Bahnchef Richard Lutz Total digital

Die Zahlen stimmen, doch nicht alle Probleme sind gelöst.
Berlin Richard Lutz ist kein Mann großer Worte. Deshalb ist es für den seit zehn Monaten amtierenden Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn auch so schwer, aus dem Schatten seiner Vorgänger zu treten. Die Selbstdarsteller Rüdiger Grube und Hartmut Mehdorn hatten sich binnen kürzester Zeit den Vornahmen „Bahnchef“ erarbeitet.
Bei Lutz wird das Zeit brauchen, obwohl der promovierte Betriebswirt bemerkenswerte Sätze sagt. „Wir haben 2017 einiges über uns selbst gelernt.“ Und das sagt ausgerechnet einer, der seit 30 Jahren für den Staatskonzern arbeitet.
Aber das ist typisch für Lutz. Der 53-Jährige will nach innen wirken. Schönreden ist nicht seine Sache. Die Botschaft an rund 320.000 Eisenbahner soll wohl lauten: Strengt euch an. Denn die Bahn hat ihre Probleme längst nicht alle gelöst, auch wenn die Zahlen stimmen. Im Fernverkehr fährt die Bahn von einem Rekord zum nächsten. Trotz technischer Pannen wie zur Eröffnung der neuen Höchstgeschwindigkeitsstrecke Berlin-München. Trotz wieder häufigerer Verspätungen. Trotz Verkehrschaos durch Unwetter – und trotz des Baustellendesasters in Rastatt. Das brachte Europas Güterverkehr über Wochen zum Erliegen.
Lutz’ freundliches Auftreten bei internen Veranstaltungen wie auch öffentlichen Terminen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Chef des größten deutschen Staatskonzerns die Lage durchaus nicht als erfreulich ansieht. Im Gegenteil. „Durchwachsen“ nennt Lutz das Jahr 2017. Dabei kann sich die Bilanz sehen lassen. Umsatz und Gewinn werden steigen, sogar stärker als vorausgesagt. Und die neue Rennstrecke zwischen der Bundeshauptstadt und München ist in den ersten Wochen so erfolgreich, dass schon jetzt feststeht: Ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2018 werden täglich fünf statt nur drei ICEs als Sprinter fahren – und mit vier Stunden Fahrzeit den Fluggesellschaften Konkurrenz machen. Überhaupt: ICEs und ICs sind inzwischen mit 55,6 Prozent gut ausgelastet, das sind drei Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor. Als hätte die Bahn nur ein Problem: zu wenig Züge.
Lutz weiß aber auch, dass er Profil gewinnen muss, damit er im harten Wettkampf um die Gunst der Politik mithalten kann. Was liegt da näher, als neue Technologien in den Mittelpunkt zu stellen. Knapp ein Jahr nach seiner Bestellung zum Vorstandschef ruft Lutz nun die totale Digitalisierung der Schiene aus. Stellwerke, Weichen und Signale sollen in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren komplett durch digitale Anlagen ersetzt werden. Bei 160.000 Signalen, 67.000 Weichen und 2800 Stellwerken eine riesige Aufgabe.
Doch der Effekt soll verblüffend sein. Die Kapazitäten auf der Schiene steigen dadurch um zwanzig Prozent, verspricht Lutz. Ohne dass ein einziges Gleis neu gebaut werden müsste. Züge können in dichterer Folge fahren, vielleicht sogar eines Tages ohne Lokführer. Aber das behält Lutz lieber für sich. Den Aufstand der Eisenbahner hat er noch gut in Erinnerung, als das Thema erstmals auf den Tisch kam.
Das Programm „Digitale Schiene Deutschland“ ist eigentlich nicht wirklich neu. Schon vor drei Jahren war die Digitalisierung ein wichtiger Punkt im Modernisierungspakt für den Staatskonzern.
Aber Lutz scheint gelernt zu haben. Die Deutsche Bahn muss sich nicht nur gut bei den Kunden, sondern auch bei ihrem Geldgeber Staat verkaufen.
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