
Klusmann eilt der Ruf eines Machers voraus, der auch mit unbequemen Entscheidungen nicht lange zögert.
Es ist kalt geworden in Chemnitz. Am Karl-Marx-Monument zieht an diesem Novemberabend nasser Nebel auf. Vor einem Zweckbau, in dem einst die SED residierte, liegt ein Hauch von Volksaufstand in der Luft.“
So oder so ähnlich lesen sich Einstiege von Texten im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Detailreiche Schilderungen, gespickt mit Interpretationen (wie bitteschön fühlt sich ein Hauch von Volksaufstand an?), für die die Reporter seit Jahrzehnten bewundert werden. Doch der Fall Claas Relotius hat die Zeitenwende gebracht. Der 33-jährige Redakteur hat zahlreiche seiner Texte nicht recherchiert, sondern erfunden – und der „Spiegel“ hat sie gedruckt.
Steffen Klusmann hat nun nicht mehr eine, sondern zwei Riesenaufgaben zu bewältigen. Der 52-Jährige ist ab Januar neuer Chefredakteur des „Spiegels“ und Nachfolger des geschassten Klaus Brinkbäumer. Klusmann ist vor allem als Manager geholt worden, der die Redaktionen von „Spiegel“ und „Spiegel Online“ vereinen und die Marke so ins digitale Zeitalter führen soll.
Doch nun muss Klusmann Aufräumarbeit ganz anderer Art leisten: Es gilt zu klären, wie es zum Relotius-Skandal kommen konnte. Eine Kommission aus zwei „Spiegel“-Redakteuren und einer externen Journalistin soll die Hintergründe aufklären. Klusmann rechnet damit, dass dies „schon ein paar Monate dauern“ könne. Personelle Konsequenzen sind laut Klusmann ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Klusmann war zuvor Chefredakteur des „Manager Magazins“ und der inzwischen eingestellten „Financial Times Deutschland“. Ihm eilt der Ruf eines Machers voraus, der auch mit unbequemen Entscheidungen nicht lange zögert.
In den vergangenen Wochen hat der Chefredakteur in spe an einem neuen Organigramm für die künftig vereinten „Spiegel“-Redaktionen gesessen. Doppelarbeiten sollen künftig verhindert, Synergien gehoben werden. Die neue Chefredaktion soll außer Klusmann als Leiter nur noch zwei weitere Mitglieder haben – doch da fangen die Probleme an.
Ullrich Fichtner, einer der drei designierten Chefredakteure, hatte als Leiter des Gesellschaftsressorts Relotius zum „Spiegel“ geholt. Am vergangenen Freitag verschickte Klusmann eine interne Mail und teilte mit, dass Fichtners neuer Vertrag bis zur Aufklärung des Relotius-Falles ruhen werde.
Das Gleiche gilt für einen anderen Kollegen: Matthias Geyer, erst als Stellvertreter und später als Nachfolger Fichtners an der Spitze des Gesellschaftsressorts für die Abnahme der Relotius-Texte zuständig, soll künftig die neu geschaffene Position des einflussreichen Blattmachers einnehmen. Auch hier verkündete Klusmann einen vorläufigen Stopp.
Wenn man dann noch bedenkt, dass sich die dritte designierte Chefredakteurin Barbara Hans derzeit in Elternzeit befindet, wirkt Klusmanns frisch zusammengestelltes Führungsteam plötzlich sehr überschaubar.
Als „Clusterfuck“ soll der neue „Spiegel“-Chef den Relotius-Skandal in einer internen Versammlung der Mitarbeiter bezeichnet haben. Eine drastische Sprache für eine drastische Situation.
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