Hoteliers-Familie Badrutt Lohn der Leichtigkeit

Caspar Badrutt eröffnete im Jahr 1896 das Hotel mit dem auffälligen grünen Turm.
St. Moritz Beim ersten Rundgang durch das Hotel bleibt die neue Mitarbeiterin vor einem Gemälde stehen. Es zeigt einen Mann mit Nickelbrille und Anzug. Das Gesicht ein wenig rundlich, die Züge freundlich. Die Person auf dem Bild lächelt. „Das ist doch Herr Wiedemann, unser Direktor, oder?“ Nicht ganz, korrigiert der Kollege. Es handele sich um Hans Badrutt, den Gründer des Hotels.
Weit gefehlt und doch so nah. Seit 120 Jahren gibt es das „Badrutt’s Palace Hotel“ im schnieken St. Moritz schon. Fast ein Jahrhundert lang wurde es von der Familie Badrutt geführt. Seit mehr als zehn Jahren leitet mit Hans Wiedemann ein familienfremder Manager die Geschäfte. Nicht nur optisch hat er viel mit den Gründervätern der schrillen Nobelherberge für betuchte Gäste gemeinsam.
Im Badrutt’s traf sich in den Aufstiegsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg, was Rang und Namen hatte. Von Alfred Hitchcock und Charlie Chaplin über Marlene Dietrich, Audrey Hepburn, die Reederfamilien Onassis und Niarchos, die Familie Rothschild bis hin zum Schah von Persien, König Hussein von Jordanien und Winston Churchill.
Einer der schillerndsten Gäste war Gunter Sachs. Der deutsch-schweizerische Industriellenerbe verkörperte wie kein anderer das Badrutt’s. Kaum ein Millionär lebte seinerzeit so intensiv wie er. Sachs war mal Bobfahrer, mal Fotograf und Dokumentarfilmer, mal Astrologe und für mehrere Jahre Vize-Aufsichtsrat im Unternehmen des Vaters. Zwischenzeitlich kam er zeitversetzt mit fünf verschiedenen Begleiterinnen ins Badrutt’s und blieb oft für Wochen dort.

Der familienfremde Hoteldirektor hat es geschafft, dem „Palace“ seinen alten Glanz zurückzugeben.
Sehen und gesehen werden, das war das Motto. Caspar Badrutt eröffnete im Jahr 1896 das Hotel mit dem auffälligen grünen Turm.
„Gehobene Familienpension“
Die zweite Generation, die Gründerfamilie Hans und Helen Badrutt, bot ihren Gästen allen erdenklichen Luxus, ohne protzig zu wirken. Frei nach dem Motto: Was man kaufen kann, kaufen sich unsere Gäste ohnehin. Was die Schönen und Reichen der Welt suchten, war Intimität, Komfort und eine Atmosphäre, wie man sie sonst nur im eigenen Heim fühlt. Ehefrau Badrutt beschrieb das Palace oftmals einfach als die „gehobene Familienpension“.
Erst bei der Abreise der Gäste kam es bisweilen zu Überraschungen. Der damalige Hotelier Andrea Badrutt schrieb die Rechnungen noch höchstpersönlich – und pflegte die Zimmerpreise flexibel festzulegen. Ein Beispiel: Als Sachs einmal in den frühen Morgenstunden im hoteleigenen King’s Club mit Champagnerflaschen um sich schmiss, multiplizierte er den Rechnungsbetrag um ein Vielfaches. Doch habe weder Sachs noch sonst jemand sich die Blöße gegeben, sich zu beschweren. Es hätte der Eindruck entstehen können, jemand könne sich „das Palace“ vielleicht gar nicht leisten.
Bis in die 1990er-Jahre ging das munter so weiter, doch dann war die Luft raus. Reiche Skitouristen suchten sich neue Luxus-Skiorte. Die Badrutts spürten die Flaute sofort im Portemonnaie, es war kaum mehr Geld für Renovierungen da. Die Familie musste dabei zuschauen, wie „unser Kind“, wie sie das Hotel seit langem nennen, sein Antlitz verlor. Ende der 90er-Jahre übernahm die Rosewood-Kette das Hotel. Das brachte zwar frisches Geld, raubte dem Hotel jedoch jegliche Einzigartigkeit. Weil die Gäste weiter ausblieben, fehlte immer noch Geld. Ein gefährlicher Teufelskreis. Einen Testbesuch um die Jahrtausendwende habe er nach wenigen Stunden abgebrochen, sagte der bekannte Schweizer Hotelkritiker Karl Wild. „Das Palace war nicht mehr das Palace.“ Es mussten neue Ideen her.
Hansjürg Badrutt hatte besondere Ideen. Der Halbbruder von Andrea Badrutt, dem damals zwei Drittel der Anteile gehörten, entschloss sich zu einem Schritt, der bei Familienunternehmern eher unüblich ist: Er holte einen externen Direktor ins Haus, der die Geschäfte leiten solle. Hansjürg war zu alt, außerdem kinderlos. Der Neue war Hans Wiedemann. Der hatte nur eine Bedingung: den Vertrag mit Rosewood wieder zu kündigen. Gesagt, getan.
Fernsehen auf dem Gipfel
Die Skepsis war groß. Doch der neue Direktor schaffte es, dem Hotel seinen alten Glanz zurückzugeben. Dazu schreckte er nicht vor unkonventionellen Methoden zurück. Als ein Gast einmal darum bat, auf einem der vielen Gipfel um St. Moritz Fernsehschauen zu können, da zögerte Wiedemann nicht lange und schaffte das Gerät mit einem Helikopter auf den Berg. Und auch intern sorgte Wiedemann für große Augen. „Ich sage meinen Mitarbeitern immer: Macht Fehler!“, erzählt er. Nur so könnten die Angestellten eine Beziehung zu ihren Gästen aufbauen.
Solche Praktiken imponierten dem Lebemann Hansjürg Badrutt, der mit seinem neuen Direktor stets lieber eine Bratwurst am St. Moritzersee essen ging, als sich ums Geschäft zu kümmern. Was nicht heißt, dass Wiedemann nicht auch einen Sinn für’s Geschäft hat. Im Gegenteil: Binnen 15 Jahren investierte er über 150 Millionen Franken, unter anderem in einen eigenen Trinkwasserbrunnen. Heute verfügt das Hotel über 157 Zimmer, davon 37 Suiten. Die Übernachtungspreise liegen zwischen 225 Franken für ein Einzelzimmer bis zu knapp 21.000 Franken für die 280 Quadratmeter große Suite. Der Umsatz wurde verdoppelt, auch dank zahlreicher Auszeichnungen, wie etwa als „bestes Hochzeitshotel der Schweiz“, als Aufnahme in den Klub führender Hotels in der Welt und nicht zuletzt auch als Top-Arbeitgeber unter Schweizer Unternehmen. Und das Wichtigste: Das Hotel wird wieder zu 80 Prozent von Stammgästen besucht.
Hansjürg Badrutt und seine Ehefrau Anikó müssen beeindruckt gewesen sein. Sie halten zwar bis heute zwei Drittel der Anteile an dem Hotel, gaben aber vor einigen Jahren bekannt, Wiedemann, inzwischen 63, nach ihrem Tod alles zu vermachen. Aktuell haben diese Anteile einen Wert von 300 Millionen Franken. Wiedemann sieht sich allerdings nicht als Superreichen. Der Wert der Anteile stecke in dem Hotel, er denke nicht im Traum daran, zu verkaufen.
Und so zeigt die Geschichte der schillerndsten „Familienpension“ auch, dass ein inhabergeführtes Unternehmen nicht zwingend von der eigenen Familie fortgeführt werden muss. „Wir sind immer auf derselben Wellenlänge, haben denselben Humor und vertrauen uns blind“, erzählt Wiedemann. Das will er an die Gäste weitergeben. Er weiß genauso gut wie die Badrutts: „Wenn es keine Seele im Haus gibt, nützt kein Fünf-Jahres-Businessplan dieser Welt.“
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