Flixbus-Gründer Daniel Krauss Die Spielernatur

Arbeit ist für den Workaholic wie ein Computerspiel.
Berlin Daniel Krauss hat sich zurückgelehnt. Der Flixbus-Gründer sitzt breitbeinig auf dem Podium, die Hände im Schoß verschränkt. Er diskutiert gerade auf einer Konferenz mit drei anderen Gründern über die Mobilität der Zukunft. Wenn einer zu reden beginnt, rutschen die anderen auf ihren Stühlen immer ein Stück nach vorne, um schnell das nächste Wort zu ergreifen. Krauss bleibt sitzen. Er kriegt das Wort auch so.
Vor sechs Jahren hat er mit seinen Freunden André Schwämmlein und Jochen Engert eine Plattform für Fahrten mit dem Fernbus gegründet. Das Monopol hatte bis dahin der Staat, bis zur Liberalisierung 2013 durfte nur die Deutsche Bahn mit Linienbussen über Land fahren, ein altes Gesetz aus dem Dritten Reich. Vier Jahre später durchkreuzen fast nur noch die knallgrünen Flixbusse das Land. Krauss und seine Freunde beherrschen mehr als 90 Prozent des Marktes. Sie sind die neuen Monopolisten auf der Autobahn. Wie haben sie das geschafft?
„Wir sind schnell“, sagt Krauss. „Wir hatten keine Angst vor den Großen.“ In nur drei Jahren übernahmen die Flixbus-Gründer nach und nach Konkurrenten wie Megabus, Meinfernbus und den Postbus. Flixbus hat im vergangenen Jahr mehr als 30 Millionen Kunden transportiert und geschätzte 400 Millionen Euro umgesetzt. In Deutschland soll das Geschäft schon profitabel sein.
Aber die drei sind noch lange nicht fertig: Sie expandieren in Frankreich und Italien, in Skandinavien und Osteuropa. Jüngst hat Flixbus die Fernbussparte der Österreichischen Bundesbahn übernommen. Die Deutsche Bahn hat schon vorher aufgegeben. Der Staatskonzern kann wegrennen, doch er kann sich nicht verstecken: „Es muss auch nicht für immer nur der Bus sein“, sagt Krauss. Es klingt wie eine Drohung.
Krauss ist Anfang dreißig und kommt aus der Nähe von Nürnberg. Er hat mehrere Schulen besucht, von einer ist er geflogen, aus einer abgehauen. Er sagt, er habe lieber Computer gespielt, als Vokabeln zu lernen. In den Sommerferien aber fuhr er nicht mit seinen Kumpels zum Saufen in den Süden, sondern programmierte bei Siemens. Später studierte er Informatik, arbeitete ein paar Jahre in den USA bei Microsoft. Er ist ein Workaholic und hat Spaß dabei. Arbeit, sagt Krauss, sei für ihn wie ein Computerspiel.
Im Konzern geht es darum, Punkte zu sammeln und Level zu schaffen. Bei einem Start-up heißt es: Gewinnen oder sterben. Nur halt nicht in echt. „Es ist essenziell, dass man sich und seine Umwelt nicht zu ernst nimmt“, sagt Krauss.
Busfahren populär gemacht
In seinem Spiel steckt ein Einsatz von mehreren Hundert Millionen Euro Risikokapital und mehr als tausend Mitarbeitern. Zu den Mitspielern gehören auch über 200 mittelständische Betriebe. Flixbus besitzt keine eigenen Busse, sondern vermittelt Linienfahrten an Unternehmer, die sonst Kinder oder Senioren kutschieren. Die Busse kriegen außen knallgrüne Folie, innen Steckdosen und WLAN.
Flixbus hat das Busfahren mit viel Marketingaufwand populär gemacht. 2012 nahmen gerade mal drei Millionen Menschen in Deutschland den Fernbus, 2016 waren es schon 25 Millionen. Dafür zahlen die Busunternehmer eine Provision von 25 Prozent pro Buchung. Die Margen sind eng kalkuliert. „Unsere Preise müssen mit Bahn und Auto konkurrieren“, sagt Krauss. Es ist das Standardargument. Es soll verhindern, dass die Monopolkommission sich den Fall Flixbus vornimmt. Außerdem fürchten die Gründer eine Fernbus-Maut.
Krauss, ein Monopolist in T-Shirt und Turnschuhen, ist für die IT verantwortlich. Sie ist einer der Schlüssel für den Erfolg von Flixbus. Algorithmen nehmen die Buchungen entgegen, beobachten das Wetter und die Verkehrslage, kombinieren die Daten und tüfteln einen Plan aus, der die Menschen möglichst schnell befördert, die Busse optimal auslastet und dabei die höchstmöglichen Preise kalkuliert. Ein Spontantrip von Berlin nach München kostet am Samstag um acht Uhr 58 Euro, eine Viertelstunde später 25 Euro. Je smarter die Software, desto höher der Gewinn für alle. Klingt einfacher, als es ist.
Bei neuen Geschäftsmodellen weiß anfangs niemand, wie es geht. Es gibt kaum Regeln, kein Richtig oder Falsch. Nicht alle Unternehmen, die in Sachen Digitalisierung hinterherhinken, sind arrogant oder trantütig. Viele Entscheider wollen einfach alle Optionen kennen und abwägen. „Es ist die Angst, einen Fehler zu machen“, meint Krauss. „Aber die Welt ist komplex. Ich kann nicht 100 Prozent der Informationen verarbeiten, 60 bis 70 Prozent müssen reichen.“
Kollegen erzählen, Meetings mit Krauss dauern oft weniger lang als geplant. Weil er so schnelle Entscheidungen trifft, die am nächsten Tag immer noch gelten. Dass er freundlich ist, aber deutlich. Seine Mitarbeiter sitzen in München, in Zagreb und in Berlin. Er muss diesen versprengten Haufen führen, aber er muss die Leute auch machen lassen, wenn er die guten Entwickler und das hohe Tempo halten will. „Entwickeln ist Kunst, Kunst braucht Offenheit“, sagt Krauss. Er muss vertrauen. „Angst bringt nichts.“
Der IT-Kraftakt
Nachdem Flixbus den Konkurrenten MeinFernbus übernommen hatte, musste Krauss entscheiden, ob er die beiden IT-Systeme nebeneinander herlaufen lässt – was die Entwicklung auf Jahre hinaus verlangsamt hätte – oder ob er die Technik in einem Kraftakt von sechs Wochen fusioniert. Das Risiko: Totalausfall und Umsatzeinbruch. Die Investoren waren skeptisch. Krauss fragte stattdessen die Mitarbeiter. Sie zogen es durch.
Kürzlich hat Krauss vor einer Gruppe Mittelständler einen Vortrag gehalten. Die Unternehmer waren beeindruckt. Manche bezweifeln aber, dass das Prinzip von Flixbus bei ihnen zu Hause funktioniert. „Ich hätte nichts dagegen, wenn meine Leute mehr ausprobieren würden“, sagt einer. „Aber das sind Perfektionisten. Die haben Angst, sich zu blamieren.“
Angst hat sich in der Evolution oft als Vorteil erwiesen, auch für Unternehmen. Wird sich das mit der Digitalisierung ändern? Oder werden sich die Start-ups von heute anpassen, wenn sie älter werden? Es ist leichter, keine Angst zu haben, wenn noch keine Straßen nach dem eigenen Unternehmen benannt sind. Wer später bremst, fährt länger schnell.
Wenn Krauss am Flixbus-Hauptsitz in München arbeitet, teilt er sich ein Zimmer mit einem Kollegen. Darin stehen ein Bett, eine Nachttischlampe und ein Futon, auf dem schläft Krauss. Am Wochenende lebt er bei seiner Freundin in Fürth. Im Urlaub übernachten sie schon mal in der Jugendherberge. Er sagt, er spendet jedes Mal Geld, wenn er sich ein iPhone kauft.
Die Geldgeber, unter anderem Airbnb-Investor General Atlantic, Holtzbrinck und Cherry Ventures, haben andere Ansprüche. Er schätze das Flixbus-Team, weil es „aus drei ganz unterschiedlichen Charakteren besteht, die einander gut ergänzen“, sagt ein Investor. Kürzlich hat Flixbus den Finanzchef von Air Berlin abgeworben. Die Strukturen werden sicherer gemacht. Denn aus dem Spiel ist längst Ernst geworden.
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