Interview Investor Frank Thelen steigt bei „Die Höhle der Löwen“ aus – „Wir erleben einen digitalen Notstand“

Der Unternehmer ist Geschäftsführer der Risikokapitalgesellschaft „Freigeist“.
Düsseldorf Nach sechs Jahren beendet der Investor Frank Thelen sein Engagement bei der Start-up-Show „Die Höhle der Löwen“. „Mir ist die Entscheidung unglaublich schwergefallen“, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt. Aber er wolle sich in Zukunft noch stärker auf Investitionen in neue Technologien konzentrieren.
Beides kriege er nicht unter einen Hut: „Für jede Staffel bin ich im Endeffekt 30 bis 40 Tage eingespannt – das ist zu viel, wenn man eine erfolgreiche Technologie-Investmentgesellschaft aufbauen will“, sagt er.
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Zwar lobt Thelen die Produzenten der Show, „Sony macht hier einen guten Job“. Doch er räumt auch ein: „So eine Sendung muss immer auch Entertainment sein, damit die Leute einschalten. Das war für mich als Technologie-Investor immer wieder auch eine Herausforderung. Neulich hatten wir zum Beispiel einen Schnuller-Spender für Babys und eine Rattenfalle für Yachten. So etwas interessiert mich einfach nicht.“
Mit seiner Bonner Investment-Gesellschaft Freigeist wolle sich Thelen künftig auf die wichtigsten technologischen Zukunftsfelder konzentrieren: Künstliche Intelligenz, Blockchain, 3D-Druck, Quantencomputer, 6G, Energie und die Mobilität der Zukunft.
„In diesen Feldern werden neue, weltweit bedeutende Unternehmen entstehen. Ich möchte helfen, dass davon möglichst viele in Europa aufgebaut werden“, sagt Thelen. „Wir bei Freigeist konzentrieren uns daher auf Start-ups, die das Potenzial haben, in ein paar Jahren eine Milliardenbewertung zu erreichen und eine globale Rolle zu spielen.“
Auch zu den gescheiterten Investments aus „Die Höhle der Löwen“ – Von Floerke, Spielzeugkiste und Fittaste – äußert sich Thelen: „Das bringt so eine TV-Show eben mit sich, in der so schnell Deals gemacht werden. Da passieren einfach Fehler.“ Bei den Tech-Investments von Freigeist außerhalb der Sendung habe es dagegen bislang nur eine Insolvenz gegeben.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Herr Thelen, durch Ihre Auftritte in „Die Höhle der Löwen“ sind Sie einer der bekanntesten Start-up-Investoren in Deutschland geworden. Die Sendung hat das Thema Unternehmertum einem Millionenpublikum eröffnet. Nun steigen Sie aus. Warum?
Mir ist die Entscheidung unglaublich schwergefallen.
Mit dieser Phrase beginnen viele Kündigungsgespräche.
Aber ich meine es wirklich. Dass ich in die Show aufgenommen wurde, war so, als wäre mein erstes Investment das junge Start-up Facebook gewesen. Die Show ist ein Riesenerfolg, bricht Rekorde und gewinnt Preise...
… aber?
Ich möchte mich in Zukunft noch stärker auf Investitionen in neue Technologien konzentrieren. In den Laboren dieser Welt entstehen gerade viele disruptive Innovationen, die unsere Wirtschaft und unser Leben dramatisch verändern werden. Darauf möchte ich mich konzentrieren.
Können Sie das jetzt nicht?
Ich kriege beides nicht unter einen Hut: Für jede Staffel „Die Höhle der Löwen“ bin ich im Endeffekt 30 bis 40 Tage eingespannt – das ist zu viel, wenn man eine erfolgreiche Technologie-Investmentgesellschaft aufbauen will.
Dafür haben Sie es aber ganz schön lange ausgehalten.
Sagen wir so: Es war ein längerer Prozess.
Wir bei Freigeist konzentrieren uns auf Start-ups, die das Potenzial haben, in ein paar Jahren eine Milliardenbewertung zu erreichen.
Technologie-Start-ups hatten in der Sendung auf jeden Fall Seltenheitswert.
Zunächst: Sony macht hier einen guten Job. So eine Sendung muss immer auch Entertainment sein, damit die Leute einschalten, und ich habe mich ja auch auf viele neue Gebiete eingelassen. Aber das war für mich als Technologie-Investor immer wieder auch eine Herausforderung. Neulich hatten wir zum Beispiel einen Schnuller-Spender für Babys und eine Rattenfalle für Yachten. So etwas interessiert mich einfach nicht.
Sie haben mal gesagt, dass Ihre Auftritte bei „Die Höhle der Löwen“ mehr Menschen davon überzeugen sollen, ein Unternehmen aufzubauen. Das hat erkennbar nicht funktioniert. Die Zahl der Gründer sinkt in Deutschland immer weiter.
Die Zahl der Gründungen von kleinen Firmen ist nicht relevant. Spannender ist die Zahl der Unternehmer, die Tech-Start-ups aufbauen. In dem Feld sehe ich viel mehr gute Ideen als noch vor einigen Jahren.
Was bedeutet der Ausstieg aus der Show für Ihre Investitionen? Bislang wirkt Ihr Portfolio eher beliebig: Sie haben in das Biosuppen-Start-up Littlelunch und den Gewürzhersteller Ankerkraut investiert, daneben in das Flugtaxi-Unternehmen Lilium und die Blockchain-Firma Neufund.
Diese Bandbreite hat auch die TV-Show mit sich gebracht. Und klar, das ist ein ziemlicher Spagat.
Welche Art von Unternehmen steht für Sie künftig im Fokus?
Wir wollen vor allem in den wichtigsten technologischen Zukunftsfeldern investieren: Künstliche Intelligenz, Blockchain, 3D-Druck, Quantencomputer, 5G, Energie und die Mobilität der Zukunft. In diesen Feldern werden neue, weltweit bedeutende Unternehmen entstehen. Ich möchte helfen, dass davon möglichst viele in Europa aufgebaut werden. Wir bei Freigeist konzentrieren uns daher auf Start-ups, die das Potenzial haben, in ein paar Jahren eine Milliardenbewertung zu erreichen und eine globale Rolle zu spielen. Deshalb entwickeln wir mit jedem unserer Portfolio-Unternehmen einen Plan, wo es in zehn Jahren stehen soll.

Von links nach rechts: Georg Kofler, Carsten Maschmeyer, Judith Williams, Nils Glagau, Dagmar Wöhrl, Frank Thelen und Ralf Dümmel.
In wie viele Start-ups haben Sie bislang investiert?
In unserem Freigeist-Portfolio sind 20 Unternehmen. Eine Reihe davon, wie zum Beispiel die Food-Start-ups, sind nicht mehr so betreuungsintensiv, viele davon sind auch schon Cashflow positiv. Auf der anderen Seite haben wir Firmen wie das Münchner KI-Start-up Smartlane, bei denen wir vorübergehend operativ einsteigen…
… was für Investoren untypisch ist.
Wir verstehen uns nicht als reiner Investor, eher als eine Art Mitgründer. Bei dem Münchner Team von Smartlane, das eine Plattform für die Logistikbranche aufbaut, sind wir nicht nur mit rund einer Million Euro investiert. Wir helfen beim Programmieren, im Marketing und bei der Suche nach neuen Mitarbeitern. Bei dem Münchner Flugtaxi-Hersteller Lilium war mein Kollege Marc Sieberger sogar Interims-CFO.
Und doch kann es gehörig schief gehen, wie das Beispiel des Mode-Start-ups Von Floerke gezeigt hat, das mittlerweile pleite ist.
Richtig. Da ist so ziemlich alles schief gelaufen. Wir haben viel zu wenig darauf geachtet, welche Werte der Gründer eigentlich hat.
Werte hin oder her: Auch das Geschäftsmodell, für das Sie anfangs laut getrommelt haben, hat nicht funktioniert.
Ich habe mich selten so in einem Unternehmer getäuscht, wir hätten einfach genauer hinschauen müssen. Auch die Unternehmen Spielzeugkiste und Fittaste mussten wir abschreiben. Aber das bringt so eine TV-Show eben mit sich, in der so schnell Deals gemacht werden. Da passieren einfach Fehler.
Aber Sie hatten auch sichtlich Spaß an der Rolle des smarten, schnellen Dealmakers.
Völlig richtig. Aber was auch stimmt: Bei den Tech-Investments von Freigeist außerhalb der Sendung, bei denen wir die Geschäftsmodelle in Ruhe prüfen und die Gründer persönlich kennenlernen, hat es bis heute nur eine Insolvenz gegeben.
Wenn wir so weitermachen, wird Deutschland von der digitalen Landkarte verschwinden.
Wie viel investieren Sie eigentlich pro Unternehmen?
Aktuell ab 500.000 Euro pro Unternehmen…
… ein eher kleiner Betrag. Bei den richtig spannenden Start-ups werden Sie damit bald kaum noch zum Zug kommen.
Wir werden diese Summen schrittweise in Richtung eine Million bis zwei Millionen Euro anheben.
Sie investieren mit Ihren Partnern Marc Sieberger und Alex Koch ausschließlich eigenes Geld. Das Fondsvolumen dürfte irgendwo im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen.
Weil es unser eigenes Geld ist, sagen wir dazu nichts.
Aber klar ist: Der Betrag ist klein, verglichen mit anderen Fonds. Nehmen Sie künftig auch weitere Geldgeber ins Boot?
Ja. Wir wollen uns für weitere Partner öffnen. Aber mehr als drei bis vier werden es nicht sein. Und sie müssen Unternehmer sein, die bereit sind, mit uns kalkulierte Risiken einzugehen. Zudem müssen sie ein ähnliches Verständnis von den Zukunftstechnologien haben wie wir.
In welchen Technologiefeldern hat Deutschland noch echte Chancen im Vergleich zum Rest der Welt, vielleicht sogar einen USP?
Erst einmal müssen wir uns klar machen, in welchen Bereichen wir keine Chance mehr haben. Das gilt für alle etablierten Technologien: Social Media, 5G, Suchmaschinen, Cloud Computing, in all diesen Bereichen ist der Zug abgefahren.

Im Freigeist-Portfolio des Investors befinden sich derzeit 20 Unternehmen.
Das heißt, Sie glauben nicht an Gaia X, das Cloud-Projekt von Wirtschaftsminister Peter Altmaier?
Ich kenne das Projekt nicht im Detail, bin aber zumindest skeptisch. Außerdem müssen wir viel stärker auf die kommenden Technologien schauen, auf 3D-Druck, Quantencomputer, Blockchain, 6G...
… die neue Mobilfunktechnik, an der Forscher gerade beginnen zu arbeiten...
… das sind Felder, die noch nicht von milliardenschweren amerikanischen oder chinesischen Konzernen dominiert werden. Wir müssen verstehen lernen, was die nächsten Technologiewellen sind. Darin sind wir in Deutschland bislang schlecht. Wir haben zu viel Zeit damit verschwendet, die Vergangenheit zu optimieren. Auch die Mobilität ist so ein Feld. Die superschnellen Hyperloop-Züge wären ein Thema, das wir besetzen könnten.
Sie haben gerade in das niederländische Hyperloop-Start-up Hardt investiert. Aber kein Mensch weiß, ob diese Technik jemals außerhalb der bestehenden Test-Röhren wirtschaftlich funktioniert – noch unklarer ist, ob solche Röhren in Europa je gebaut werden.
Es ist eine riskante Wette. Aber auch eine riesige Chance. Oder stellen Sie sich vor, wir würden jetzt Milliarden in die 6G-Forschung stecken, um bei der nächsten Mobilfunk-Generation führend zu sein – das ist die langfristige Denke, die wir brauchen. Da ist uns China weit voraus.
Sie beraten die Bundesregierung, haben viel Kontakt mit Politikern. Trauen Sie das der jetzigen Generation zu?
Wir haben Digital Natives wie Doro Bär, Christian Lindner und Thomas Jarzombek. Aber das sind Ausnahmen. Ansonsten erlebe ich in Berlin einen digitalen Stillstand. Unser Problem ist doch, dass wir noch nicht einmal die ersten Phasen der Digitalisierung abgeschlossen haben. Schauen Sie sich nur an, wie viele Prozesse in Behörden und Unternehmen noch auf Papier laufen.
Andere Länder kommen bei der Digitalisierung des Alltags schneller voran. Woran liegt’s?
Ich glaube, es ging uns viele Jahre zu gut. Dadurch war der Druck, etwas zu verändern, nicht groß genug.
Und nun?
Stecken wir in der Krise. Wir erleben einen digitalen Notstand. Die Regulierung ist zu starr, unser Bildungssystem ist komplett veraltet und es gibt zu wenig Geld für Tech-Firmen. Wenn wir so weitermachen, wird Deutschland von der digitalen Landkarte verschwinden.
Das lässt sich in Zahlen nicht belegen: 2019 fließt eine Rekordsumme in deutsche Start-ups.
Aber in China und den USA fließt noch viel mehr.
Aber durch Geld allein entstehen noch keine guten Ideen.
So ganz stimmt das nicht. Sie brauchen Geld für moderne Hochschulen, auf denen die brillanten Köpfe von Morgen ausgebildet werden. Dann brauchen sie Geld für Forschung. Und Geld für Technologien, die noch weit von der Marktreife entfernt sind.
Wir müssen verstehen lernen, was die nächsten Technologiewellen sind. Darin sind wir in Deutschland bislang schlecht.
Wo läuft es aus Ihrer Sicht besser?
Wie es gehen könnte, zeigt ja der französische Präsident Emmanuel Macron, der gerade einen Fünf-Milliarden-Fonds für Start-ups aufgelegt hat. Er hat die klare Vision, Frankreich zum Start-up-Zentrum Europas zu machen. So ein klares Bekenntnis sehe ich von der Bundesregierung nicht. Merkel eröffnet die sterbende Cebit, aber nicht die größte Start-up-Konferenz Bits & Pretzels in München. Deutschland hat komplett verlernt, eine Vision für die Zukunft zu entwickeln. Das sieht man jetzt auch beim Thema Klimaschutz. Die GroKo ist mut- und kraftlos.
Sie könnten sich als Investor ja engagieren.
Klimawandel und Energiewende sind für uns tatsächlich ein riesiges Thema. Wir sind zum Beispiel bei dem Saarbrücker Start-up Kraftblock investiert, das Energie in Wärme speichern kann. Und neulich habe ich ein Unternehmen kennengelernt, das Treibstoff aus CO2 herstellt. Wir werden unser Portfolio sicher mit solchen und ähnlichen Technologien erweitern.
Wer ist eigentlich Ihr unternehmerisches Vorbild?
Ganz klar Elon Musk. Er ist eben nicht der feine Business-School-Absolvent, sondern eher ein verrückter Außenseiter mit einer klaren Vision, und er hat den Mut, Dinge einfach zu machen.
Und ein merkwürdiges Verständnis von Kommunikation. Siemens-Chef Joe Kaeser hat ihn gerade als „kiffenden Kollegen“ bezeichnet.
Es zählt, was am Ende dabei herauskommt.
Bislang sind es vor allem Schulden.
Lassen Sie uns in ein paar Jahren noch einmal darauf schauen. Ich glaube, die Kombination aus eigener Batterie-Produktion, Daten, Chips und KI wird Tesla bald so wertvoll machen wie Amazon oder Google. Vielleicht sollten wir öfter darüber reden und nicht über Tweets von Elon Musk.
Herr Thelen, vielen Dank für dieses Interview.
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