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Geldanlage Unternehmen im Vergleich: Wie sich Mitbestimmung auf die Rendite auswirkt

Unternehmen ohne Arbeitnehmer im Aufsichtsrat performen an der Börse tendenziell besser. Langfristig hat Mitbestimmung aber Vorteile für Aktionäre.
26.07.2021 - 04:11 Uhr Kommentieren
Die Aktien von Unternehmen ohne Arbeitnehmer-Einfluss in den Aufsichtsräten schlagen sich an der Börse überwiegend besser.
Konzerne im Vergleich

Die Aktien von Unternehmen ohne Arbeitnehmer-Einfluss in den Aufsichtsräten schlagen sich an der Börse überwiegend besser.

Düsseldorf Sie gilt als typisch deutsch und als das sozialstaatliche Gegenmodell zum Kapitalismus: die paritätische Mitbestimmung in Unternehmen. Das heißt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind in gleicher Personenstärke im Aufsichtsrat vertreten. Das gibt es in der scharfen Form in keinem anderen großen Industriestaat.

Doch an der Börse sinkt der Einfluss der Arbeitnehmer durch ihre Vertretung in den Aufsichtsräten. Waren im Jahr 2015 alle Aufsichtsräte der 30 Dax-Unternehmen von Arbeitnehmern mitbestimmt, so sind es aktuell nur noch 26.

Und wenn der Dax im September auf 40 Mitglieder aufgestockt wird, sitzen voraussichtlich in zehn Aufsichtsräten keine Arbeitnehmervertreter mehr. Das hat kürzlich die Personalberatung Russell Reynolds Associates errechnet.

Im MDax, der sich in den vergangenen zehn Jahren mit einem Wertzuwachs von 220 Prozent doppelt so gut schlug wie der Dax, ist die Entwicklung sehr viel ausgeprägter. Gab es 2016 von den damals 50 Unternehmen nur zwölf Konzerne ohne Arbeitnehmervertreter, so ist diese Zahl auf 26 bei jetzt 60 MDax-Mitgliedern gestiegen.

Fast jedes zweite Unternehmen kommt in diesem erfolgreichen Börsenindex ohne gleichberechtigten Einfluss seiner Angestellten aus. Ein Grund für diese Entwicklung ist die 2004 eingeführte Rechtsform der Europäischen Gesellschaft SE.

Noch ein Trend ist sichtbar: Die Aktien von Unternehmen ohne Arbeitnehmer-Einfluss in den Aufsichtsräten schlagen sich an der Börse überwiegend besser. Das zeigen Berechnungen des Handelsblatts.

Erfolgreich an der Börse

Konkret bedeutet das: Die Aktien von 19 Unternehmen im Dax und MDax ohne paritätische Mitbestimmung entwickelten sich in den vergangenen fünf Jahren besser als ihr jeweiliger Vergleichsindex, elf performten schlechter.

Auf Zehnjahressicht liegt das Verhältnis bei 15 besseren und neun schlechteren. Berücksichtigt wurden nur Unternehmen, deren Aktien seit mindestens fünf oder zehn Jahren börsennotiert sind.

Aktionäre sind vor allem mit jungen Unternehmen ohne starke Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten gut gefahren. Sie steigerten ihre Aktienkurse oftmals um mehrere Hundert Prozent stärker als der Vergleichsindex.

Grafik

Viele der dynamisch wachsenden Unternehmen unterlagen bei ihrer Gründung nicht den strengen Mitbestimmungspflichten herkömmlicher Kapitalgesellschaften, weil sie weniger als 2.000 Beschäftigte hatten. Das gilt bis heute, trotz der zum Teil deutlich gestiegenen Unternehmensgröße.

Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen gründete sich 1998, Vonovia 2001 und der Wirkstoffhersteller Evotec 1993.

Einige sehr junge Unternehmen ohne paritätische Mitbestimmung sind noch erfolgreicher: Der Kochboxenhersteller Hello Fresh kam in nur gut zwei Jahren auf fast 700 Prozent Kurszuwachs.

Darüber hinaus finden sich unter den Gewinner-Aktien Firmen, die in ihren Nischen zu den Weltmarktführern zählen. Nemetschek stattet Ingenieure, Architekten und die Bauindustrie mit Software aus. Das Traditionsunternehmen Varta profitiert vom Boom der Batterietechnik.

„Je kleiner die Firma, desto weniger Ressourcen bleiben für die intensive Behandlung von Mitbestimmungsfragen“, sagt der Experte für gute Unternehmensführung (Corporate Governance), Christian Strenger. „Doch ob eine geringere Mitbestimmungsquote für den Börsenerfolg relevant sein könnte, lässt sich kaum feststellen.“

Die großen voll mitbestimmten Unternehmen hätten über die Jahre gelernt, mit den Vorgaben der Mitbestimmung zu leben, argumentiert der Direktor des Corporate Governance Institute an der Frankfurt School of Finance and Management.

Das gilt vor allem für börsennotierte Großkonzerne. Bei Adidas, der Deutschen Post, Infineon, Merck und MTU legten die Aktienkurse in den letzten zehn Jahren mehr als doppelt so stark zu wie der Dax – und bei allen Konzernen sind die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in gleicher Personenzahl im Aufsichtsrat vertreten.

Erfolgreich bei Gewinn und Rendite

Geht es um langfristigen Erfolg, dann kehrt sich der Trend um: Unternehmen, bei denen die Arbeitnehmer gleichberechtigt in den Kontrollgremien über die langfristigen Geschicke mitentscheiden, wirtschaften erfolgreicher.

Das haben Wissenschaftler schon vor gut einem Jahr in einer gemeinsamen Studie der Universität Duisburg-Essen, der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung belegt. In drei wesentlichen Gewinn-Kennziffern schnitten die stärker mitbestimmten Unternehmen besser ab als jene mit weniger Mitbestimmung.

Dafür wertete ein Team aus Ökonomen und Soziologen Daten von 172 Unternehmen aus, die zwischen 2006 und 2017 durchgehend im CDax gelistet waren. Das sind Aktien aus allen wichtigen Börsenindizes, einschließlich vieler kleiner Firmen aus dem Freiverkehr.

Bei der Gesamtkapitalrendite (Return on Assets, ROA), also dem prozentualen Gewinn, der sich in einem Geschäftsjahr aus dem Gesamtkapital ergibt, erreichten die Unternehmen mit starker Mitbestimmung durchschnittlich pro Jahr 4,6 Prozent. Bei den Firmen mit schwacher Mitbestimmung waren es nur knapp 2,8 Prozent.

Noch größer ist der Vorsprung beim Cashflow: Bei starker Mitbestimmung liegt er im Durchschnitt bei 4,95 Euro pro Aktie. Das ist gut dreimal so hoch wie in Unternehmen mit schwacher Mitbestimmung (1,39 Euro). Der Cashflow ist mit Blick auf die aktuelle Finanzkraft eines Unternehmens sehr aussagekräftig. Dabei werden Einzahlungen und Auszahlungen im Geschäftsjahr gegenübergestellt, um die liquiden Mittel zu berechnen.

Bei der Rentabilität, der Umsatzrendite vor Steuern und Zinsen, ermittelten die Forscher bei den stark mitbestimmten Firmen pro Jahr durchschnittlich 7,8 Prozent. Bei geringer Mitbestimmung waren es glatt sieben Prozent.

Diese Ergebnisse bestätigen Befunde vorangegangener Untersuchungen: So haben sich Unternehmen, bei denen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat mitbestimmen, während der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 sowie in den Jahren danach wirtschaftlich bei der operativen Umsatzrendite und auch an der Börse besser entwickelt.

Die Aktienrendite – das ist die Summe aus Kursgewinnen und Dividenden – lag bei mitbestimmten Unternehmen zwischen 2006 und 2011 bei sieben Prozent. Die damit verglichene Vergleichsgruppe, europäische Firmen ohne Arbeitnehmerbeteiligung, kam in dieser turbulenten Zeit auf ein sattes Minus von 21 Prozent.

Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler Marc Steffen Rapp von der Universität Marburg und Michael Wolff von der Universität Göttingen. Die unternehmerische Mitbestimmung habe in der Krise „kurzfristiges Verhalten von Unternehmen verhindert“ und danach ein „schnelleres Umschalten in den Wachstumsmodus ermöglicht“, urteilten die beiden Professoren für Betriebswirtschaftslehre in der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung.

Der Beweggrund für die Analyse der gewerkschaftsnahen Stiftung mag arbeitnehmergetrieben gewesen sein, doch die Studie ist komplex, statistikgetrieben und wissenschaftlich.

Um die Wirkung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat aussagekräftig zu überprüfen, haben sich die Wirtschaftswissenschaftler für ein methodisch aufwendiges Verfahren entschieden und 280 deutsche Unternehmen mit 280 passenden Wettbewerbern aus anderen europäischen Ländern verglichen: beispielsweise Siemens mit der Schweizer ABB und Continental mit dem französischen Hersteller Michelin.

Das eindeutige Fazit der Studienautoren lautet mit Blick auf die Finanz- und Wirtschaftskrise vor gut einem Jahrzehnt: „Bei der Kapitalmarktperformance verzeichnen mitbestimmte Unternehmen über den betrachteten Zeitraum höhere Renditen, weisen geringere Schwankungen auf, und ihre Unternehmensbewertungen unterliegen einem weniger drastischen Verfall.“

Verzicht auf Entlassungen

Die Forscher erklären das deutlich bessere Abschneiden der mitbestimmten Firmen unter anderem mit „systematisch anderen Unternehmensentscheidungen“ während der Krise. Am stärksten sticht dabei heraus, dass mitbestimmte Firmen meist auf größere Entlassungen verzichtet haben und ihre Beschäftigung recht stabil hielten, während Unternehmen ohne Arbeitnehmerbeteiligung kräftig Stellen strichen.

So ging die Mitarbeiterzahl in paritätisch mitbestimmten Unternehmen in der akuten Krisenphase vor gut einem Jahrzehnt um 2,4 Prozent zurück, legte dann im Anschluss an die Krise bis 2011 wieder um 4,5 Prozent zu, um in Summe 2,1 Prozent über dem Vorkrisenniveau zu liegen.

In Firmen ohne Mitbestimmung wurde die Belegschaft dagegen in der Krise um sieben Prozent reduziert und lag anschließend noch immer 1,9 Prozent unter dem Vorkrisenniveau.

Dieser Trend zeigt sich nach Handelsblatt-Berechnungen eindrucksvoll bei den Dax-Konzernen, bei denen zumindest vor einem Jahrzehnt noch in allen 30 Konzernen die Arbeitnehmer zu 50 Prozent in den Aufsichtsräten vertreten waren. Trotz Globalisierung und Renditedrucks verzichteten die 30 Dax-Konzerne damals fast ausnahmslos auf Entlassungen. Damit waren immerhin 1,7 Millionen Jobs gesichert.

Was damals viele Analysten als Rückfall in die alte deutsche Konsensgesellschaft abtaten, entpuppte sich als deutsches Erfolgsmodell. Denn als die Wirtschaft Ende 2009 genauso schnell wieder ansprang, wie sie zusammengebrochen war, mussten die Unternehmen keine neuen Fachkräfte suchen. Obendrein vermieden die Firmen teure Sozialpläne, wie sie in den USA üblich sind und die Konzernbilanzen belasten.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch in der Corona-Pandemie gab es bei den Dax-Konzernen, die immer noch fast alle paritätisch mitbestimmt werden, keine Entlassungen.

Die meisten Unternehmen haben mit ihren Betriebsräten langfristige Jobgarantien ausgehandelt. Daimler und Volkswagen etwa schließen betriebsbedingte Kündigungen bis 2029 aus.

Mehr: Diese Kennzahl verrät, wann die Dax-Wende kommt.

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