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Dax-Aufsichtsräte im Umbruch Der mühsame Wandel

Der Generationswechsel in den Aufsichtsräten der Unternehmen vollzieht sich nur langsam. Auch die Frauenquote hat noch nicht viel verändert. Ein exklusives Handelsblatt-Ranking zeigt, wo sich am meisten tut.
08.07.2016 - 08:24 Uhr
Über Jahrzehnte waren die Aufsichtsräte der deutschen Konzerne reine Männerrunden. Doch in einer ganzen Reihe von DAX-Unternehmen mischen nun Frauen in den Kontrollgremien mit – wie Ann-Kristin Achleitner bei Metro, Linde und Munich Re. Quelle: dpa
Ann-Kristin Achleitner

Über Jahrzehnte waren die Aufsichtsräte der deutschen Konzerne reine Männerrunden. Doch in einer ganzen Reihe von DAX-Unternehmen mischen nun Frauen in den Kontrollgremien mit – wie Ann-Kristin Achleitner bei Metro, Linde und Munich Re.

(Foto: dpa)

Düsseldorf, Berlin Am 20. Mai hatte Manfred Schneider seinen letzten Arbeitstag als Doyen der Aufsichtsräte. Der einstige Multi-Aufseher gilt als einer der letzten Repräsentanten der alten Deutschland AG – und sein Abgang bei Linde als Symbol für den Generationswechsel. Von den 30 mächtigsten Konzern-Kontrolleuren des Jahres 2012 ist heute nur noch die Hälfte dabei.

Doch der Wandel ist mühsam, wie das Handelsblatt-Ranking der Top-Aufsichtsräte in Deutschland zeigt. Zwar tauchen neue Gesichter auf, einige Aufsichtsräte wie die Wissenschaftlerin Ann-Kristin Achleitner setzen sich mehr und mehr durch. Der Wechsel aber, bedauert Michael Wolff von der Universität Göttingen, „vollzieht sich langsamer, als viele erwartet hatten“. Der Wirtschaftsprofessor hat das Ranking für das Handelsblatt ermittelt.

Ähnlich sieht das Bild aus, wenn man sich den Frauenanteil in den Kontrollgremien anschaut: Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig (SPD) zog am Donnerstag eine nüchterne Bilanz zur gesetzlichen Frauenquote: „Es ist noch Luft nach oben.“ Der Anteil der Frauen stieg seit Einführung der Quote zum Jahresbeginn um 3,9 Prozent. „Wir erwarten, dass sich noch mehr bewegt. Ansonsten überlegen wir uns, ob es Handlungsbedarf gibt“, drohte Schwesig. Im Klartext: Das Gesetz könnte verschärft werden.

Immerhin hat mit dem nunmehr mächtigsten Aufsichtsrat, Ex-SAP-Finanzchef Werner Brandt, die digitale Welt sichtbar Einzug in die Kontrolleurskreise gehalten. Ohnehin scheint der Walldorfer IT-Riese eine Art Ausbildungsbetrieb für die Aufsichten anderer Konzerne zu sein. Auch die früheren SAP-Chefs Henning Kagermann und Jim Hagemann Snabe gehören zum illustren Kreis der wichtigsten Kontrolleure.

Hans Dieter Pötsch dürfte derzeit der bekannteste Aufsichtsrat Deutschlands sein. Die Abgasaffäre des Volkswagen-Konzerns zerrt den ehemaligen Finanzchef des Wolfsburger Unternehmens fast täglich in die Öffentlichkeit. Pötsch kommt als Chef des 20-köpfigen Kontrollgremiums eine wesentliche Rolle bei der Aufklärung zu. Doch das überragende VW-interne Gewicht und die Schlagzeilen in den Medien stehen in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung im Netz deutscher Konzernaufseher.

Pötsch liegt weit abgeschlagen auf Platz 72 im Handelsblatt-Ranking der mächtigsten Aufsichtsräte. Beim Netzwerk fällt Pötsch mit Rang 384 komplett durch. Das gilt auch für andere VW-Aufseher. Sie kreisen vor allem um eines: sich selbst.

Die Top-30 der Aufsichtsräte dagegen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Mandate in wichtigen Unternehmen der Börsenkategorien Dax, MDax, SDax und TecDax haben – und daraus nutzbringende Netzwerke aufbauen. So wertet das jährliche Handelsblatt-Ranking nicht nur die Posten aus, sondern bewertet diese nach Reputation, Netzwerk und Status der Mandate.

Die meisten Aufsichtsräte haben nur ein Mandat

Für das Handelsblatt analysieren Wissenschaftler der Universität Göttingen seit fünf Jahren unter Leitung von Professor Michael Wolff die 160 Unternehmen des Primestandards an der Börse. In diesem Jahr haben die Wissenschaftler 1044 Aufsichtsratsposten der Kapitalseite ausgewertet. Diese Mandate werden von 913 Frauen und Männern wahrgenommen. Die meisten von ihnen (817) haben nur ein einziges Mandat.

Besonders spannend ist es in der Spitzengruppe, die in diesem Jahr vom früheren SAP-Finanzvorstand Werner Brandt angeführt wird – und in der sehr viele lukrative Mandate versammelt sind. Brandt hält Kontrolleursposten bei Pro Sieben Sat 1, Qiagen, Lufthansa und Osram. Und in diesem Frühjahr löste er den Doyen der heimischen Aufsichtsräte, Manfred Schneider, als Aufsichtsratsvorsitzenden bei RWE ab.

Während sich der 77 Jahre alte Schneider in den Ruhestand verabschiedet, kommt der zehn Jahre jüngere Brandt erst richtig in Fahrt. In den vergangenen Jahren rückte er Schritt für Schritt nach vorn. 2012 war er im Handelsblatt-Ranking noch nicht mal unter den Top 30 der mächtigsten Aufsichtsräte. Selbst seinen ehemaligen SAP-Kollegen Henning Kagermann (Munich Re, Deutsche Post, Deutsche Bank, BMW) verweist der Betriebswirt inzwischen auf Platz zwei. Dabei ist Kagermann schon Jahre vor Brandt auf die Seite der Berufsaufseher gewechselt.

Im Vergleich zu 2015 verzeichnet die Spitzengruppe acht Neuzugänge. Ein Rekord. Unter den Neuen sind die Shootingstars Karl-Ludwig Kley (bis Mai Merck-Chef) und Wolfgang Reitzle (Ex-Verwaltungsratsvorsitzender von Holcim), die sich im Wesentlichen durch ihre neuen Mandate als Vorsitzende bei Linde (Reitzle) und Eon (Kley) um jeweils 27 Plätze in der Wertung verbessern konnten. Jetzt sind es nur noch 14 Personen, die auch schon vor fünf Jahren dabei waren.

Jahrelang dominierten Männer wie Gerhard Cromme, Klaus-Peter Müller, Klaus Mangold, Ferdinand Piëch, Ekkehard Schulz oder Max Dietrich Kley das Ranking. Der ehemalige BASF-Manager Kley ist im Klub der wichtigsten Aufseher von seinem Bruder Karl-Ludwig abgelöst worden.

Sie alle mussten seit 2012 ihre Spitzenpositionen unter den mächtigsten Aufsehern räumen. Nicht immer ganz freiwillig wie Cromme bei Thyssen-Krupp oder Piëch bei Volkswagen. Manfred Schneider, jahrelang an erster Position des Rankings, scheidet aus Altersgründen aus. Im Dezember wird der frühere Bayer-Chef 78 Jahre alt.

So viele neue Namen auch auftauchen mögen: Die Diversität der Räte hat sich laut der Göttinger Studie kaum geändert. Der rege Wechsel ließe vermuten, dass die neue Riege auch eine junge ist. Tatsächlich liegt das Durchschnittsalter der 30 Topaufseher fast unverändert bei 64 Jahren.

Ausländische Kontrolleure werden seltener

Keine Spur von Veränderung auch im beruflichen Hintergrund. Heute gilt mehr denn je die Faustformel: Ex-Industrievorstand kontrolliert Industrievorstand. Banker und Wirtschaftsprüfer sind auf dem Rückzug. 77 Prozent der Top-Aufsichtsräte sind mittlerweile ehemalige Vorstände von Industriekonzernen, 2012 waren es nur 63 Prozent. Der Anteil der Banker ist auf 17 (nach 27) Prozent geschrumpft. Auch die Zahl der Kontrolleure mit ausländischem Pass ist auf dem Rückzug, es sind nur noch 13 statt vorher 20 Prozent.

Den Trend zu Ex-Dax-Schwergewichten als Dax-Aufseher ist für Studienleiter Michael Wolff der eigentliche Flaschenhals für eine grundlegende Erneuerung der Kontrollgremien: „Wem trauen die Vorsitzenden zu, im Aufsichtsrat eines großen Dax-Konzerns zu sitzen?“ Quereinsteiger und Querdenken hätten da kaum eine Chance. Wie schwierig der Wandel ist, stellen auch Headhunter fest, die inzwischen oft auf die Suche nach geeigneten Kandidaten geschickt werden. „Frischer Wind in Aufsichtsgremien täte vielen Organisationen gut – wir finden aber nicht immer die Bereitschaft vor, sich dem auch auszusetzen“, bestätigt Michael Ensser, Deutschland-Chef der Beratungsfirma Egon Zehnder dem Handelsblatt.

Einziger Lichtblick ist die Frauenquote – jedenfalls in der Gesamtbetrachtung. Unter allen analysierten 160 Unternehmen beträgt der Anteil jetzt 22 Prozent, 28 Prozent sind es im Dax. Knapp unter der gesetzlich inzwischen vorgeschriebenen Quote von 30 Prozent. Doch unter den führenden 30 Aufsehern der Republik liegt die Quote trotz des Zuwachses durch Ann-Kristin Achleitner und Sari Baldauf erst bei 13 Prozent.

Die Finnin und frühere Nokia-Managerin Baldauf gilt unter Experten als Idealbesetzung. Sie verbindet vier Vorzüge für einen Aufsichtsposten: Sie ist Ausländerin, ehemals hochrangige Managerin eines großen Konzerns, technologieaffin und weiblich. Allerdings dürften sich die Unternehmen kaum noch Hoffnung machen, Baldauf zu gewinnen. Denn neben ihren Mandaten bei Daimler und Telekom beaufsichtigt sie den niederländischen Chemiekonzern Akzo und als Vorsitzende den finnischen Energieversorger Fortum. Das dürfte ihr reichen.

Keine Wirkung scheint allerdings die zweijährige Zwangspause zu haben. Die Bundesregierung hatte die sogenannte Cooling-off-Periode eingeführt, um Vorständen die Unabhängigkeit von ihren Vorgängern zu sichern. Seit 2012 ist es untersagt, dass ein Vorstand direkt in den Aufsichtsrat seines Unternehmens wechselt. Heute sind unverändert sieben Prozent der Aufseher ehemalige Vorstände der nun von ihnen kontrollierten Unternehmen, im Dax30 sogar etwas mehr.

Bei Volkswagen griff dagegen im Herbst vergangenen Jahres eine andere Regel: Finanzchef Pötsch konnte nur deshalb ohne Zeitverzug auf den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden wechseln, weil die Familien Porsche und Piëch und das Land Niedersachsen über mehr als 25 Prozent der Stimmrechte verfügen. Dann ist laut Gesetz eine Ausnahme möglich. Ob es wirklich eine gute Idee war, den Ex-Vorstand zum Chefaufräumer nach dem Abgasskandal zu machen, das ist eine andere Frage. Die Cooling-off-Regel kann Manager auch vor sich selbst schützen.

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