Bahn-Chef Rüdiger Grube „Berlin ist ein Juwel“

„Reduzieren Sie Berlin nicht auf den BER.“
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Düsseldorf Wir treffen Rüdiger Grube in einem Gewölbekeller in Berlin-Moabit – unterhalb der ehrwürdigen Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin. Der Hamburger ist nicht als Bahn-Chef, sondern als Sonderbeauftragter des Stifterverbandes für Berlin/Brandenburg unterwegs − doch er engagiert sich nicht nur für die Wissenschaft, er wirbt auch mit Leidenschaft für den gesamten Standort an der Spree.
Herr Grube, vom Berliner Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit bleibt der Satz: Berlin ist arm, aber sexy. Wie finden Sie als Bahn-Chef, der von hier aus den Konzern lenkt, Berlin?
Berlin ist weiterhin sexy, aber nicht mehr arm. Heute sind junge Leute weltweit begierig darauf, hierher zu kommen. Ich bin seit 2009 hier, es ist unglaublich, was sich getan hat. Berlin ist ein Juwel. Die Gründerszene zum Beispiel war damals gar nicht wahrnehmbar. Nach nur sechs Jahren sind wir nun Start-up-Hauptstadt und führend bei Gründungen.
Der Hamburger Grube ist nun bekennender Berliner?
Ich bin unter der Woche meistens hier und am Wochenende, wann immer ich es schaffe, in Hamburg. Das ist eine fantastische Kombination. Hier in Berlin ist es hektisch, das Leben pulsiert. Hamburg wirkt im Vergleich wie ein gepflegter Park, Berlin ist unsortierter, im Aufbau, man spürt an jeder Ecke diese Gründermentalität.
Wo erlebt ein Manager wie Sie das?
Ich bin im Konzern unter anderem für die Digitalisierung zuständig und daher auch in der Start-up-Szene unterwegs – im Kreuzberger „Betahaus“, im „Hubraum“ im „Plug and Play“ und wie sie alle heißen. Wir haben selbst gerade an der Jannowitzbrücke ein Label namens Mindbox eröffnet, da geht es um digitale Schieneninfrastruktur. Diese Szene hier erleben zu können, das ist schon klasse. Und das in einem Bundesland, das finanziell vor dem Ruin stand.
Berlin ist immer noch eines der am höchsten verschuldeten Länder.
Ja, aber ich schaue nach vorn. Berlin verzeichnet von allen Bundesländern die meisten neuen Unternehmen pro Einwohner. Die Zahl der Erwerbstätigen ist 2014 um 1,8 Prozent auf 1,8 Millionen gestiegen – bundesweit betrug das Plus nur 0,8 Prozent.
Auch den Newcomern fehlt es an Geld: Pro Start-up gibt es hier gerade mal 20 Prozent des Venture-Capitals, was im Silicon Valley fließt.
Richtig. Aber 2014 wurden die Start-ups hier schon mit 1,92 Milliarden Euro ausgestattet. Damit liegen wir in Europa auf dem ersten Platz. Sogar deutlich vor London.
Doch kein Dax-Unternehmen hat seinen Sitz nach Berlin verlegt.
Na ja, die Konzerne haben nun mal alle ihren Firmensitz. Natürlich war Daimler in den 1920er-Jahren mal in Berlin, aber ein Umzug heute wäre doch wohl zu viel verlangt. Und vergessen Sie nicht: Alle Konzerne haben hier große Repräsentanzen, viele beteiligen sich aktiv mit viel Geld am Stadtleben.
Sie erinnern sich sicherlich an die Visionen nach der Wiedervereinigung. Heute, 25 Jahre später, ist Berlin immer noch ein Armenhaus.
Widerspruch! Schauen Sie sich doch an, wie sich Berlin entwickelt hat! Ich möchte an die Wendezeit erinnern. Mein Sohn ist 22, der hat neulich einen alten Zeitungsartikel entdeckt und mich gefragt, ob wir wirklich eine Heidenangst hatten vor den vielen Menschen, die aus dem Osten in den Westen strömten, vor dem sozialen Unfrieden, der da entstehen könnte. Und was war? Die Stadt hat das alles nicht nur verkraftet, sondern wohlgeordnet bewältigt und in Wachstum verwandelt. Daran muss ich heute, wo vielen der Strom der Flüchtlinge Angst macht, oft denken. Heute beneiden uns weltweit Städte um das, was wir in Berlin aufgebaut haben. Berlin ist eine Erfolgsgeschichte, die noch nicht zu Ende geschrieben ist.
Und die ganze Welt lacht über das Flughafen-Desaster.
Reduzieren Sie Berlin nicht auf den BER. Das ist schlimm genug, aber Berlin hat Hervorragendes geleistet, leistet Hervorragendes und hat das Zeug zu einer ganz großen Zukunft ...
... ohne nennenswerte Industrie und mit einer Rekordarbeitslosigkeit, die nur in Bremen noch höher ist?
Entscheidend ist, dass es nach vorn geht und vieles schneller wächst als anderswo in Deutschland. Schauen Sie allein die Gewerbeneugründungen an: 41.000 allein 2014 − damit liegt Berlin pro Einwohner deutschlandweit an der Spitze.
Der Schrauben-Milliardär Reinhold Würth stellt zwar gerade im Gropiusbau die Schmuckstücke seiner Kunstsammlung aus. Ein neues Werk würde er aber keinesfalls hier bauen, sagt er, das hat er für 100 Millionen Euro bei Genf errichtet. Herr Würth findet Berlin „grausam provinziell“.
Dass das Kulturangebot einzigartig ist, muss man niemandem mehr erklären. Klaus Wowereit und sein Nachfolger Michael Müller haben inzwischen auch ein wirtschaftsfreundliches Klima in der Stadt geschaffen. Und auch die Infrastruktur ist fantastisch, woran die Deutsche Bahn ja nicht ganz schuldlos ist. Nur noch jeder dritte Berliner hat ein Auto. Warum? Weil der Nahverkehr hervorragend ist.