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Management Wie Unternehmen in der Pandemie ihre Start-up-Mentalität wecken

Viele Firmen sind blitzartig auf Masken oder Hygieneartikel umgestiegen. Eine Studie zeigt: Wer vier Grundsätze befolgt, wird auch in Zukunft besser durch Krisen kommen.
22.03.2021 - 04:00 Uhr Kommentieren
In Rekordzeit wurden Anlagen, auf denen Ausstattung für Personenwagen hergestellt wurde, für keimarme Maskenproduktion umgerüstet. Quelle: Reuters
Maskenproduktion bei Zender in Osnabrück

In Rekordzeit wurden Anlagen, auf denen Ausstattung für Personenwagen hergestellt wurde, für keimarme Maskenproduktion umgerüstet.

(Foto: Reuters)

Düsseldorf Eine der ungewöhnlichsten Wirtschaftsgeschichten in der Corona-Pandemie hat sich bei der Zender-Gruppe abgespielt. Bei dem Autotuning-Spezialisten aus Osnabrück traf vor gut einem Jahr ein Hilferuf aus Italien ein. „Wir brauchen dringend Schutzmasken“, meldeten sich Kollegen der Unternehmensholding aus Venetien. Das nördliche Italien war da schon massiv von Corona-Infektionen betroffen.

Von FFP2-Masken hatte bis dahin kaum einer der 50 Mitarbeiter etwas gehört. „Der Anruf hat aber das Improvisationstalent der Belegschaft geweckt“, berichtet die kaufmännische Geschäftsführerin Lena Guth, unter deren Regie die Operation Corona-Maske lief. In Rekordzeit wurden Anlagen, auf denen sonst Ausstattung für Personenwagen hergestellt wurde, für keimarme Maskenproduktion umgerüstet. Der Verkauf wurde mithilfe eines Vertriebspartners organisiert.

In der Pandemie sind viele Unternehmen blitzartig auf die Herstellung von Schutzmasken oder Hygieneartikel umgestiegen. Der plötzliche Lieferstopp in China, der erzwungene Produktionsstillstand durch den Lockdown in Deutschland und der explosionsartig steigende Bedarf an Hilfsmitteln gegen eine Infektion lösten in Teilen der Wirtschaft eine Agilität aus, die sonst nur Start-ups zugetraut wird.

Autozulieferer produzierten binnen weniger Wochen Schutzmasken mit Zertifizierung, Textilfirmen schufen Mund-Nasen-Schutz als modisches Accessoire, Konzerne rüsteten ganze Produktionsstraßen um. Wie haben sie das geschafft? Das untersuchten Kai Hoberg, Professor an der Kühne Logistik Universität Hamburg, und die Wissenschaftlerin Jasmina Müller.

Die Studie „Ad-hoc-Lieferketten in der Coronakrise“ liegt dem Handelsblatt exklusiv vor. Und sie zeigt: Aus den Erfahrungen der Unternehmen lassen sich vier Empfehlungen ableiten.

1. Externe Netzwerke aufbauen

Die Unternehmen sollten ein stabiles, branchenübergreifendes Netzwerk aufbauen und pflegen, selbst wenn es im Normalgeschäft nicht gebraucht wird. Damit können sie im Fall eines externen Schocks durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen oder Institutionen auf Ressourcen zurückgreifen. Die Krise hat gezeigt: Gute Kontakte mit einem Maschinenbauer, mit Rohstofflieferanten oder die Vernetzung mit Branchenverbänden können das Reaktionstempo sehr beschleunigen.

2. Interne Fähigkeiten definieren

Unternehmen können besser auf extreme Situationen reagieren, wenn sie interne Kapazitäten und Wissen aus dem Kerngeschäft einsetzen. Etwa in der Frage, was man mit einem Ultraschall-Schweißgerät noch alles machen kann außer Pkw-Zurüstteile. Das herauszufinden kostet in der Krise zu viel Zeit. Und: Ist die Lücke zwischen vorhandenem und im Notfall benötigtem Wissen zu groß, macht es manchmal auch keinen Sinn, den Versuch zu starten, eine neue Produktion aufzubauen.

3. Routine ausschalten

Unternehmen sollten bei allen Mitarbeitern das Bewusstsein schaffen, dass es sich bei den Ad-hoc-Lieferketten um temporäre Lieferketten handelt, bei denen die in normalen Zeiten üblichen Effizienz- oder Nachhaltigkeitsziele in den Hintergrund treten. Routineprozesse, etwa in der IT oder in der Kommunikation, und reguläre Praktiken im Einkauf oder in der strategischen Planung werden umgangen, um extrem schnell reagieren zu können. Entscheidungen dürfen dann auch mal von oben kommen ohne Abteilungsabstimmung.

4. Denkverbote aufheben

Es gibt viele Wege zum Ziel. Unternehmen haben zum Beispiel völlig unterschiedliche Wege beschritten, um am Ende FFP2-Masten herzustellen. Die einen arbeiteten mit einem Netzwerk von Zulieferern, andere nach der Methode Ikea, bei der Kunden selbst Produkte fertigstellen mussten. Wichtig ist es, dass Unternehmer und Beschäftigte ein ganzheitliches Denken entwickeln und über funktionale und eingeübte Unternehmensgrenzen hinwegdenken. Was zählt, ist das Ergebnis.

Befragt wurden für die Studie 52 Unternehmen in Deutschland, die zuvor noch nie etwas mit Schutzausrüstungen oder anderen medizinischen Produkten zu tun hatten, in der Coronakrise aber Desinfektionsmittel, Mund-Nasen-Masken, OP-Masken, FFP2-Masken, Gesichtsvisiere oder Schutzkittel herstellten.

Fast alle standen nach Angaben des Forscherteams unter dem Druck, den Einbruch des Kerngeschäfts kurzfristig ausgleichen zu müssen. Aber fast alle trieb auch die Motivation, „einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten“, sagt Kai Hoberg.

Beispiel 1: Zender macht Medizinprodukte zum zweiten Standbein

Der Tuningspezialist Zender kennt sich mit Zierleisten, windschnittigen Anbauteilen und sportlichen Felgen aus. Autoenthusiasten schätzen die Firma etwa fürs Styling des legendären Alfa Spider. Trotzdem gelang es im vergangenen Jahr schnell, eine keimarme Produktionsstraße für Mund-Nasen-Schutz in den eigenen Werkshallen aufzuziehen.

„Dabei haben wir keineswegs von Anfang an alles richtig gemacht“, räumt Geschäftsführerin Lena Guth ein. Aber alle Mitarbeiter hätten sich mit einem hohen Maß an Flexibilität mit Unbekanntem auseinandergesetzt und in wenigen Wochen etwas „möglich gemacht, für das wir sonst Monate, wenn nicht Jahre gebraucht hätten“.

Künftig will sich die Osnabrücker Firma auch als Hersteller von zertifizierten und hochwertigen Masken etablieren, die zum Beispiel in Krankenhäusern verwendet werden. Das Unternehmen ist überzeugt, mit Produktion aus Deutschland statt umstrittener Importe aus China punkten zu können.

Medizinische Schutzausrüstung soll zum zweiten Standbein des Unternehmens werden. „Wir nehmen das sehr ernst und legen das nun als Geschäftsmodell langfristig an“, sagt Guth.

Der Autotuning-Spezialist macht Medizinprodukte zum zweiten Standbein. Quelle: AFP
Maskenproduktion bei Zender

Der Autotuning-Spezialist macht Medizinprodukte zum zweiten Standbein.

(Foto: AFP)

Für die Stadt am Rande des Teutoburger Walds ist das schon jetzt ein Gewinn. Zender beschäftigt inzwischen 120 Mitarbeiter Doch das Management denkt weiter. Die Produktion soll automatisiert, neue Kundengruppen wie etwa Lackierer sollen erschlossen werden. Denn die Konkurrenz schläft nicht. Und der erste Maskenhype ist vorbei.

Beispiel 2: Textilhersteller Apelt konnte dank Erfahrung schnell reagieren

Gut 500 Kilometer südlich von Osnabrück, im badischen Oberkirch, setzte vor einem Jahr zwar auch das Maskenfieber bei der Alfred Apelt GmbH ein. Die Voraussetzungen waren für den Designhersteller von Heimtextilien aber ganz andere. Stoffe sind ohnehin das Metier des mittelständischen Unternehmens.

Entscheidend aber war, dass Apelt zu den wenigen Herstellern in Europa zählt, die noch selbst in allen Stufen produzieren. Ideale Voraussetzung für eine schnelle Umsetzung von der Idee bis zur Auslieferung.

In Polen betreibt das Unternehmen nach Angaben von Co-Gesellschafter und Juniorchef Sebastian Ihling eine Näherei mit 70 Angestellten, 60 Mitarbeiter sind es in Deutschland. Die Not der polnischen Tochter war es denn auch, die das Familienunternehmen antrieb, sich mit dem Aufbau einer Maskenherstellung zu befassen. Die Aufträge brachen schlagartig weg. „Wir hätten während des ersten Lockdowns unsere Beschäftigten in unserer polnischen Tochterfirma nach Hause schicken müssen“, sagt Ihling.

Dazu kam: Ein Unternehmen wie Apelt konnte auf langjährige Bezugsquellen zurückgreifen. Binnen kürzester Zeit waren die notwendigen Vliesstoffe zur Stelle. „Innerhalb von zwei Tagen war alles entschieden und beschafft.“ Ihling gibt unumwunden zu, dass er selbst anfangs skeptisch war, ob es eine gute Idee sei, Masken herzustellen. „Der Bedarf war dann aber erstaunlich.“

Die Firma Apelt hatte sich gegen die Herstellung eines modischen Produktes und für ein Gebrauchsprodukt entschieden. Kunden sollten Apotheken, Gemeinden und andere Großabnehmer sein. Inzwischen ist die Produktion wieder eingestellt. „So schnell es kam, so schnell ging es auch wieder vorbei“, sagt Ihling. Für die Beschäftigten des Unternehmens sei es aber eine besondere Erfahrung gewesen. „Unsere Mitarbeiter waren stolz darauf.“

Sein persönliches Fazit des Ausflugs ins Maskengeschäft ist, dass man die Dinge pragmatisch angehen muss. Eigentlich, sagt Ihling, „sollte man jeden Monat Hunderte solcher Sachen machen“.

Beispiel 3: BASF entschied im Eiltempo über Desinfektionsmittel-Produktion

So schnell wie bei inhabergeführten Mittelständlern kann auch in weltweit agierenden Konzernen entschieden werden. Beispiel BASF: Der größte Chemieproduzent der Welt zog binnen weniger Tage eine Produktion für Desinfektionsmittel hoch. Ein Vorhaben, das normalerweise einen langen Vorlauf braucht, denn in Ludwigshafen wird in Tonnen und Hektolitern kalkuliert.

Diesmal war es anders, nachdem Krankenhäuser aus der Umgebung dringend angefragt hatten, ob BASF nicht auch Desinfektionsmittel liefern könne. „Die erste Vorgabe des Vorstands lautete: ,Du hast eine Woche'“, sagt Projektmanager Jan-Peter Mittwollen. „Ich dachte, das ist nicht zu machen. War es dann aber doch.“

Dabei waren vermeintlich banale Fragen im Eiltempo zu lösen: Wie bekommt man Desinfektionsflüssigkeit aus einem 8000-Liter-Tank in kleine Fläschchen? Eine Aufgabe, die sonst die Firmenkunden von BASF lösen. Bis zu 70 Mitarbeiter waren zeitweise für das Projekt eingesetzt, insgesamt wurden 900.000 Liter Desinfektionsmittel hergestellt. Nach drei Monaten war Schluss, der Markt hatte sich eingeregelt.

Für Mittwollen war es nicht das erste Projektmanagement, aber ein ganz neuer Ansatz. „Das agile, interdisziplinäre und auf ein Thema fokussierte Arbeiten, das waren meine größten Aha-Effekte“, sagt er. Normalerweise muss er sich parallel um mehrere Themen kümmern.

Ganz nebenbei erfand die BASF auch ein neues Verfahren, Ethanol geruchsfrei zu machen. Doch hier ging es nicht ums Geschäft. „Mit für uns vergleichsweise kleinem Geld haben wir viel erreicht“, sagt der Manager.

Bis zu 70 Mitarbeiter waren zeitweise für das Projekt eingesetzt, insgesamt 900.000 Liter Desinfektionsmittel hergestellt. Quelle: obs
Desinfektionsmittelherstellung bei BASF

Bis zu 70 Mitarbeiter waren zeitweise für das Projekt eingesetzt, insgesamt 900.000 Liter Desinfektionsmittel hergestellt.

(Foto: obs)

Auch wenn es Erfahrungen in einer ungewöhnlichen Situation sind: Sie lassen sich nach Einschätzung des Studienautors Hoberg durchaus auf mögliche andere Krisenlagen anwenden. Und zwar immer dann, wenn ein unerwartetes externes Ereignis die Herstellung völlig anderer Produkte unter extremen Bedingungen erforderlich mache. Naturkatastrophen beispielsweise wie eine Dürre, Tsunamis oder Waldbrände, aber auch Folgen von Cyberkriminalität.

In der Pandemie waren anfangs Schutzkleindung, dann Luftfilter und jetzt Schnelltests gefragt. In der nächsten Krise seien es vielleicht Gummiboote. „Die Studie liefert einen Leitfaden für Unternehmen, wie sie bei einem solchen externen Schock extrem schnell neue Lieferketten aufbauen können“, sagt Hoberg. Und sie sollte Unternehmen auch zum Nachdenken bringen, ob „es wirklich immer zwölf oder 15 Monate braucht, bis ein neues Produkt auf den Markt kann“.

Corona-Erfahrungen seien damit auch in normalen Zeiten wertvoll, findet der Wissenschaftler. Vorsichtsregeln sollten aber dabei nicht über Bord gehen. Das Management müsse sich immer die Frage stellen: „Hat es für uns einen Wert, schneller zu sein, oder überwiegt das Risiko?“

Mehr: Das sind die fünf dringendsten Aufgaben für den deutschen Mittelstand.

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