bei privaten Finanzierungsrunden mit Wagniskapitalgebern üblich ist: Weil die Investoren ihre Branche genau kennen, blicken sie eher auf Geschäftsmodelle als auf Kennzahlen.

2. Snap will mit Datenbrillen virtuelle Räume erobern

Plattformen wie Studivz oder Myspace zeigen: Aus einem erfolgreichen Netzwerk kann schnell eine digitale Geisterstadt werden. Schuld daran ist die digitale Suche nach Neuem. Auch Medienforscher Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut glaubt: „Eine der wesentlichen Erfolgsfaktoren für soziale Netzwerke ist der Trendsetter-Aspekt. Also das exklusive Gefühl, bei etwas Neuem und nie Dagewesenem dabei zu sein.“ Snapchat habe dafür in den vergangenen Jahren viel Buzz und Aufmerksamkeit bekommen. Blickt man auf die Zahlen in den USA, zeigt sich: Jugendliche lieben den Dienst. 2015 nutzten laut einer YouGov-Erhebung gerade einmal zehn Prozent der Befragten zwischen 18 und 24 Jahren Facebook, 49 Prozent in dieser Altersgruppe verwendeten hingegen Snapchat. Auch bei den 25- bis 34-Jährigen lag Facebook hinter der Konkurrenz.

Jugendliche schätzen den Dienst daher als „elternfreie Zone“. Doch das reicht nicht: Bill Fischer, Senior-Analyst beim Marktforscher eMarketer, glaubt: „Den Börsengang im Blick, versucht Snapchat, ein wesentliches Problem in den Griff zu bekommen – nämlich, jenseits der demografischen Hauptzielgruppe attraktiv zu werden, um mehr Werbeerlöse zu bekommen.“

Ein wichtiger Aspekt könnte für Snap auch die Hardware werden, wie die Datenbrille „Spectacles“, mit der Nutzer bis zu 30 Sekunden lange Kurzvideos aufnehmen und direkt im Netzwerk posten. Für 130 Dollar bietet Snapchat das Gerät online zum Verkauf an. Es erinnert eher an einen Sonnenschutz als an „Google Glass“, das Alphabet wegen mangelnder Akzeptanz beim Nutzer schnell wieder vom Markt nahm. „Spectacles nimmt dem Gegenüber das Unwohlsein, ständig aufgenommen zu werden, was die Erfolgschancen erhöht“, analysiert Scott Strawn, Analyst bei IDC.

Die Brille könnte Snap neue Möglichkeiten als Plattform für Augmented Reality (AR) eröffnen. Bei der Technologie legen sich digitale, interaktive Inhalte aus Nutzersicht wie eine zweite Ebene über die Realität. Den großen Erfolg des Prinzips zeigte das Massenphänomen Pokémon Go.

Snap bietet einige AR-Funktionen bereits mit „Lenses“ an. Mit Hilfe dieser Effekte wird zum Beispiel aus dem Selfie ein Katzengesicht. Kurze Videoanzeigen sind ebenso möglich. Im Dezember kaufte Snap für bis zu 40 Millionen Dollar das israelische Start-up Cimagine. Die Firma entwickelt AR-Software, mit der Onlinekunden ein Möbelstück virtuell in ihrem Wohnzimmer platzieren können, bevor sie sich für den Kauf entscheiden. Damit will sich Snap auch von der Konkurrenz abgrenzen.

Die Börsenzulassung reichte Snap denn auch als „Kamera-Firma“ ein. Und nach Ansicht von Analyst Strawn hat die Datenbrille gute Chancen, zum „persönlichsten Interface“ zu werden. Dort könnten Nutzer dann eigene Inhalte einspielen – wie eine „rosarote Brille“, mit der die Menschen durch das Leben gehen. „Augmented Reality könnte der nächste neue Wachstumsmarkt für Snap werden“, schätzt der IDC-Analyst.

3. Facebook attackiert das Geschäftsmodell

Früher einmal lautete Mark Zuckerbergs Erfolgsrezept: „Kaufe, was dir gefährlich werden könnte.“ So verfuhr der Facebook-Chef 2012 mit Instagram, zwei Jahre später mit dem Kurznachrichtendienst WhatsApp. Beim Bilder- und Videoschnipseldienst Snapchat blitzte er mit dieser Strategie ab. Zuckerberg hat seine Strategie geändert: Statt zu kaufen, wird nun kopiert. Als Reaktion auf den jungen Konkurrenten Snap führte das zum Facebook-Imperium gehörende Instagram im vergangenen August die Funktion „Stories“ ein, bei der Nutzer aus eigenen Fotos und Videos eine kurze Slideshow zusammenstellen können, die nur einen Tag lang zu sehen ist.

Das hat den Expansionskurs von Snapchat gestoppt. Wuchs Snapchat im ersten Quartal 2016 noch um 14 Prozent und im Folgequartal sogar um 17,2 Prozent, betrug das Plus im Quartal nach der Einführung von „Instagram-Stories” nur noch sieben Prozent. Nach Prognosen von eMarketer wird sich dieser Trend weiter fortsetzen. 2016 besaß Snapchat nur 6,8 Millionen weniger Nutzer als Instagram, 2020 werde sich die Lücke auf 9,5 Millionen vergrößern, schätzen Analysten.

David Kirkpatrick, Autor des Bestsellers „The Facebook-Effekt“, sieht keine Gefahr für Facebook durch den jungen Konkurrenten: „Instagram ist Facebooks erfolgreiches Werkzeug, um junge Nutzer zu begeistern.“ Zuckerberg habe „unbegrenzte Möglichkeiten“, erfolgreiche neue Funktionen der Konkurrenz einfach in das eigene Produkt zu integrieren. Vergangene Woche war der Nachrichtendienst WhatsApp dran: Mit der neuen Funktion „Status“ können Foto- und Video-Inhalte mit Kontakten geteilt werden und verschwinden nach 24 Stunden.

Zuckerberg nimmt den Konkurrenten Snapchat dennoch ernst. Denn Facebooks Nutzerzahlen stiegen zwar im vergangenen Quartal, aber bei der jungen Zielgruppe liegt Snapchat vorn.

Facebook setzt deshalb zum Gegenangriff an: Auch Zuckerberg will weg von der reinen sozialen Plattform. Die Überarbeitung und Verjüngung von Apps wie Instagram oder WhatsApp ist die eine Strategie, um Snap empfindlich zu treffen. Die andere Strategie ist, neue Geschäftsbereiche zu gründen: So kündigte Facebook zum Beispiel an, eine TV-App vorzustellen, und arbeitet an Werbeunterbrechungen für seine Video-Inhalte. Das könnte neue Erlösquellen eröffnen. Denn obwohl sich Werbebudgets zunehmend ins Digitale verlagern, müssen auch die Plattformen beweisen, dass sie die richtigen Werbeflächen für ihre Kunden sind.

Einen Digitaldarwinismus wird es vermutlich aber nicht geben: So glaubt Jessica Liu, Senior-Analystin beim Marktforscher Forrester, nicht an eine gegenseitige Gefahr für die Plattformen: „Das ist kein Nullsummenspiel zwischen den sozialen Netzwerken.“ Nur weil die eine gewinne, müsse die andere nicht automatisch verlieren. Beide böten unterschiedliche Nutzerversprechen und erfüllten unterschiedliche Bedürfnisse: „In der heutigen Welt können Snapchat und Facebook beide erfolgreich sein.“

4. Flüchtigkeit ist das neue Lebensgefühl

Facebook speichert dauerhaft jedes Bild, jeden Kommentar, jede Peinlichkeit. Eine digitale Sammelstelle für alles, was man doch am liebsten ganz schnell wieder vergessen würde. Das führt dazu, dass Nutzer dreimal darüber nachdenken, was sie von sich preisgeben, und damit oft ein repräsentatives, aber langweiliges Online-Ego von sich produzieren.

Snapchat hingegen hat Spieltrieb und Vergänglichkeit zum obersten Prinzip erklärt. Beiträge, die älter sind als ein Tag, können nicht mehr aufgerufen werden. Das motiviert inzwischen 158 Millionen tägliche Nutzer dazu, auch unfertige, peinliche Beiträge mit verrückten Filtern zu veröffentlichen.

Nach Ansicht von Forrester-Analyst Nick Barber schafft das eine „intimere Atmosphäre“ im Netzwerk, die Nutzer anspornt, mehr zu posten und ungehemmter mit den veröffentlichten Inhalten zu interagieren. Auch Klaus Hurrelmann, Jugendforscher und Professor an der Hertie School of Governance, ist überzeugt: „Snapchat trifft mit seiner automatischen Löschfunktion den Nerv der Zeit.“ Bei Jugendlichen gebe es ein großes Bedürfnis nach Bildern mit Verfallsdatum: „Aus der Jugendforschung wissen wir, dass sich viele Jugendliche nicht mehr dauerhaft festlegen wollen.“

Sie hätten einschneidende Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe von Fukushima oder die große Wirtschafts- und Finanzkrise miterlebt: „Das führt zu einer Generation, die beweglich sein will.“ Snapchat sei da die entsprechende Plattform, die mit der Vergänglichkeit der Bilder diesen Trend unterstützt, meint Hurrelmann: „Es gibt verstärkt den Wunsch nach einem digitalen Vergessen.“ In einer digital beschleunigten Welt ist nichts vergänglicher als die Gegenwart – Snapchat trägt diesem Lebensgefühl Rechnung.

Daher glaubt Hurrelmann, dass junge Menschen dem Dienst die Treue halten: „Was aber passieren kann, ist, dass diese Generation mit Snapchat alt wird.“

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