Business-Englisch in Unternehmen Lost without Translation

Englisch im Unternehmen lockt Talente an, beschert aber auch Reibungsverlust.
Düsseldorf Mit Tomasz Smaczny ist der erste nichtdeutschsprachige Vorstand in der Ergo-Zentrale in Düsseldorf eingezogen – und mit ihm der Sprachfrust. Der gebürtige Pole soll die EDV des Versicherungskonzerns modernisieren und digitale Angebote für Kunden konzipieren. Der 54-Jährige, der zuvor in Australien, Hongkong und London gearbeitet hatte, hat etliche englischsprachige Kollegen mitgebracht und plant, IT-Arbeiten ins Ausland zu verlagern. Im Normalfall heißt das: Osteuropa oder Indien.
Für Smacznys Düsseldorfer Kollegen bedeutet das nicht nur die intensive Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen in fremder Sprache. Auch das Alltagsgeschäft in der Konzernzentrale wird zunehmend auf Englisch geführt. Auf der einen Seite sollte das in einer international so vernetzten Wirtschaft wie der deutschen selbstverständlich sein. Auf der anderen Seite bringt die Sprachumwandlung nicht selten Probleme mit sich. Nicht alle Manager und Projektleiter in Düsseldorf jedenfalls sind glücklich darüber, dass sie plötzlich die Feinheiten wichtiger EDV-Vorhaben auf Englisch erklären müssen. „Immer wieder gibt es Missverständnisse“, sagt ein Teilnehmer, dessen Name ungenannt bleiben soll. Manche, die etwas Wichtiges beizutragen haben, schweigen, um sich wegen ihrer rudimentären Englischkenntnisse nicht zu blamieren. Es reden vor allem diejenigen, die sich in der Fremdsprache sicher fühlen, und nicht diejenigen mit fachlicher Expertise. Auch die Tatsache, dass Ergo-Sprecherin Uta Apel beschwichtigt („Ich kenne keine Beschwerden“) und dass wichtige Dokumente ins Deutsche übersetzt werden, kann nicht darüber hinwegtäuschten, dass das Unternehmen ein Sprachproblem hat.
Und Ergo ist kein Einzelfall. Ob Konzern oder Mittelstand, in der Exportnation Deutschland will man sich weiter für Talente aus aller Welt öffnen. Und immer öfter übernehmen Manager mit ausländischem Pass die Führung eines Ressorts. Englisch muss noch nicht mal offiziell Konzernsprache sein, um im Geschäftsalltag für Reibungsverluste zu sorgen.
Geschäftssprache Englisch – Lippenbekenntnis oder Realität in deutschen Unternehmen? Laut einer Handelsblatt-Umfrage geben 18 der 30 Dax-Unternehmen an, ihre Geschäftssprache sei Englisch (siehe Tabelle) – etwa Adidas, Allianz, Bayer, Beiersdorf, Heidelberg Cement, Linde, SAP und Siemens. Das heißt konkret, dass wesentliche Dokumente, Anweisungen und Richtlinien auf Englisch abgefasst werden. Und dass diese Arbeitgeber von ihren Führungskräften erwarten, dass sie verhandlungssicheres Englisch sprechen. Nur BMW, Pro Sieben Sat1 und Vonovia geben als Konzernsprache ausschließlich Deutsch an.
In den anderen Konzernen wird in Meetings selbstverständlich zu Englisch gewechselt, sollte jemand dabei sein, der nicht Deutsch spricht. Bemerkenswert ist, dass bei Eon, RWE und Thyssen-Krupp, die als Konzernsprache ebenfalls Englisch angeben, zumindest die Vorstände entspannt in ihrer Muttersprache diskutieren können, weil dort die Deutschen unter sich sind.
Muttersprache als Qualitätssicherung
Auch Volkswagen hat vor einem Jahr angekündet, Englisch als Konzernsprache für seine 120 Stand‧orte einzuführen. Kein anderer deutscher Konzern beschäftigt so viele Mitarbeiter im Ausland wie die Wolfsburger. 2016 arbeiteten rund 340 000 von gut
626.000 Beschäftigten insgesamt außerhalb Deutschlands. Trotzdem hat VW-Chef Matthias Müller damit für reichlich Unmut gesorgt. Aus Protest hat zum Beispiel die Stiftung Deutsche Sprache gleich ihre Volkswagen-Aktien verkauft. Vorstandssprecher Walter Krämer sagt: „Ich bin entsetzt, wie bedenkenlos unsere Eliten ihre eigene Sprache und Kultur aufgeben. Es geht nicht um Deutschtümeln. Der Austausch in der Muttersprache dient vielmehr der Qualitätssicherung.“
Damit hält es Krämer mit Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Bereits im Jahr 2010 warnte er davor, Englisch auf allen Arbeitsebenen einzuführen: Ganz schwierig werde es, wenn es um komplexe Motorendetails gehe. Vor sieben Jahren war das. Englisch ist mittlerweile hierzulande ein Grundschulfach und Wiedeking nicht mehr Porsche-Chef. Wie sieht es also heute aus bei der VW-Tochter Porsche? Zwar registriere er keine große Begeisterung über die Anordnung aus Wolfsburg und ein kollektives „Good Morning“ sei auf dem Werksgelände auch noch nicht zu hören, sagt Kai Bliesener, Sprecher des Porsche-Betriebsrats. „Aber es ist selbstverständlich, dass Kollegen, die mit Chinesen oder Amerikanern zusammenarbeiten, sich auf Englisch verständigen können müssen. Die entsprechenden Weiterbildungen, ob für technisches Englisch oder geschicktes Verhandeln, seien seit Jahren gleichmäßig gefragt. Nur der Arbeiter am Band brauche nach wie vor keine Fremdsprache.
Für die Englisch-Förderung gibt es im Konzern eine eigene Weiterbildungseinrichtung, die Volkswagen Group Academy. Die Schulungen laufen auf Hochtouren: Allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres absolvierten mit 1.300 Mitarbeitern schon rund 200 mehr ein englisches Sprachtraining als im gesamten Vorjahr. Derzeit wird das Unterrichtsangebot für einzelne Mitarbeiter, Gruppen, aber auch Abteilungen erweitert um digitale Formate, etwa Sprachtrainings mit Muttersprachlern via Skype.
Einzelkurse, Intensivtrainings, Onlinecoaching. Nachhilfe in puncto Business-Englisch braucht aber nicht nur der Sachbearbeiter im Einkauf oder der Hausjurist, sondern oftmals auch das Topmanagement. „Die Wirkung deutscher Spitzenmanager, die ihre Auftritte auf Englisch absolvieren, ist im Vergleich mit ihren angelsächsischen Kollegen deutlich schwächer“, sagt Stefan Wachtel. Er ist Coach bei Expert Executive und bereitet Vorstände und Geschäftsführer auf ihre Reden vor Publikum vor. „Für Spitzenmanager mit internationaler Erfahrung ist es zwar selbstverständlich, spontan von Deutsch zu Englisch zu wechseln, um Kollegen aus anderen Ländern einzubeziehen“, sagt Stefan Wachtel. „Schwieriger wird es, wenn es aus dem praktischen Bereich herausgeht und rhetorische Qualität und Wirkung entstehen muss. Überzeugungskraft und Ausstrahlung bleiben dann meist auf der Strecke.“ Ein starker Akzent, wie ihn etwa VW-Chef Müller zeige, sei dabei gar nicht das Hauptproblem.
Begeistern und Überzeugen aber ist schon in der Muttersprache schwer genug. In fremder Sprache ist es eine echte Herausforderung. Das Publikum spüre die Unsicherheit, sagt Coach Wachtel. Das gilt auch für den kleinen Auftritt bei Meetings oder internen Konferenzen. „Viele fühlen sich dabei wie in einer mündlichen Prüfung“, so Wachtel. Auch bei Verhandlungen punkten in den meisten Fällen Amerikaner und Engländer. Nicht zuletzt, weil sie es gewohnt sind, wirkungsvoll zu argumentieren. Wachtel: „Die Taktiken dazu lernen die Angelsachsen schon in der Schule.“
Das kann Michael Sigmund, Aufsichtsratsmitglied bei Siemens, aus eigener Erfahrung bestätigen. „Die Amerikaner haben uns in Sachen Auftritt einiges voraus“, sagt der Manager, der selbst acht Jahre als Finanzchef einer Geschäftseinheit in den USA gearbeitet hat. Seit 40 Jahren ist Sigmund bei Siemens beschäftigt. Aktuell ist er für die Kommunikation der Corporate Services des Elektrokonzerns verantwortlich.
Er hat den Wandel zu Englisch als Konzernsprache miterlebt: „Ich erinnere mich an jährliche Führungskräfte-Treffen, da gab es für einige wenige Ausländer unter den 500 Anwesenden englische Simultanübersetzungen. Dann, etwa während der Jahrtausendwende, war es plötzlich umgekehrt: noch einige wenige Führungskräfte konnten sich die englischen Reden simultan ins Deutsche übersetzen lassen. Heute gehört Englisch für alle zum Alltag.“
Sigmund ist sich sicher: „Ohne Mehrsprachigkeit geht es in unserer globalisierten Geschäftswelt nicht mehr. Aber man kann nicht einfach einen Schalter umlegen.“ Die vielen Probleme aus der Anfangszeit, wie sie bei der Ergo gerade aufkommen, kennt auch er. Und in der Tat seien umfassende Sprachtrainings mit großem Praxisbezug der Schlüssel zum Erfolg. „Als Unternehmen sind wir gefordert, keinen Mitarbeiter zurückzulassen.“
Gefahr der Ausgrenzung
Konzernsprache Englisch hin oder her – wichtige Informationen dürften nicht nur einer elitären Gruppe mit perfekten Fremdsprachenkenntnissen zugänglich sein. Das führt dazu, dass auch nach bald 20 Jahren deutsche Untertitel eingeblendet werden, wenn Siemens-Chef Joe Kaeser zum Beispiel an seine insgesamt 370.000 Mitarbeiter eine Ansprache auf Englisch hält.
Bei der Deutschen Bank dagegen ist das Gegenteil der Fall: Videobotschaften bekommen englische Untertitel, alle E-Mails vom Vorstand an die Mitarbeiter sind zweisprachig abgefasst, auf Deutsch und Englisch.
Auch Margret Klein-Magar kennt Zeiten, in denen SAP-Mitarbeitern alle Infos auf Deutsch und Englisch zur Verfügung gestellt wurden. Das geschieht heute nur noch vereinzelt. Bei SAP arbeiten 80 Nationen allein in der Zentrale in Walldorf. Da spricht nicht nur Chef Bill McDermott, ein gebürtiger Amerikaner, Englisch, sondern sogar der Facility-Manager. Der anderswo noch als Hausmeister bezeichnet wird.
Margret Klein-Magar ist Vorsitzende des SAP-Sprecherausschusses der leitenden Angestellten und stellvertretende Vorsitzende des SAP-Aufsichtsrats. Die Personalmanagerin ist seit 26 Jahren dabei und hat miterlebt, wie der Softwarehersteller von damals 2 500 Mitarbeitern auf heute rund 90.000 wuchs. Und wie sich die Unternehmenssprache seit Mitte der 90er-Jahre durch das immense Wachstum außerhalb Deutschlands immer mehr Richtung Englisch verschob. „Das war eine Evolution, keine Ad-hoc-Entscheidung“, sagt Klein-Magar.
Wie viele ihrer Kollegen in der IT-Branche sagt die Managerin von sich, sie sei eher mathematisch-naturwissenschaftlich begabt als ein Sprachgenie. Das nötige Business-Englisch hat sie sich im Unternehmen angeeignet. Mails, von denen sie weiß, dass sie weitergeleitet werden, verfasst sie auf Englisch. Eine Präsentation in englischer Sprache anzufertigen geht ihr leichter von der Hand als auf Deutsch. Und fragt sie ein Kollege ab und an, „gehst du gleich zur Sitzung“, stutzt sie über den deutschen Ausdruck. Üblicherweise trifft man sich bei SAP zu „Meetings“.
Während der SAP-Vorstand Englisch spricht, ist bei Aufsichtsratssitzungen ein Simultandolmetscher anwesend. Aus Haftungsgründen und fürs Protokoll, das auf Deutsch angefertigt wird. Wie gut es mit Englisch in Unternehmen läuft, „ist auch eine Frage der Organisation“, sagt Klein-Magar. Die meisten Themen, ob Personal- oder Produktentwicklung, geht SAP global an. Die Teams sind international besetzt. „Und Manager müssen globale Leader sein.“
Somit ist der Druck, sich auf Englisch auszutauschen, deutlich größer als bei einem Versicherer wie Ergo, wo der Vertreter seiner überwiegend deutschsprachigen Kundschaft eine deutsche Rechtsschutz-Police verkauft. Und trotzdem kann Konzernsprecherin Uta Apel ihre Kollegen nur dazu ermuntern, noch mal die Schulbank zu drücken und Englisch zu büffeln. Denn so viel ist sicher: Die Internationalisierung ist nicht aufzuhalten, und der neue Bereichsvorstand Tomasz Smaczny ist ganz sicher nicht der letzte Manager mit ausländischem Pass in Düsseldorf.
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