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Arago-Chef Chris Boos expandiert Der blinde Seher

Chris Boos ist fast blind, sein Informatikstudium schmiss er hin. Dennoch ist er heute einer der wenigen Pioniere der künstlichen Intelligenz in Deutschland. Und expandiert mit seiner Technologie bis ins Silicon Valley.
01.08.2017 - 18:55 Uhr Kommentieren
Mit Arago ins Mekka der künstlichen Intelligenz. Quelle: Matt Greenslade/photo-nyc.com
Chris Boos

Mit Arago ins Mekka der künstlichen Intelligenz.

(Foto: Matt Greenslade/photo-nyc.com)

Frankfurt, San Francisco Die Behinderung hat ihn nicht aufgehalten, im Gegenteil. „Ich sehe nicht gut, ich meine aber, ich habe ein besseres Gehör und Gedächtnis als andere Menschen“, sagt Boos. „Ich glaube zudem an den Menschen. Wir können alles schaffen, wir müssen es uns nur zutrauen! Schauen Sie mich an!“

Selbstsicher tritt Boos, der auch Albino ist, auch an diesem Tag auf. Er hat in seine Firmenzentrale im Frankfurter Westend geladen. Es ist ein zweckmäßiges Geschäftshaus an der Eschersheimer Landstraße. Er trägt – wie so oft – Jeans, T-Shirt und Lederjacke. Seine Art ist direkt, empathisch, er spricht schnell: „Ich habe es mir hart erarbeitet, im T-Shirt zu CEOs zu gehen.“ Sein Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr. Der mittelgroße, kräftige Mann hat eine Karriere gemacht, die ihresgleichen sucht in Deutschland. Er ist Pionier und Visionär für künstliche Intelligenz (KI).

Nach dem Abitur studiert er Informatik in Zürich und Darmstadt. Nebenbei besucht er auch immer wieder Vorlesungen über die englische Romantik, obwohl er nur mit einer Lupe, die er immer in der Tasche trägt, lesen kann. Im Jahr 1995 bricht er das Studium ab und macht sich selbstständig. Er gründet Arago in Frankfurt, ein IT-Unternehmen, das auf künstliche Intelligenz spezialisiert ist. Um die Forschung und Entwicklung selbst zu finanzieren, fokussiert sich das Unternehmen zunächst auf IT-Management und -Beratung. Die Strategie zeigt bald die ersten Erfolge. So entwickelt Boos mit seinem Team zum Beispiel die deutschlandweite Lösung für Onlinebanking. 2014 bringt Arago schließlich seine generelle KI-Plattform zur Marktreife.

Die von ihm und seinen Leuten entwickelte Maschine „Hiro“ – das steht für „Human Intelligence Robotically Optimized“, zu Deutsch etwa „roboteroptimierte menschliche Intelligenz“ – steuert inzwischen den IT-Infrastrukturbetrieb von Banken (UBS), IT-Service-Providern sowie Industrieunternehmen wie Klöckner. Gisbert Rühl, der Vorstandsvorsitzende des SDax-Konzerns, kennt Boos seit vielen Jahren. Er sagt: „Aktuell arbeiten wir mit Arago an einem Artificial-Intelligence-Projekt mit dem Ziel der Automatisierung unseres IT-Incident-Managements in den USA.“ Wenn ein Nutzer ein Problem hat, suche die selbstlernende künstliche Intelligenz eigenständig nach einer Lösung und setze sie automatisch um.

Das Geschäftsgeheimnis von Arago besteht aus Algorithmen und Menschen, die diese entwickeln können. 170 Menschen beschäftigt Boos inzwischen in Frankfurt, New York und im englischen Exeter. Der Umsatz liegt eigenen Angaben zufolge im dreistelligen Millionen-Euro-Bereich. Profitabel soll die Firma schon lange sein. Um das Finanzielle hat sich Boos allerdings nie selbst gekümmert. In den Anfangsjahren ist sein Onkel Bernhard Walther mit an Bord, ein pensionierter Banker, der früher bei Credit Suisse und UBS gearbeitet hat. Er kümmert sich um die Finanzen und ist so etwas wie Boos’ Ziehvater. „Er hat mir den ersten Computer gekauft.“

Nun soll die Expansion von Arago im großen Stil weitergehen. Der Deutsche will die Hotspots der IT-Industrie erobern: In San Francisco im Silicon Valley der USA und in Bangalore in Indien sollen Büros eröffnet werden. Die Niederlassung im Silicon Valley soll bis Jahresende auf 20 Mitarbeiter wachsen. „Wir wollen dort nicht entwickeln, wir wollen dort unsere Systeme verkaufen“, sagt Boos. Natürlich sei das Valley aber auch der perfekte Ort, um mit den klügsten Köpfen aus dem Forschungsbereich in Kontakt zu kommen. „Wir sehen die anderen Unternehmen allerdings nicht als Konkurrenten. Vielmehr sind wir eine Gemeinschaft. Daher erwarten wir – neben neuen wirtschaftlichen Vorzügen – auch viel Austausch auf Forschungs- und Entwicklungsebene.“ Die Firmenzentrale bleibe auf jeden Fall in Deutschland. „Frankfurt ist eine tolle, internationale Stadt. Hier sind wir zudem der Platzhirsch und eine der Top-Arbeitsadressen für Entwickler.“

 Lehrer und Weltverbesserer

An der Westküste ist die Konkurrenz durch Google oder Facebook groß. Die Technologiekonzerne entwickeln ebenfalls künstliche Intelligenz. Arago könnte jedoch zugutekommen, dass die Firma vor allem auf Unternehmenskunden setzt, ein schwieriger Markt für viele Tech-Riesen, die ihre Produkte meist direkt an den Kunden bringen. Google etwa beginnt gerade erst, das Unternehmensgeschäft für sich zu erschließen. Geschäftspartner wie Rühl von Klöckner, die sich im Silicon Valley auskennen, sind optimistisch: „Chris Boos ist ein Überzeugungstäter und unterscheidet sich damit von vielen anderen Gründern. Er ist nicht auf einen schnellen und profitablen Exit aus, sondern handelt vielmehr als Weltverbesserer, der Europa im Technologiewettrennen gegen die USA und Asien helfen möchte. Besonders beeindruckt sei er von Boos’ hoher Intelligenz und seinen didaktischen Fähigkeiten. „Es gibt niemanden, der das Thema künstliche Intelligenz so gut und so klar erklären kann wie Chris Boos – gerade auch für Nicht-Experten.“

 Die finanziellen Mittel für die Expansion sind da. Im Jahr 2014 hat sich der Finanzinvestor KKR mit rund 50 Millionen Euro an Arago beteiligt und hält inzwischen die Mehrheit. Das Board besteht seitdem aus drei Mitgliedern und soll nun auf sechs erweitert werden. Derzeit sind in ihm Lucian Schönefelder und Philipp Freise, beide von KKR, vertreten sowie Alexander Geiser, Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Hering Schuppener. Schönefelder sagt: „Chris Boos ist Deutschlands ‚Mr. Artificial Intelligence’, und wir haben viel Spaß an der Partnerschaft mit ihm. Arago revolutioniert den IT-Betrieb von Unternehmen und hat in den letzten Jahren zahlreiche namhafte Kunden in den USA, Asien und Europa gewonnen.“ Außer Geld biete KKR auch Arago auch Zugang zu seinem globalen Netzwerk, etwa der Niederlassung an der Sand Hill Road, der Straße der Investoren im Silicon Valley.

 Die Pläne von Arago sind ambitioniert. Gründer Boos ist sich dessen bewusst, Stress verursacht ihm das aber keinen: „Ich denke nicht, dass es bei unserer Expansion irgendetwas zu befürchten gibt.“ Und wenn der Vater von zwei Kindern doch einmal genug von Algorithmen und Menschen hat, widmet er sich seiner zweiten Leidenschaft: der Rockmusik. An seinem Computer im Büro befindet sich eine Musikanlage mit einem SPL-Gold-Nugget-Mikrofon. Und in einem Kühlschrank einige Schritte vom Schreibtisch entfernt lagern einige Flaschen alten Cognacs und Whiskey. Eine Flasche stammt aus dem Jahr 1801. „Die wird aufgemacht, wenn es mal richtig gut oder richtig schlecht läuft, je nachdem.“ Es könnte bald so weit sein.

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