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TikTok Wie eine chinesische App deutsche Jugendliche und Werber begeistert

Mit TikTok feiert erstmals ein in China entwickeltes soziales Netzwerk den Durchbruch in Europa und den USA. Aber ist das für Nutzer gefährlich?
27.02.2019 - 04:00 Uhr Kommentieren
Die Tanz-Challenge für Teenager auf TikTok wird von Funk, dem Jugendprogramm von ARD und ZDF, produziert. Quelle: Max Brugger für Handelsblatt
Kati alias „Katulka“ und Choreograf Rene

Die Tanz-Challenge für Teenager auf TikTok wird von Funk, dem Jugendprogramm von ARD und ZDF, produziert.

(Foto: Max Brugger für Handelsblatt)

Köln, Peking Ein Schritt nach rechts, Arme diagonal vor den Körper, Beine schließen, Schritt nach links, Arm nach oben, Arm nach unten. Schnitt. Es ist zwölf Grad kalt, es waren unzählige Takes heute, aber Kati und Rene sind immer noch gut gelaunt, tänzeln umeinander herum und lachen. Die 18-Jährige mit den langen, braunen Haaren im weiten Pullover und ihr Choreograf stehen auf einer rissigen Betonfläche im „Odonien“, dem Freiluftateilier eines Kölner Künstlers.

Hinter ihnen eine Fassade kleiner, schmutziger Fenster unter einem riesigen Graffiti, auf der Wand rechts steht eine alte Dieselzapfsäule hinter einem rot lackierten, rostig angelaufenen Trabi. Hip-Hop-Dance in der Post-Apokalypse.

Ton läuft, Kamera läuft, Musik läuft, ein Song von Pop-Superstar Ariana Grande. Ein Schritt nach rechts, Arme diagonal vor den Körper, Beine schließen. Kati tanzt für die Spiegelreflexkamera vor ihr. Arm gebeugt, nach oben, Arm nach unten. Und für die Fans auf TikTok.

Auf der Videoplattform hat die junge Frau als „Katulka“ mehr als 1,1 Millionen Follower und zählt zu den 30 wichtigsten TikTok-Influencern. Den Dreh in Köln macht die Berlinerin aber für „Move 2“, den TikTok-Kanal, den sie für das ARD/ZDF-Jugendangebot Funk moderiert.

Am Rand der Betonfläche verfolgt Jannis Schakarian den Dreh. Der 31-Jährige hat das Format entwickelt. Die Tanzbewegungen von Katulka und Rene sollen die Fans zu Hause nachtanzen. Dieses „Challenge“-Format passe zu TikTok, aber auch zum öffentlich-rechtlichen Anspruch, glaubt Schakarian. „Es macht Spaß und vermittelt Jugendlichen ein positives Körpergefühl“, sagt er. „Aber es kommt nicht zu erzieherisch rüber.“ Immerhin sind TikToks Nutzer überwiegend Teenager.

Nach Youtube, YouNow, Instagram und Snapchat ist TikTok die nächste Must-Have-App auf deutschen Pausenhöfen – und weltweit.

Laut dem Marktforscher Sensortower war TikTok 2018 die am häufigsten heruntergeladene App – über alle Länder und App-Stores hinweg, vor WhatsApp, Youtube oder Instagram. Weil es auf TikTok besonders einfach ist, Ton unter die Videos zu legen, drehen Teenager dort kurze Videos, in denen sie ihre Lippen zu Carolin-Kebekus-Pointen oder Songs bewegen (Lip-Sync) oder eben zu Musik tanzen.

Was TikTok auch von den Konkurrenten unterscheidet, ist seine Herkunft: TikToks Mutterfirma Bytedance ist eines der wertvollsten Start-ups Chinas. Ganz ohne die Unterstützung der heimischen Tech-Riesen Baidu, Alibaba und Tencent hat die 2012 vom heute 35-jährigen Zhang Yiming gegründete Firma einen Marktwert von umgerechnet 66 Milliarden Euro erreicht. Zuletzt steckten Investoren um den Vision Fund von Softbank-Gründer Masayoshi Son mehr als 2,5 Milliarden Euro in Bytedance.

Ende 2017 übernahm Bytedance für angeblich mehr als 700 Millionen Euro die aus Schanghai stammende App Musical.ly, die bereits in den USA und Europa einigen Erfolg hatte, und legte sie Ende 2018 mit der eigenen App TikTok zusammen.

Nun will TikTok die erste Social-Media-App aus China werden, die Facebook, Snapchat und Co. ernsthafte Konkurrenz macht – auch auf dem Werbemarkt.

Laut dem Fachportal Digiday touren TikToks Marketingteams aktuell mit einer Präsentation durch europäische Mediaagenturen, die das Ausmaß des TikTok-Hypes beschreibt: Demnach hat die App in ihren größten europäischen Märkten – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien – rund 17 Millionen monatliche Nutzer, davon allein 4,1 Millionen in Deutschland. Sie verbringen durchschnittlich 39 Minuten in der App.

Zum Vergleich: Facebook warb 2016 damit, dass seine Nutzer 50 Minuten auf Instagram, Messenger und Facebook zusammen verbringen. Inzwischen soll die Zahl niedriger liegen.

Mit dieser Reichweite will TikTok nun Geld verdienen. McDonald’s schaltet aktuell ein Banner, das manche Nutzer beim Öffnen der App sehen. Doch TikToks Besonderheit im Vergleich zu Instagram und anderen sind die Challenges – und die könnten auch zu seiner Werbe-Geheimwaffe werden.

„TikTok ist niedrigschwellig und fordert zum Mitmachen auf“, erklärt der Social-Media-Experte Schakarian. Das könnten sich bald auch Unternehmen zunutze machen und einen Preis für das beste Video unter ihrem Werbe-Hashtag ausschreiben.

„Es ist schwer, das gut zu konzipieren“, sagt Noah Mallin, Head of Content bei der global tätigen Mediaagentur Wavemaker. Gelinge das aber, entstehe eine geradezu traumhafte Situation für Werbekunden: Die Zielgruppe sieht nicht nur ihre Botschaft, sie textet, tanzt, singt und filmt eigene Spots für die Marke – ganz freiwillig.

Die Server liegen außerhalb Chinas

Der New Yorker Werber Mallin spricht bereits mit Firmen aus dem Handel, der Konsumgüter- und der Modebranche, die Werbung auf dem Video-Netzwerk schalten wollen, sobald TikTok das im größeren Stil anbietet. „Wer zeigen will, dass er am Puls der Zeit ist, versucht auf dem gerade angesagten Netzwerk zu werben“, sagt Mallin.

Dass TikTok aus China kommt, beunruhige dabei kaum einen Kunden, sagt er. Dabei müsste TikTok als chinesisches, bei sehr jungen Menschen populäres soziales Netzwerk eigentlich im Epizentrum aller Kontroversen stehen, die Tech-Unternehmen gerade bewegen – in einer Zeit, in der der chinesische Telekomausrüster Huawei wegen befürchteten Datenklaus und Facebook wegen seines laxen Umgangs mit Nutzerdaten am Pranger stehen.

Bytedance ist sichtlich bemüht, TikTok vom Ruch einer chinesischen Datenkrake fernzuhalten. So betreibt das Unternehmen die nahezu identische App als Douyin in China und als TikTok im Rest der Welt.

Zwar ist TikTok laut Unternehmensangaben eine 100-prozentige Bytedance-Tochter, aber sie ist in Singapur registriert und speichert die Daten seiner Nutzer auf Servern außerhalb Chinas. Inhalt und Publikum sind getrennt. Das hilft Bytedance, die politischen Restriktionen der chinesischen Regierung zu umgehen. Auf Firmen und Server, die außerhalb Chinas liegen, hat Peking keinen Zugriff.

Gleichzeitig gibt es für ausländische Inhalte praktisch keinen Weg durch die digitale Feuerwand des chinesischen Internets. Von Katulkas 1,1 Millionen Fans dürfte kein einziger aus China kommen.

Werbemanager Mallin sieht in Bytedances Herkunft dennoch einen Vorteil: „Mit welcher App kann man schon Kunden in den USA, Europa, Südasien und China erreichen?“, fragt er rhetorisch. Die großen Werbekonzerne Facebook und Google sind in China schließlich verboten oder stark eingeschränkt. Auf Douyin und TikTok kann man dagegen dieselben Kampagnen ausspielen – sofern sie durch Chinas Zensur kommen.

Andere Probleme sind bei TikTok dagegen noch virulenter als bei anderen sozialen Netzwerken: Prinzipiell kann jeder Nutzer auf der Welt jedes Video sehen. Dass im endlosen Video-Feed deutsche Witze auf indische Akrobatik-Stunts und amerikanische Lip-Syncs folgen, macht einerseits TikToks Charme aus.

Weil die Offenheit des Netzwerks andererseits ein Einfallstor für Hasskommentatoren oder Pädophile sein kann, können Nutzer inzwischen wählen, ob sie ihr Profil öffentlich stellen oder privat halten, wer kommentieren darf und wen sie blocken wollen.

Eric Fan vom Hongkonger Datenschutzverein „Verband für Informationstechnologie“ findet, dass TikTok viele Datenschutzprobleme bereits behoben hat. Aber er sieht noch Verbesserungsbedarf. „Ich schlage vor, dass man proaktiv die Konten von unter 13-Jährigen ausfindig macht“, schreibt Fan dem Handelsblatt in einer E-Mail.

Im Odonien müssen Katulka und das Team nun noch die Abmoderation drehen: Die 18-Jährige sitzt auf einem angerosteten Gabelstapler und fordert die Fans zum „Nachtanzen, Aufnehmen und Hochladen“ auf. Aus dem, was kommt, schneidet die Redaktion ein „Reaction“-Video, in dem Katulka die Tanzschritte ihrer Fans lobt.

Auswählen kann die Funk-Redaktion nach jeder Sendung aber nur aus einem guten Dutzend Fan-Videos. Ein Grund ist, dass Funk den Jugendschutz ernster nimmt als TikTok selbst: Teilnehmen kann nur, wer ein Teilnahmeformular einsendet. Von den Eltern unterschrieben.

Mehr: Chinesische IT-Unternehmen wie Huawei stehen am Pranger. Europa brauche daher eine Strategie im Umgang mit chinesischen Tech-Unternehmen, meint Handelsblatt-Reporterin Dana Heide.

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