Forschung und Entwicklung Diese Zahlen zeigen, weshalb US-Tech-Konzerne immer mächtiger werden
Düsseldorf Daimler enttäuschte mit seinem nur verhaltenen Gewinnausblick für das zweite Halbjahr seine Aktionäre. Grund dafür waren vor allem steigende Forschungs- und Investitionsausgaben in neue Antriebstechnologien. Im ersten Halbjahr stiegen die Forschungskosten von 4,3 auf 4,6 Milliarden Euro.
Konkurrent BMW investiert ebenfalls massiv in den Ausbau der Elektromobilität und des autonomen Fahrens. Auch das schmälert den Konzernüberschuss gegenüber dem Vorjahr um gut zwei Prozent auf „nur“ noch 4,4 Milliarden Euro. Allein 2,6 Milliarden Euro gaben die Münchener im abgelaufenen Halbjahr für Forschung und Entwicklung aus, nach 2,3 Milliarden Euro im Jahr davor. „Die Branche durchläuft einen nie da gewesenen technologischen Wandel“, beschwichtigte Konzernchef Harald Krüger seine unzufriedenen Anleger.
Enttäuschende Quartalsergebnisse, aber weniger, weil Verkaufszahlen und Margen einbrechen, sondern vor allem, weil die Autobauer so viel Geld in ihre Zukunft stecken wie noch nie. Deutschlands Konzerne investieren generell viel, doch ausländische Unternehmen erhöhen ihre Forschungsausgaben noch stärker. Am meisten die ohnehin schon dominierenden Amerikaner. Ihr Vorsprung wird noch größer.
Rund um den Globus haben die Großkonzerne im vergangenen Jahr ihre Innovationsbudgets kräftig aufgestockt: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) der 500 größten F&E-Investoren der Welt stiegen 2017 um sechs Prozent auf 532 Milliarden Euro. Das ist Rekord. Dabei steigerten die Topkonzerne aus den USA nach Berechnungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY ihre Ausgaben mit durchschnittlich elf Prozent besonders kräftig.
Hauptgrund für diesen starken Anstieg ist die enorme Investitionsbereitschaft der Digitalkonzerne: So erhöhte der weltgrößte Onlinehändler Amazon seine Innovationsausgaben um 41 Prozent auf umgerechnet 20,1 Milliarden Euro und belegt damit wie schon im Vorjahr Platz eins. Auf Platz zwei folgt unverändert die Google-Muttergesellschaft Alphabet mit 14,8 Milliarden Euro vor Samsung mit gut 13 Milliarden Euro – dem ersten nicht-amerikanischen Unternehmen.
Und der koreanische Mischkonzern hat gute Chancen, den dominierenden Amerikanern ihren Spitzenplatz streitig zu machen. Samsung kündigte jüngst Investitionen von umgerechnet 138 Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre an. Die Summe umfasst zwar auch den Ausbau von Halbleiter- und Bildschirmwerken, aber vor allem auch Ausgaben für Forschung, Entwicklung und die Suche nach neuen Wachstumsfeldern wie in der künstlichen Intelligenz und Biopharmazeutik.
Volkswagen unter den Top Ten
Bemerkenswert: Als einziges klassisches Industrieunternehmen unter den Top 10 belegt Volkswagen im Ranking den fünften Platz. Der Wolfsburger Autokonzern ist mit Ausgaben von 11,6 Milliarden Euro zugleich Europas größter Investor – und dürfte es auf absehbare Zeit auch bleiben. Bis Ende 2022 will VW mehr als 34 Milliarden Euro in die Elektromobilität, die Digitalisierung, autonomes Fahren und neue Mobilitätsdienste investieren.
„Immer kürzere Produktzyklen und sich rasch verändernde Verbraucherwünsche erhöhen den Druck auf die Unternehmen, ihre Innovationsbudgets aufzustocken“, sagt Julie Linn Teigland, EY-Regionalchefin für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Die weltweit gute Konjunkturentwicklung mit steigenden Umsätzen und Rekordgewinnen erleichtert es den Unternehmen zu investieren.
Am großen Trend ändert sich nichts: US-Unternehmen bleiben nicht nur an der Börse und bei den Milliardengewinnen, sondern auch bei den Ausgaben für die Zukunft das große Vorbild: Sieben der zehn Top-F&E-Investoren sind in den USA beheimatet. Ob autonomes Fahren, Batterietechnik und künstliche Intelligenz – Amerikas Tech-Konzerne forschen in allen Zukunftsfeldern. Dafür geben sie viele Milliarden aus – und es werden mehr.

Viel Geld für Innovationen.
Während die analysierten asiatischen Unternehmen nur durchschnittlich 2,6 Prozent ihrer Umsätze in F&E investieren, liegt der Anteil in Nordamerika mit 5,6 Prozent mehr als doppelt so hoch. Europäische Unternehmen kommen auf 3,4 Prozent.
Die Forschungsbudgets der amerikanischen Konzerne stiegen durchschnittlich um elf Prozent und damit noch mehr als die Umsätze, die um acht Prozent zulegten. In Europa war es umgekehrt: Hier gab es mehr Masse: Der Umsatz stieg mit zehn Prozent fast dreimal so viel wie die Forschungsausgaben mit lediglich drei Prozent Zuwachs.
Vor allem die großen Digitalkonzerne erhöhen ihre Innovationsausgaben massiv: Die fünf größten US-Digitalkonzerne setzten im vergangenen Jahr zusammen 68 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ein und steigerten ihre Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um knapp 20 Prozent. Auf der anderen Seite des Atlantiks stockten die fünf größten europäischen Investoren ihre Budgets nur um zwei Prozent auf gut 41 Milliarden Euro auf.
Die vorn platzierten IT-Konzerne mischen in fast allen Branchen mit. So vereinbarten Amazon und die Max-Planck-Gesellschaft eine Zusammenarbeit, um ihre Forschung zu künstlicher Intelligenz voranzutreiben. Dafür investiert der Onlinehandelsriese in Tübingen 1,25 Millionen Euro. In den nächsten fünf Jahren sollen hier 100 Forscher unter anderem in Bereichen wie „lernende“ und „sehende“ Maschinen tüfteln.
Ähnliche Standorte gibt es in Berlin, Dresden und Aachen. Selbst in Deutschland kaum bekannte IT-Firmen, wie der Halbleiterhersteller Qualcomm, forschen in vielen Zukunftstechnologien gleichzeitig, angefangen von Bio- und Medtech über intelligente Stromnetze, dem autonomen Fahren und der Batterietechnik bis hin zum Internet der Dinge.
Die starken Ausgaben gehen – ähnlich wie bei BMW und Daimler – auf Kosten der Gewinne und Marge. Forschungsweltmeister Amazon erwirtschaftete im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von 178 Milliarden Dollar nur einen Nettogewinn von drei Milliarden Euro. Das ist eine außergewöhnlich niedrige Rendite von 1,7 Prozent. Auch führen hohe Innovationsausgaben nicht zwangsläufig zu einer steigenden Innovationskraft und zu wegweisenden neuen Produkten. Umgekehrt aber können Unternehmen, die wenig investieren, keine großen Durchbrüche erwarten.
In Deutschland forschen nach Volkswagen die Wettbewerber Daimler und BMW sowie der Mischkonzern Siemens und der Pharmariese Bayer am meisten. Insgesamt stieg das Innovationsbudget der 32 deutschen Unternehmen in dem Ranking der Top 500 um fünf Prozent auf 54 Milliarden Euro. Davon entfallen allerdings 25,5 – also fast die Hälfte – auf die drei Autobauer und den Zulieferer Continental. Das belegt einmal mehr Deutschlands Abhängigkeit von der Automobilbranche.
Der Standort Deutschland profitiert von seinem Heimvorteil mit vielen hochkomplexen Produktionsverfahren im Maschinen- und Anlagenbau, der Elektroindustrie und natürlich der Automobilindustrie selbst. Dazu gehört auch, über Branchengrenzen hinaus zu denken. Der Anfang ist gemacht: BMW kooperiert mit neuen Herstellern wie Magna und schmiedet branchenübergreifende Allianzen mit dem Halbleiterriesen Intel beim autonomen Fahren. Audi, BMW, Daimler und Intel engagieren sich beim Kartendienst Here. Siemens formt eine Allianz um das Betriebssystem Mindsphere.
Immer kürzere Innovationszyklen
„Im europäischen Vergleich steht die deutsche Volkswirtschaft nicht nur bei der Forschungsintensität gut da, sondern auch bei den Forschungs-, Entwicklungs- und Vermarktungserfolgen, wie Patentanmeldungen oder Exporte von Hightech-Gütern belegen“, erklären die beiden Wissenschaftler Michael Stappel und Claus Niegsch in einer Forschungsstudie für die DZ Bank. Weil aber die Innovationszyklen immer kürzer würden und die internationale Konkurrenz wachse, müssten deutsche Unternehmen ihre Forschungsaktivitäten verstärken, so der Ratschlag.

Das Gerät zerstört sich bei Defekten selbst.
Weltweit die größten Steigerungen bei Forschungsausgaben gab es in China, wo die Ausgaben um 18 Prozent zulegten. China Mobile ist mit knapp fünf Milliarden Euro das forschungsintensivste Unternehmen. Allerdings ist die Ausgangsbasis immer noch schwach, denn China Mobile ist das einzige chinesische Unternehmen unter den 50 forschungsintensivsten Konzernen.
Auch wenn Forschung kein Garant für langfristigen Erfolg ist und erst einmal Geld und damit Marge kostet, so wirtschaften forschungsintensive Unternehmen auf Dauer profitabler. Die Umsatzrendite vor Steuern und Zinsen (Ebit) lag bei den Unternehmen, die eine F&E-Quote über dem jeweiligen Branchenschnitt erreichen, 2017 bei durchschnittlich knapp 15 Prozent. Hingegen erreichten die übrigen Firmen nur eine Marge von knapp zehn Prozent.
Das heißt: Wenn Unternehmen wie BMW und Daimler heute ihre Aktionäre enttäuschen, weil die Erträge angesichts höherer Forschungsausgaben nur stagnieren, dann winken in Zukunft womöglich wieder bessere Zahlen, höhere Margen und damit mehr Profitabilität.
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