Zeit für digitale Aufklärung Wie Google und Co. uns in eine neue Unmündigkeit führen
Google schickt „Google Home“ ins Rennen gegen Amazon
San Francisco Google hatte jahrelang den Charme einer Computer AG. Mit seiner Entwicklerkonferenz hat der Konzern einen dramatischen Imagewechsel vollzogen. Kabel, Monitore, Prozessoren? Von wegen. So poppig war die Bühnenshow, so gut aussehend waren die Chefingenieure, so bonbonfarben die Android-Maskottchen, dass das Publikum fast platzen wollte vor lauter Fruchtgeschmack.
Google-Chef Sundar Pichai präsentierte seinen Laden als Lifestyle-Meet-up, als Selbsthilfegruppe zur Verbesserung der Kommunikation, die nur nebenbei ein paar Milliarden verdient und alle Daten ansaugt, die sie kriegen kann. Von Geld und Business war wenig die Rede, es ging um Visionen und Gefühle, eine Soap-Opera zum Mitmachen.
Google hat gelernt. Unter anderem von Apple. Höher, schneller, weiter – dieses Motto führt nicht immer zum Erfolg. Am Ende gewinnt nicht die Technologie, die besonders leistungsfähig ist, sondern diejenige, die der Nutzer gerne um sich hat, die er anfasst und nicht mehr aus der Hand legt. Wie das iPhone. Steve Jobs hat das eher begriffen als andere. Pichai zieht nach.
Erlaubt ist, was gefällt. Der Satz gilt auch in der Technologie. Silicon Valley hat gelernt, dass es Nutzer nicht stört, wenn sie beobachtet, gelenkt, manipuliert werden, erhalten sie im Gegenzug nur ein wenig Service. Der Nutzer erlaubt, dass Google seine Wahrnehmung der Welt strukturiert, sein Leben kommerziell ausschlachtet. Immer noch verdient Google über 90 Prozent mit dem Suchmaschinengeschäft.
Je freundlicher der Konzern, desto besser fürs Geschäft. Es stört nicht weiter, dass Uber weiß, wo der Nutzer seine Abende verbringt, dass Facebook Familienverhältnisse einsieht, dass Apple ihn mit seinem Betriebssystem technologisch in einen Garten mit sehr hohem Zaun sperrt. Warum? Weil es ihm gefällt.
Vor allen anderen zelebriert Google die neue Geschmeidigkeit, nicht nur im Design, sondern auch in der Strategie. Unlängst etwa mit dem Verkauf der Militärroboter von Boston Dynamics, der bedrohlich wirkenden Kraftpakete aus Stahl. Mit Macht möchte Google lieber nicht assoziiert werden. Lieber bückt sich der Konzern, redet sich klein. Keiner soll merken, wie gewaltig sein Einfluss nach wie vor ist, Google muss sich schließlich in mehreren Kartellverfahren genau deshalb verantworten.
Besser geht’s nicht. Aber was sagt es eigentlich über die AG der Weltverbesserer, dass sie uns behandelt, als seien wir unmündig? Sicher, das Leben ist unübersichtlich geworden, das Internet hat uns die Welt ins Wohnzimmer transportiert, jeden Tag tausend Entscheidungen, das nervt, langsam wird das zu viel. Und egal, was wir tun, permanent haben wir Angst, im Informationswust etwas zu verpassen.
Drang nach Bequemlichkeit
Da kommt der neue digitale Assistent von Google gerade richtig, der uns die Welt in leicht verdaulichen Informationshäppchen zufüttert. Wir müssen nichts mehr suchen, recherchieren, wir bekommen alles frei Haus, von der Filmrezension bis zum Abendessen. Und er liefert uns im Chat-Fensterchen gleich passgenaue Antworten, weil das Tippen komplexer Ausdrücke wie „Yummie!“ intellektuell überfordern könnte.
Das Internet galt einmal als Ort der Aufklärung, der Freiheit. Nun droht es uns in eine Horde verwöhnter Bälger zu verwandeln. Ja natürlich, selber schuld, sagen die Konzerne, es muss ja keiner mitmachen, keiner zwingt die Leute, weder Google, Facebook noch Apple. Die Nutzer wollen doch den Service, erlaubt ist, was gefällt, und dem Nutzer gefällt’s eben, er will am liebsten nur noch „A“ sagen.
Bei Google, Facebook und all den anderen im Silicon Valley arbeiten einige der klügsten Menschen der Welt. Sergey Brin und Larry Page denken in „Moonshot“-Kategorien. Allen anderen trauen sie aber nichts zu. Statt die Menschen schlauer und selbstständiger zu machen, werden wir im Sinne der Servicementalität in eine Wohlfühlabhängigkeit hineinmanipuliert, und zwar nicht nur nebenbei.
Die Konzerne tricksen uns aus wie ein guter Zauberer, lenken uns mit ihrem Bühnenspektakel ab von dem, was sie eigentlich tun, profitieren von unserem Drang nach Bequemlichkeit, unserer Faulheit, unserer Gier nach Aufmerksamkeit und Zustimmung. Sie bieten uns nur scheinbar die Wahl, sie bieten uns Belohnung, zum Beispiel in Form von „Likes“, doch die Einzigen, die am Ende profitieren, sind sie. Je länger Facebook uns gut gelaunt auf der Plattform hält, desto mehr Werbeeinnahmen sprudeln.
Erlaubt ist, was gefällt? Nein. Vielleicht war das alles einmal gut gemeint von Google & Co., doch nun offenbart die Strategie ihren Zynismus. Und die Nutzer bleiben zurück in ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit. Zeit für eine neue Aufklärung.