Das Leben von Anshu Jain hat mit diesem Märchen vom bettelarmen Ghettokind, das es zu Reichtum brauchte, nichts zu tun. Seine Eltern waren nicht reich, aber ein geordneter Wohlstand begleitete Jains Kindheit. Er besucht eine der besten Privatschulen Dhelis. Die Noten sind spitze, er studiert VWL, damals noch nicht um Banker zu werden, sondern um alles über „Wirtschaft und Finanzen zu verstehen“.
Jains Vater wurde als Staatsdiener häufig versetzt, so auch ein Jahr lang nach Afghanistan. Anshu Jain besuchte in der Zeit die indische Schule in Kabul. Das war, bevor die Rote Armee einmarschierte. Es entsteht eine gewisse Distanz zu seinem Heimatland: Die spezielle Form des Staatssozialismus mit all der irrsinnigen Bürokratie schrecken Jain ab. Er will diese Zustände hinter sich lassen.
Es kursieren viele Klischees über den Jainismus und die Art, wie Anshu Jain mit seinem Glauben umgeht. Er selbst bezeichnet sich als nicht sonderlich religiös. Die angedichtet Abstinenz ist Legende. Er mag ein gutes Glas Rotwein und seitdem er in Frankfurt wohnt auch Riesling. Vegetarier ist Jain nicht aus religiösen Gründen. Der Tierfreund will nicht, das andere Geschöpfe für ihn leiden.
Immerhin hat ihm der Jainismus gelehrt, dass nur wer seine Sinne kontrolliert, im Berufsleben die höchsten Ziele erreicht. Dazu gehört eine enorme Disziplin und ein strenges Wertekorsett. Seine Eltern haben Jain vor allem mitgegeben, sich von unnötigem Besitz unabhängig zu machen. Das mag irritieren angesichts seines Gehaltes. Aber Jain protzt kein bisschen mit dem, was er hat. Im Gegenteil spendet die er umfangreich und gibt sich bescheiden. Die Millionen auf dem Konto sind laut Lehrmeinung mit dem Jainismus vereinbar, so lange der Co-Chef der Deutschen Bank anderen dient.
Jain ist noch keine 18 Jahre alt, als er am College die Liebe seines Lebens kennenlernt. Inzwischen ist er mit Geetika über ein Vierteljahrhundert verheiratet. Dabei stand der Glauben zwischen ihnen. Geetika ist Angehörige der Sikhs, einer monotheistischen Religion. Dagegen kennen die Jainas weder Gott noch Priester. Die junge Paar überwindet diesen Gegensatz und einen weiteren Schicksalsschlag ...
Anshu Jain hatte seinen amerikanischen Traum schon lange. Die freie Gesellschaft lockte ihn. Doch als Geetika mit ihrer Familie in die USA auswanderte, gab es für ihn endgültig kein Halten mehr. Jain folgte ihr stark unterstützt vom Vater, der Haus und Hof verpfänden musste. Anshu Jain zahlte ihm das Geld vom ersten Gehalt so schnell wie möglich zurück.
Jain hat einen Sohn und eine Tochter. Beide leben inzwischen nicht mehr zu Hause. Tochter Aranya besuchte die wohl beste Mädchenschule Großbritanniens und machte ihren Master an einer Top-Uni in den USA. Auch Arjun Jain ist auf einem guten Weg, er studiert in Princeton. Neben ist er Gitarrist in einer Rockband und fotografiert sehr gern – wie man hört noch besser als der Vater.
Wegbegleiter schwärmen von Jains Verstand, aber noch häufiger von der emotionalen Intelligenz, die er ausstrahlt. Egal ob Familie, Seinesgleichen oder Untergebene: Jain ist bekannt für seine enorme Sensibilität. Nie würde er seine indischen Wurzeln vergessen. Jain gilt als „Kümmerer“, der für die Deutsche Bank so ziemlich alles tun würde.
Cricket ist bekanntermaßen Jains Lieblingssport. Er ist kein normaler Fan, er liebt den Sport fanatisch. Top-Spieler zählen zu seinen besten Freunden. Selbst in härtesten Arbeitswochen verpasst er kein Spiel des indischen Teams. Aktiv ist Cricket für Jain kaum noch zu betreiben. Er liebt Bridge und ist Golfer.
Jain ist ein großer Liebhaber der Wildnis. Ein Hobby, das er mit seiner Frau teilt. Sie haben bereits mehr als 60 Länder bereist, wie Georg Meck in deinem „The Deutsche“ (Campus Verlag) beschreibt. Als freie Journalistin schreibt sie über die gemeinsamen Erlebnisse. Hier erfährt die Welt zum Beispiel, wie die Jains Berggorillas suchten und die Familie in wildester Umgebung klarkommen musste. Die durchaus gefährlichen Abendteuer schweißten vier zusammen.
Bitte kein Aktenkoffer: Anshu Jain ist Rucksackträger. Den schwarzen Nylonsack der US-Marke Incase soll ihn als coolen, mobil-dynamischen, unprätentiösen Typen ausweisen. So könnte er leicht „einer von uns“ sein, wäre da nicht das zweite Utensil, das Jain prägt ...
... der Knopf im Ohr. Den braucht Jain, um die Deutschen zu verstehen. Ohne Simultanübersetzer hat der gebürtige Inder hierzulande keine Chance, da mag die Amtssprache der Deutschen Bank auch schon seit langem Englisch sein. Aber Jain ist lernwillig ...
... er bemüht sich, Deutsch zu lernen. Sein erster großer Auftritt war am 12. Juni 2012 vor dem CDU-Wirtschaftsrat in Berlin. Mit 300 Vokabeln ausgestattet sagte er: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich fühle mich sehr geehrt, heute vor ihnen zu stehen – dies ganz besonders als Co-Chef der Deutschen Bank.“ Applaus. „Ich möchte Ihnen auch herzliche Grüße meines Partners, Jürgen Fitschen, überbringen.“ Es folgten drei weitere Sätze abschließend mit der Bitte, nun ins Englische zu wechseln. Jain schaffte es am nächsten Tag auf die Titelseite der Bild-Zeitung als „Sieger des Tages“. Auf der Hauptversammlung im Mai 2013 hielt Jain dann seine komplette zehnminütige Rede auf Deutsch.
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