Agrokor-Chef Ivica Todorić festgenommen Too big to fail

Festnahme nach zwei Wochen Flucht.
Bratislava Selbst seine Festnahme versuchte Ivica Todorić noch zum Erfolg umzudeuten: „Das ist ein kleiner Sieg, jetzt bin ich Londoner Bürger“, sagte der nicht nur an Selbstbewusstsein reichste Mann Kroatiens laut dem Sender N 1 beim Verlassen des Londoner Gerichts am Dienstag. Wenn so künftig die Siege im Leben von Todorić aussehen, will man sich die Niederlagen gar nicht vorstellen.
Zuvor war der 66-jährige Gründer des überschuldeten Lebensmittel- und Handelskonzern Agrokor zwei Wochen lang auf der Flucht gewesen. Schließlich stellte er sich in London der Polizei. Offenbar hatte ihm das Versteckspiel zu stark zugesetzt. Künftig wird Todorić mit einer Handfessel in seinem freiwilligen britischen Exil unterwegs sein. Nur gegen die Kaution von 100.000 Pfund (115.000 Euro) bleibt der mächtigste Unternehmer auf dem Balkan überhaupt auf freiem Fuß. Seinen Reisepass musste er bei den Behörden hinterlegen.
Im politisch und wirtschaftlich krisengeschüttelten Kroatien ist auf den Familienunternehmer derzeit kaum noch jemand gut zu sprechen. Kroatien will ihn wegen Bilanzfälschung, Konkursverschleppung, Untreue und anderer Delikte schleunigst vor Gericht stellen. Ein beispielloser Absturz – war der in Zagreb geborene Todorić doch lange eine Art Unternehmer-Halbgott in dem Adrialand. Alles, was er anfasste, schien zu Gold zu werden. Sein Lebensmittel- und Handelskonzern war vor dem Zusammenbruch für 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich, 6,5 Milliarden Euro Umsatz machte er zuletzt. Vom Agrarbetrieb über die Nahrungsmittelproduktion bis zum Einzelhandel kontrollierte Agrokor ganze Wertschöpfungsketten. In Slowenien betreibt der Konzern die Supermarktkette Mercator und in Kroatien Konzum. Letztere galt als kroatisches Bollwerk gegen die großen Discountketten aus Deutschland und Österreich.
„Todorić ist ein Tycoon, der sich total überschätzt hat“, sagt die Investmentbankerin Alexandra Nagle vom spanischen Finanzdienstleister Alantra, die den Geschäftsmann aus einer Transaktion in Slowenien kennt.
Dem Geschäftsmann war es gelungen, auf dem Balkan Potemkinsche Dörfer für seine Geldgeber aufzubauen. Der Konzern war seit Jahren nicht mehr rentabel, seine Geldgeber stopften trotzdem die Löcher. Allen voran die russische Sberbank hatte ihm lange Glauben geschenkt und Kredit gegeben. Auch die französische Société Générale, die italienische Unicredit und die österreichischen Geldhäuser Raiffeisen Bank International und Erste Group haben nun viel Geld im Feuer. Im vergangenen Jahr fuhr Todorić mit seinem Firmenkonglomerat Verluste von eineinhalb Milliarden Euro ein.
Zwölf weitere Vorstände und Aufsichtsräte beschuldigt
Damit nicht genug: Neben Todorić und seinen beiden in der Firma tätigen Söhnen werden zwölf weitere Vorstände und Aufsichtsräte beschuldigt. Einer der Vorwürfe: Sie sollen 130 Millionen Euro oder mehr auf private Konten illegal überwiesen haben. Agrokor ist schon jetzt der größte Wirtschaftskrimi auf dem Balkan seit vielen Jahren – und einer, der die fragile Wirtschaft des Landes noch tiefer in die Krise stürzen könnte. Einst beschäftigte der Agrokor-Konzern 60.000 Menschen, viele könnten jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren. Sanierungschef Ante Ramljak muss unter hohem Zeitdruck einen Rettungsplan aufstellen, bis zum ersten Quartal des kommenden Jahres soll er stehen. Vor allem die Banken werden einen Großteil ihres Geldes nicht mehr wiedersehen. Ramljak spricht von einem Schuldenerlass von bis zu 70 Prozent. Der Sanierungschef will das Kerngeschäft erhalten. Doch die Investmentbanker umkreisen das Firmenkonglomerat bereits.
Problem für Kroatiens Regierung
„Es handelt sich um wertvolle Unternehmen, die weiterverkauft werden können. Man braucht aber zuvor eine Gesamtlösung“, fordert Investmentbankerin Nagle. „Wir gehen davon aus, dass es Jahre dauert, bis alle Firmen zerlegt und verkauft werden können.“ Der Sanierungsplan soll bis 2021 umgesetzt werden. Am Ende sollen dann weniger als zwei Dutzend Firmen übrig bleiben.
Alles, was nicht zum Kerngeschäft Handel gehört, soll verkauft werden. Die Mannschaft zur Restrukturierung will insgesamt 80 Firmen sowie 200 Immobilien losschlagen. Auch der Helikopter und die Jacht von Todorić werden verkauft.
„Die kroatische Regierung hat kein Interesse daran, dass das Unternehmen gegen die Wand fährt. Das frische Geld für die Restrukturierung des Firmenkonglomerats kann aber nicht alleine aus dem eigenen Land kommen“, sagt Agrokor-Kennerin Nagle. Aus den Verkäufen außerhalb des Kerngeschäfts wird nur ein Erlös von etwa 40 Millionen Euro erwartet.
Problem für kroatischen Premier Plenković
Todorić sieht sich unterdessen als Opfer, dem sein Familienunternehmen geraubt worden ist. Angefangen hat der Aufstieg mit dem Blumenhandel. Schon vor dem Zusammenbruch Jugoslawiens stieg er zum mit Abstand größten Blumenhändler des Landes auf.
Todorić ist längst auch zum Problem für den kroatischen Premier Andrej Plenković geworden. Der Chef der konservativen Partei HDZ führt das Land seit den vorgezogenen Parlamentswahlen im September vergangenen Jahres. Kritiker in Zagreb rügen, dass der Agrokor-Gründer engste Kontakte zur konservativ-nationalistischen Regierung pflegt. Finanzminister Zdravko Naric war bei Agrokor einst Finanzmanager. „Agrokor hatte immer enge Verbindungen zu den Regierungsparteien, egal, welche Partei regiert hat“, sagt ein Außenhandelsspezialist in Zagreb.
Wohl auch deshalb ist Agrokor nun „too big to fail“: Die Regierung in Zagreb hatte den Handelskonzern per Sondergesetz im Frühjahr übernommen, um eine Pleite im letzten Moment abzuwenden. Sie will nun eine Vereinbarung mit den Gläubigern erzielen, um die gesunden Bestandteile des Konzerns zu erhalten. Der von der Regierung eingesetzte Sanierer Ramljak soll Licht in die undurchsichtigen Geschäfte des Oligarchen bringen. „Ich dachte, ich hätte alles gesehen. Doch ich habe noch nie gesehen, wie konsequent und erfolgreich Verluste über Jahre versteckt wurden“, sagt der ‧Restrukturierer. Im Hintergrund wird bereits fleißig verhandelt, welche Investoren welche Teile von Agrokor übernehmen könnten. „Ich erwarte Kaufinteressenten für Teile der Gruppe unter anderem aus den deutschsprachigen Ländern“, sagt die ‧frühere Bank-Austria-Managerin Nagle. Nicht nur Handelskonzerne, sondern auch Finanzinvestoren und Family-Offices werden als Interessenten gehandelt.
Todorić muss sich die Zerschlagung seines Werks aus der Ferne ansehen. Über seine Auslieferung nach Kroatien wird im nächsten Jahr entschieden werden. Bis dahin, da hat Todorić recht, ist er erst einmal Londoner.
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