Beyond Gender Agenda Initiative bietet Vielfaltssiegel für Unternehmen – stößt aber noch auf Skepsis

Die Unternehmerin verstärkt mit dem BGA-Siegel ihr Engagement bei einem der aktuellen Topthemen im Personalmanagement.
Düsseldorf Victoria Wagner macht ernst. Die Unternehmerin, die erst vor gut einem Jahr die Diversitätsinitiative Beyond Gender Agenda (BGA) gegründet hat, will mit einem umfassenden Siegel für mehr Engagement und Transparenz beim Thema Diversität sorgen. Ab sofort können sich Unternehmen von ihr und ihrem Team zertifizieren lassen. „Wir wollen damit erreichen, dass es nicht nur bei Lippenbekenntnissen für mehr Vielfalt in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft bleibt“, erläutert Wagner.
Ausschlaggebend sei dabei nicht, dass Unternehmen schon jetzt divers aufgestellt seien, sondern dass sie sich nachweislich auf den Weg gemacht hätten, mehr Vielfalt zu erreichen. „Das Siegel darf tragen, wer Diversität zur Chefsache gemacht hat, ein systematisches Datenmanagement sowie umfassendes Verständnis von Diversität über alle Kategorien etabliert hat sowie Maßnahmen für ein inklusives Arbeitsumfeld eingeführt hat“, sagt Wagner im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Wenn Führungsebenen aber noch sehr homogen aufgestellt seien, bedürfe es schon eines ausgefeilten Plans, um das Siegel zu erhalten. Wagner, die in den 2000er-Jahren als Agenturchefin und Unternehmerin tätig war, verstärkt damit ihr Engagement bei einem der aktuellen Topthemen im Personalmanagement. Diversität ist inzwischen zu einem Signalwort für Zukunftsfähigkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen geworden.
Hintergrund ist die Erkenntnis, dass gemischt besetzte Teams bessere Ergebnisse abliefern, wie breit angelegte Studien zeigen. Zudem wird Diversität auch bei der Gewinnung von Top-Talenten zum wichtigen Faktor.
Die Zertifizierung wird in zwei Stufen angeboten – als Basis- oder Vollzertifizierung. Der Parfümeriekonzern Douglas ist das erste Unternehmen, das eine Vollzertifizierung beauftragt und auch erhalten hat. Douglas-Chefin Tina Müller, die dem Beirat von Beyond Gender Agenda angehört, begrüßt, dass sie ihr Engagement nun auch abbilden und damit für ihr Unternehmen werben kann.

„Bei Douglas verstehen wir Diversität als strategischen Wettbewerbsfaktor, der auf allen Ebenen konsequent verfolgt wird.“
Immerhin bestehe der Vorstand bereits aus zwei Frauen und zwei Männern. „Bei Douglas verstehen wir Diversität als strategischen Wettbewerbsfaktor, der auf allen Ebenen konsequent verfolgt wird und die Vision des Unternehmens bestimmt“, sagt Müller.
Einige Personalmanager sind kritisch
Das Siegel basiert auf einem breiten Diversitätsverständnis. Es soll die Chancengerechtigkeit von Führungskräften mit Behinderungen, jeden Geschlechts, jeglichen Alters, kultureller sowie sozialer Herkunft oder unterschiedlicher sexueller Orientierung sowie Geschlechtsidentität abbilden.
Der Anspruch ist dabei hoch. Schließlich will die Initiative den Dreiklang aus Diversität, Inklusion und Chancengleichheit in börsennotierten und mittelständischen Unternehmen verankern, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft langfristig zu sichern.
Das Siegel wird von Personalmanagern jedoch sehr unterschiedlich bewertet. Während Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn, der auch im BGA-Beirat vertreten ist, es grundsätzlich unterstützt, bewerten andere führende Personaler das neue Siegel kritisch.
Cawa Younosi etwa vom Dax-Konzern SAP hält Siegel allein für nicht aussagekräftig. Es komme entscheidend darauf an, wie sie zustande kämen, nämlich ob sie bereits Erreichtes prämieren oder ob sie bloße Absichtserklärungen darstellen. Der Unterschied sei für die Zielgruppe oft gar nicht erkennbar. Younosi sagt: „Wir brauchen mehr echte Maßnahmen und weniger Marketing.“
Ana-Cristina Grohnert, einst Personalvorständin beim Versicherer Allianz und im Vorstand der Initiative Charta der Vielfalt, erklärt: „Grundsätzlich begrüße ich jedes Engagement, das uns diversen Führungsgremien näher bringt. Ein solches Prüf- oder Qualitätssiegel allerdings halte ich für sehr schwierig zu vergeben. Denn ein Kulturwandel ist enorm schwierig zu messen und abzubilden.“ Zudem könnte so ein Siegel auch verstanden werden als ein „Abgehakt“. Ein Kulturwandel sei aber ein fortlaufender Prozess.
Victoria Wagner reagiert selbstbewusst auf diese Kritik. Sie ist zuversichtlich, dass sich das Siegel durchsetzen wird: "Das Siegel basiert auf wissenschaftlichen Kriterien, und es gibt großen Bedarf für mehr Transparenz."

„Wir brauchen mehr echte Maßnahmen und weniger Marketing.“
Eine Basiszertifizierung mit dem BGA-Siegel kostet 12.000 Euro, eine Vollzertifizierung ist ab 25.000 Euro zu haben, je nach Unternehmensgröße und Aufwand. Für die Basiszertifizierung wird in den Unternehmen eine standardisierte Befragung durchgeführt, die den Status quo von Diversität und inklusivem Arbeitsumfeld abbilden soll. Die Angaben müssen von den Unternehmen belegt werden.
Eine Vollzertifizierung beinhaltet darüber hinaus Interviews mit der Unternehmensführung und Mitarbeitern aus verschiedenen Bereichen und Hierarchiestufen. Der Zertifizierungsprozess wird durch den Lehrstuhl für Internationales Management an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg wissenschaftlich begleitet. „Mit der Auswertung erhalten die Unternehmen eine Handlungsempfehlung für die weitere Transformation hin zu einer diversen Aufstellung mit inklusivem Arbeitsumfeld“, erklärt Lehrstuhlinhaberin Susanne Schmidt.
Das Siegel soll erst einmal für zwei Jahre vergeben werden. Einen Entzug soll es nur in absoluten Ausnahmefällen geben: „Es geht uns nicht um Sanktionierung, sondern um positive Verstärkung“, sagt Wagner.
Investoren fordern Vielfalt ein
Bisher gibt es in Deutschland ausschließlich Siegel oder Skalen, die einzelne Dimensionen abbilden, wie das Pride-Audit der Uhlala Group für sexuelle Orientierung, die Brigitte-Studie für die besten Arbeitgeber für Frauen oder der Frauen-Karriere-Index (FKi) der Beraterin Barbara Lutz. Mit ihrem BGA-Siegel schafft sich Wagner auch ein Geschäftsmodell für ihre Initiative, die sie aus ihrem privaten Vermögen aufgebaut hat.
Dass Diversität ein Wettbewerbsfaktor ist, wird inzwischen auch verstärkt von Investoren so gesehen und eingefordert. So kündigten bereits vergangenes Jahr die Finanzinvestoren Blackstone und State Street an, auf Hauptversammlungen allzu homogene Führungsgremien nicht mehr zu entlasten.
Die Investmentbank Goldman Sachs will kein amerikanisches oder westeuropäisches Unternehmen mehr an die Börse bringen, in dessen Aufsichts- oder Verwaltungsrat nur weiße Männer sitzen. Obendrein sollen ab Juli 2021 bei Börsenaspiranten mindestens zwei Frauen oder anderweitig diverse Mitglieder in dem Aufsichtsgremium sitzen.
Die Deutsche Börse wiederum führte im März 2020 den Dax 50 ESG-Index ein, in dem Konzerne gebündelt sind, die sich Standards für Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) im Allgemeinen sowie Nachhaltigkeit und Diversität im Besonderen gesetzt haben.
Und auch die Chef-Justiziare von rund 100 Konzernen haben inzwischen mit dem „General Counsel for Diversity & Inclusion Statement“ ein klares Zeichen gesetzt – und den Druck so nach innen und außen erhöht. Zu den Unterzeichnern der Erklärung und Selbstverpflichtung gehören die Verantwortlichen einiger deutscher Konzerne wie Bayer, BASF, Deutsche Telekom, Merck und Siemens.
Business as Female
Zum Weltfrauentag am 8. März findet der erste THE SHIFT Female CEO Circle statt: Wir diskutieren ab 12 Uhr mit Entscheiderinnen aus der Wirtschaft nah an der Praxis, wie sich Diversity in Unternehmen umsetzen lässt. Hier geht es zur Anmeldung.
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