Wachsende Konkurrenz aus Asien und USA Europäische Chipindustrie schlägt Alarm – und will mehr EU-Hilfen
München, Brüssel, Wien Die Lage ist ernst. Rund zwei Jahrzehnte lang wurde in Europa keine einzige große, moderne Chipfabrik mehr errichtet. Stattdessen zogen die Hersteller vor allem ein Werk nach dem anderen in Asien in die Höhe, wo Regierungen bereit sind, Milliarden in die wichtige Zukunftstechnologie zu stecken.
Unter den zehn führenden Halbleiterproduzenten der Welt findet sich mit NXP aus den Niederlanden inzwischen nur noch ein europäischer Anbieter – der auch bald verschwinden könnte: Der US-Konzern und Rivale Qualcomm versucht, die ehemalige Philips-Tochter NXP zu übernehmen.
Kein Wunder, dass die europäische Chipindustrie fürchtet, weiter an Bedeutung zu verlieren. „Ich werbe für mehr Europa, mehr Synergien und nicht zuletzt auch für mehr Investitionen in Forschung und Innovation“, sagte Reinhard Ploss, der Vorstandsvorsitzende von Infineon, dem Handelsblatt. Dauerhaft erfolgreich werde die Technologiepolitik der EU nur dann sein, „wenn sie mit anderen Wirtschaftsregionen konkurrieren kann“.

Seine neuesten Werke hat der Konzernlenker in Malaysia gebaut.
Es hat seinen Grund, dass der Chef des Dax-Konzerns gerade jetzt an Politiker appelliert: EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger wird Mittwoch seine Pläne für das Budget der Gemeinschaft in den kommenden Jahren bekanntgeben. Die Halbleiterbranche hofft auf die lange in Brüssel verweigerte Unterstützung für die Branche.
Davon profitieren würde nach Ansicht von Infineon-Chef Ploss die ganze Gemeinschaft. Denn: Seine Industrie schaffe die Voraussetzungen „für eine erfolgreiche digitale Transformation in Europa“.
Lange haben sich die EU und die nationalen Regierungen gesperrt
Ingenieur Ploss setzt insbesondere darauf, dass die EU das sogenannte Ecsel-Programm zur Entwicklung elektronischer Komponenten und Systeme weiter fördert wie bisher oder, noch besser, es weiter ausbaut. Dabei haben sich die EU-Kommission, die Länder und die europäische Industrie verpflichtet, in sieben Jahren rund fünf Milliarden Euro für Forschungskooperationen auszugeben. Die EU will damit in zentralen Zukunftsbereichen wie dem autonomen Fahren, der vernetzten Fabrik und der Medizintechnik vorankommen.
Lange haben sich die EU sowie die nationalen Regierungen geweigert, die Halbleiterbranche zu unterstützen. Doch nun sieht es danach aus, als fänden die Forderungen der Manager Gehör. Die Kommission wolle das Ecsel-Programm verlängern und sich dafür einsetzen, die Mittel aufzustocken, erfuhr das Handelsblatt aus Kreisen von Brüsseler Behörden.
Wie viel Geld genau fließen wird, steht allerdings noch nicht fest. Die Kommission wird am Mittwoch ihren Vorschlag für den EU-Haushalt in den Jahren 2017 bis 2021 vorlegen. Haushaltskommissar Günther Oettinger erklärte bereits, er wolle das Geld im EU-Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe im Vergleich zum derzeit geltenden Finanzrahmen um 40 bis 50 Prozent erhöhen. Das gibt Hoffnung: Von der Gesamthöhe hängt schließlich auch die mögliche Fördersumme für die Mikroelektronik ab.
Für die Unternehmenslenker ist ein stärkeres Engagement der EU längst überfällig. „Wenn nicht bald massive wirtschaftspolitische Weichenstellungen erfolgen, wird die Mikroelektronik in Europa weiter in die Defensive geraten“, betonte Andreas Gerstenmayer, Vorstandschef von AT&S, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Das österreichische Unternehmen ist nach eigenen Angaben der größte Leiterplattenhersteller in Europa und beliefert unter anderem Apple. Auch Gerstenmayer fordert eine stärkere Unterstützung aus Brüssel für die Branche. „Wir müssen die Kräfte bündeln und nicht in nationalstaatlichen Grenzen denken. Bislang gibt es leider noch keinen Schulterschluss in der Industrie“, kritisiert er.
Die jüngsten Zahlen, die der Branchenverband ZVEI gerade veröffentlicht hat, sind bedenklich. Aus Fabriken in der EU stammen demnach nur noch neun Prozent aller Chips weltweit. Das vergleichsweise kleine Taiwan hingegen stellt ein Fünftel aller Halbleiter her, Südkorea steht immerhin für 15 Prozent, und selbst der Stadtstaat Singapur kommt auf sieben Prozent.
Damit nicht genug: Europa spielt auch technisch größtenteils in der zweiten Liga. Die fortschrittlichsten Werke finden sich laut ZVEI in Taiwan und Südkorea.
Das kann sich Europa nicht leisten: Die Chipindustrie ist so wichtig wie nie zuvor. Kein Flugzeug hebt ohne die kleinen elektronischen Bauelemente ab, kein Auto fährt, keine Kaffeemaschine funktioniert. Dennoch ist Europa im Bereich der Chiptechnologie bestenfalls ein Nebendarsteller auf dem Markt – in Teilen selbst verursacht.
So investierten die europäischen Hersteller in den vergangenen Jahren massiv in Asien. Produzierte Europas Chipindustrie 2012 noch 70 Prozent ihrer Bauelemente in der EU, waren es im vergangenen Jahr laut dem Branchenverband ZVEI nur noch 54 Prozent. „Asien hat bei den Standortkosten zahlreiche Vorteile. Das fängt bei der Baulanderschließung an und hört bei Steuervorteilen auf“, begründet etwa Holger Rubel, Partner der Boston Consulting Group, die Lage.
Auch Dax-Konzern Infineon baute seine neuesten Fabriken in Malaysia – einem Land, das die Ansiedlung mit Millionen fördert. Globalfoundries investierte noch zur Jahrtausendwende Milliarden in Dresden – die neueste Fabrik errichtete das Unternehmen dann aber in Amerika. Dort gibt es höhere Subventionen.
Zudem verkaufen die Hersteller immer mehr ihrer Chips in Asien. Inzwischen erzielen die Unternehmen dort 60 Prozent ihres Umsatzes. Allein in China sind das mehr als 30 Prozent aller Erlöse. Das Land ist der mit Abstand größte einzelne Absatzmarkt. So ist es verständlich, dass die Produzenten versuchen, nahe an die asiatische Kundschaft heranzukommen. Schließlich hat sich der Anteil von China am Branchenumsatz seit Beginn des Jahrtausends verdreifacht, der europäische Anteil dagegen halbiert.
Doch auch die Politik hat ihren Anteil an der derzeitigen Lage. Es sei ja gut, dass Hilfsgelder vor allem in weniger entwickelte Regionen flössen. Dennoch sei die Chipbranche in Europa in wirtschaftlich starken Gegenden zu Hause und brauche trotzdem Unterstützung, um im weltweiten Vergleich mithalten zu können. „Wir müssen immer wieder und wieder darauf hinweisen, wie die Fördersituation in anderen Ländern ist“, betont ein Brancheninsider.
Und wieder richtet sich der Blick auf China. Die Volksrepublik will in den kommenden fünf Jahren 100 Milliarden Dollar in die Halbleiterbranche stecken. Denn die Politiker in Peking wollen nicht länger zusehen, dass in ihrem Land fast ein Drittel aller Chipumsätze getätigt wird, einheimische Firmen aber praktisch keine Rolle spielen. „China will in der Mikroelektronik von Europa und den USA unabhängig werden“, prognostiziert AT&S-Chef Gerstenmayer.
Auf Fördermittel wie in China darf die EU-Chipindustrie freilich nicht hoffen. „Investitionssummen von 100 Milliarden Euro, so wünschenswert sie industriepolitisch auch wären, sind in Europa nicht durchzusetzen. Das ist unrealistisch“, sagt Christoph Stoppok, Mikroelektronik-Geschäftsführer beim Branchenverband ZVEI in Frankfurt.
Daher werden auch kleinere Schritte positiv zur Kenntnis genommen. So bescheinigen Branchenvertreter sowohl der EU-Kommission als auch der Bundesregierung, dass der Wert der Halbleiterindustrie in den vergangenen Jahren wiederentdeckt worden sei. „Investitionen in die Chipbranche werden überall auf der Erde mit teils erheblichen Mitteln unterstützt“, sagte Dirk Hoheisel, Chipdivision von Bosch, dem Handelsblatt. „Europa hat bei diesen Rahmenbedingungen jetzt etwas aufgeholt.“
So hat sich der weltgrößte Autozulieferer Bosch entschlossen, sein neues Chipwerk in Dresden zu bauen. Im März haben die Bauarbeiten begonnen. Rund eine Milliarde Euro wird der Stuttgarter Konzern für die Fabrik ausgeben, 200 Millionen davon sind Fördermittel.
Das wurde möglich, weil die Brüsseler Wettbewerbshüter die Fabrik als ein wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse eingestuft haben. Die strengen Regeln staatlicher Beihilfe werden dann außer Kraft gesetzt. Doch die Investition von Bosch ist im internationalen Vergleich eher bescheiden. Die fortschrittlichsten Chipwerke kosten das Zehnfache.
Die Spannung steigt: Ob künftig mehr Geld in die Halbleiterbranche fließen wird, entscheidet die EU-Kommission nämlich nicht alleine. Das letzte Wort haben die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament.
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