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Bilanzrecht in den USA Bei Amerikas Konzernen fehlt der gute Wille

Konzerne wie Exxon, IBM oder Amazon tätigen Milliardenübernahmen. Die notwendigen Abschreibungen schieben sie auf die lange Bank, das US-Recht macht es ihnen leicht. Kritiker sprechen von Anlegertäuschung.
22.06.2017 - 13:54 Uhr Kommentieren
Kaum Abschreibungen trotz Preisverfall. Quelle: AP
Tankwagen von Exxon

Kaum Abschreibungen trotz Preisverfall.

(Foto: AP)

New York Alle Welt nutzt die Cloud. Das sind IT-Dienste, die aus einer internetbasierten „Wolke“ stammen. Ähnlich wie Strom aus der Steckdose kommen jetzt Unternehmensdienstleistungen wie Rechnungsprüfung oder Lagerbestandshaltung je nach Bedarf aus dem Internet. Vorbei ist die Zeit der Server oder Großraumrechner, das ewige Aufspielen neuer Software.

IBM sah das lange Zeit anders. Das war nur zu verständlich, verdiente doch „Big Blue“ sehr viel Geld mit der Hardware, die sich die Firmen vor dem Zeitalter der Cloud ins Haus holen mussten. IBM-Chefin Ginni Rometty hatte erst spät ein Einsehen. Mitte 2013 kaufte sie für zwei Milliarden Dollar den Cloudanbieter Softlayer, investierte dazu noch eine Milliarde Dollar in das Geschäft der amerikanischen Firma.

Viel genutzt hat es bislang nicht. Der Handelsriese Amazon mit AWS und der Softwarekonzern Microsoft mit Azure dominieren den Markt, IBM liegt abgeschlagen auf Platz drei. Laut IT-Dienst IDC wird Big Blue 2017 noch weiter zurückfallen, derweil Google massiv aufholt. Nach Ansicht von Investmentberater Arne Alsin war die Übernahme von Softlayer ein Fehlschlag, es fehlen die Großkunden, das Angebot sei nicht gut genug aufgestellt. Laut Alsin müssten bis zu 90 Prozent des investiertes Geldes von IBM abgeschrieben werden: „Das ist eine Notwendigkeit.“

Allerdings wird IBM dies kaum tun. Seit 2000 kaufte der Konzern Branchenkennern zufolge mehr als 125 Firmen, ohne auch nur einmal den Goodwill abzuschreiben, also den gezahlten Aufpreis auf den Buchwert der Firmen. „Das ist merkwürdig“, merkt der Investmentberater Alsin kritisch an, „niemand ist so unfehlbar.“ IBM glaubt es aber zu sein: Einem Eigenkapital von 18,3 Milliarden Dollar stehen inzwischen 36,2 Milliarden Dollar an Goodwill gegenüber. Im Jahr 2000 waren es ganze 848 Millionen Dollar. Kurz nach der Jahrtausendwende hatte die Wall Street ihre Finanzmarktregeln gelockert.

IBM spiegelt einen amerikanischen Trend wider: Die niedrigen Zinsen, der starke Dollar und die brummende US-Wirtschaft haben eine Übernahmewelle ausgelöst. Dass Unternehmenslenker sich dabei die Gewinn-und-Verlust-Rechnung nicht mehr mit hässlichen Abschreibungen auf überhöhte Kaupreise verunzieren müssen, treibt die Welle zusätzlich an. Folge: Belief sich der gesamte Goodwill der 30 Großkonzerne im Dow-Jones-Aktienindex vor einem Jahrzehnt auf 364 Milliarden Dollar, so sind es heute 574 Milliarden.

Laut den US-Rechnungslegungsgrundsätzen „Generally Accepted Accounting Principles“ (GAAP) muss Goodwill seit 2002 nicht mehr über 40 Jahre abgeschrieben werden. Die US-Börsenaufsicht wollte die Abschreibungsfrist damals auf 20 Jahren verschärfen, die Unternehmen wehrten sich per Lobbyarbeit. So gibt es heute gar keine Frist mehr. Ähnlich wie in Deutschland müssen die Unternehmen lediglich jedes Jahr einen „Impairment-Test“ vornehmen, um möglichen Abschreibungsbedarf zu identifizieren. Bei diesem Test gibt es viel Spielraum. Die GAAP-Richtlinien erschweren eine Abschreibung sogar: Wird einmal abgeschrieben, kann der Vermögenswert bei veränderten Marktverhältnissen nicht wieder aufgewertet werden – das ist in Deutschland anders.

Berichtigung? Überflüssig

Der Unterschied wirkt sich vor allem bei Energiefirmen aus, die ihre Öl- und Erdgasreserven bewerten müssen. Sie leiden unter schwachen Marktpreisen und möglichen C02-Steuern aufgrund der Klimaerwärmung. So haben die europäischen Konzerne Shell, Total und BP seit 2014 den Wert ihrer Vorkommen insgesamt um 50 Milliarden Dollar heruntergesetzt. Nicht mit dabei ist US-Exxon Mobil. Laut dem Unternehmen seien die Reserven so konservativ bewertet, dass eine Berichtigung überflüssig sei. Kurzfristige Marktschwankungen würden nicht berücksichtigt. Nebeneffekt: Der Kurs von Exxon schnitt besser ab als der von Konkurrenten.

Mehr Goodwill als Eigenkapital in der Bilanz des Computerkonzerns. Quelle: Reuters
IBM-Chefin Ginni Rometty

Mehr Goodwill als Eigenkapital in der Bilanz des Computerkonzerns.

(Foto: Reuters)

Der New Yorker Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman wittert hier falsches Spiel – und untersucht seit 2015 Exxon Mobil. Vor wenigen Tagen schrieb er in Gerichtsdokumenten, dass die Bewertungsmaßstäbe von Exxon Mobil „nur zum Schein“ die Auswirkungen von globaler Erwärmung miteinbeziehen, der Konzern würde Aktionäre „hinters Licht führen“. Die Reaktion von Exxon Mobil war scharf, Schneiderman würde eine „politische Hexenjagd“ durchführen.

Exxon Mobil kaufte 2009 für stolze 31 Milliarden Dollar den US-Erdgasproduzenten XTO Energy. Damals lagen die Erdgaspreise doppelt so hoch wie heute. Trotzdem nahm Exxon lange Zeit keine Abschreibung vor. „Es ist unmöglich, dass die Vermögenswerte nicht an Wert verloren haben“, schrieb Analyst Paul Sankey von Wolfe Research. Anfang 2017 gab Exxon zögerlich nach und schrieb bei XTO zwei Milliarden Dollar ab – ganze sechs Prozent des Kaufpreises.

Exxon Mobil steht nicht allein. Fast alle Konzerne, quer durch alle Branchen, häufen seit Jahren Goodwill an. Apple erhöhte ihn seit dem Jahr 2000 von 30 Millionen auf 5,4 Milliarden Dollar, Cisco von vier auf 27 Milliarden Dollar, Johnson & Johnson von drei auf 23 Milliarden Dollar und General Electric von 23 auf 70 Milliarden Dollar. Grund dafür ist der Übernahmeboom.

Übernahmefieber in den USA

Keine Woche ohne eine Großakquisition: Amazon kauft die Biosupermarktkette Whole Foods für fast 14 Milliarden Dollar, T-Mobile verhandelt in den USA mit Konkurrent Sprint über eine Fusion – im Gesamtwert von rund 86 Milliarden Dollar. Vor einigen Monaten übernahm Qualcomm den holländischen Chipkonkurrenten NXP für fast 47 Milliarden Dollar, der Zigarettenhersteller British American Tobacco übernimmt Reynolds American für 49 Milliarden Dollar.

Das Gesamtvolumen von Fusionen und Übernahmen lag 2016 bei 1,3 Billionen Dollar, ein Rekordwert. Der Grund liegt im billigen Geld. Die US-Notenbank Fed senkte als Reaktion auf die Finanzkrise die Zinsen frühzeitig und stark. Jetzt erholt sich die US-Wirtschaft, und die Fed erhöht die Leitzinsen langsam, aber stetig – was wiederum „den Druck erhöht, Deals schnell durchzuziehen“, wie Kirsty Wilson, Marktforschungschefin der Finanzberatung Mergermarket, sagt. Nur so profitieren die Unternehmen noch von niedrigen Zinsen.

Darüber hinaus notieren die Aktienkurse auf Rekordhöhe – und sind damit eine günstige Akquisitionswährung, wenn mit Aktien bezahlt wird. Auch fehlt es nicht an Cash. Die Bargeldbestände bei den 500 im S&P-Index notierten Unternehmen belaufen sich auf mehr als 1,5 Billionen Dollar. Hinzu kommen im Ausland geparkte Bargeldbestände, die sich laut Wirtschaftsdienst Accounting Observer auf 2,4 Billionen Dollar belaufen.

Warum nehmen Unternehmen so ungern Abschreibungen vor? Manager wie IBM-Chefin Rometty gestehen ungern Fehler ein. Auch wirken sich Berichtigungen negativ auf Aktienkurs und Bonuszahlungen aus. Vorstände verdienen in den USA deutlich mehr als in Deutschland, nicht zuletzt, weil sie von Aktienoptionen profitieren. Rometty erhielt 2016 nach Angaben der Beratungsfirma ISS vor allem durch Optionen mehr als 50 Millionen Dollar, was sie mit zu den höchstbezahlten Managern der USA machte. Und das in einer Zeit, in der die Umsätze und der Aktienkurs von IBM fielen. Mitarbeit: Ulf Sommer

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