Michele Puller Steilmann-Vorstand trägt Doktortitel ohne Promotion

Der Modehersteller spricht davon, dass hinsichtlich des „Dr.“-Titels von Michele Puller möglicherweise ein „Interpretationsspielraum“ bestehe.
Düsseldorf Für Michele Puller kommt es auf seine alten Tage noch mal richtig heftig. Mehr als 30 Jahre ist es her, dass der Italiener aus Bergamo nach Bergkamen übersiedelte. Die Industriellenfamilie Radici hatte ihn geschickt, um zwei Firmen in ihrem Unternehmensgeflecht auf Vordermann zu bringen. Dass ihn die deutschen Behörden damals trotzdem als Gastarbeiter einstuften und erst einmal zur amtsärztlichen Untersuchung bestellten, fand Puller bis vor einiger Zeit noch lustig.
Das lag wohl an den Rahmenbedingungen. Die italienische Miro-Radici-Gruppe hatte sich im Laufe der Jahre prächtig entwickelt und ihre Präsenz in Deutschland stark ausgebaut. 2006 kaufte das Familienunternehmen den deutschen Modekonzern Steilmann, 2013 übernahmen die Italiener über eine Zwischenholding gemeinsam mit dem Finanzinvestor Equinox die Adler Modemärkte. Puller hatte zeitweise gleich mehrere Ämter inne und galt als einer der erfolgreichsten Gastarbeiter aller Zeiten. Nebenbei war er auch noch Beiratsmitglied beim Fußballklub Borussia Dortmund.
Seit Überschreiten des Rentenalters, Puller ist Jahrgang 1948, mehren sich bei dem Italiener allerdings die Fragezeichen. Im November 2015 ging Steilmann unter seiner Führung an die Börse, und Puller gab sich ausgesprochen zuversichtlich. Es sei „genau der richtige Zeitpunkt“ für einen Börsengang, sagte der Vorstandschef. Steilmann habe sich in den vergangenen Jahren „erfolgreich zu einem vertikal integrierten Bekleidungsunternehmen entwickelt“ und wolle weiter wachsen.
Stattdessen folgte ein Schrumpfkurs. 98 Millionen Euro wollte Puller ursprünglich am Kapitalmarkt einsammeln. Er bekam aber weniger als ein Zehntel dessen zusammen, und keine fünf Monate später stellte Puller für Steilmann einen Insolvenzantrag. Der Aktienkurs, Anfang November bei 3,50 Euro gestartet, sank auf 23 Cent. Mehrere Betriebsstellen sollen geschlossen werden, 680 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs.
Puller behielt trotz des Insolvenzverfahrens seine Stelle als Vorstandschef und muss sich in dieser Funktion nun unbequeme Fragen gefallen lassen. Aktionärsschützer bezeichneten die Entwicklung der letzten Monate unter seiner Führung als „pure Katastrophe“. Die Finanzaufsicht Bafin nahm den Börsengang unter die Lupe, seit kurzem ermittelt die Staatsanwaltschaft. Zwei Kunden haben Anzeige erstattet. Sie vermuten, Steilmann sei schon im November vergangenen Jahres pleite gewesen. Der Börsengang sei nicht zur Finanzierung von Wachstumszielen erfolgt, sondern um alte Rechnungen zu bezahlen. Der Vorwurf in einem Wort: Insolvenzverschleppung.
Puller ließ mehrfach Fragen des Handelsblatts zu alldem unbeantwortet. Und ausgerechnet jetzt, da sein Ruf als vertrauenswürdiger Unternehmensleiter schweren Schaden genommen hat, trifft ihn noch ein anderer Verdacht. Ein Mitarbeiter verriet, dass sich Puller auch akademisch größer mache, als er in Wahrheit sei.
„Dr. Michele Puller promovierte 1973 an der Universität Rom in den Fächern Statistik und Wirtschaft.“ So beginnt der Lebenslauf des Vorstandschefs von Steilmann auf der Webseite des Unternehmens. Doch so einfach der Satz scheint, so irreführend ist er auch.
Nach deutschem Hochschulrecht ist eine Promotion eine „vertiefende wissenschaftliche Arbeit“, die auf einer schriftlichen Dissertation und einer mündlichen Prüfung, dem Rigorosum, beruht. Puller hat weder das eine noch das andere. In den 43 Jahren, in denen der Manager nun schon den Doktortitel führt, reichte ihm eine bequeme Übersetzung.
Anders als in der deutschen Hochschulszene mit ihren zahlreichen akademischen Titeln dürfen sich in Italien selbst solche Studenten „Dottore“ nennen, die nur den niedrigsten akademischen Grad erworben haben. Die Italiener kennen zwar unterschiedliche Stufen des „Dottore“, auf einer Visitenkarte aber lesen sich alle gleich: „Dott.“
Viele Führungskräfte in der Wirtschaft haben aus diesem Umstand einen Nutzen gezogen. Sie übersetzten nach ein paar Semestern Studium in Italien ihren „Dottore“ in den deutschen „Doktor“ und schmückten sich fortan mit einem Titel, der ihre deutschen Konkurrenten mitunter jahrelange Arbeit kostete.
Von Handelsblatt auf seine akademische Abkürzung angesprochen, reagierte Steilmann ausweichend. Zwar sei richtig, dass der Vorstandschef keine Dissertation geschrieben habe. Eine Promotionsordnung sei aber in Italien erst 1978 eingeführt worden, sagt ein Unternehmenssprecher. „Von daher ist es möglich, dass hinsichtlich des Führens des deutschen Titels ‚Dr.’ ein Interpretationsspielraum besteht.“
Möglich ist allerdings auch, dass Puller sich diesen Spielraum lediglich wünscht. „Allgemein gilt: Wenn ein ‚Dottore’ vorhanden ist, der etwa die Wertigkeit eines Masterabschlusses hat, dürfte ein solcher als ‚Dott.’, nicht aber als ‚Dr.’ geführt werden“, sagt Verena Hoppe vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung in Nordrhein-Westfalen. Ein unsicherer Akademiker könne sich an das Ministerium wenden und die Ausstellung einer „Führbarkeitsbescheinigung“ beantragen. Hoppe: „Wir brauchen eine beglaubigte Kopie der Verleihungsurkunde und eine Übersetzung. Für 150 Euro bekommt er eine Bescheinigung, in der steht, wie er den Grad führen darf und wie nicht.“
Wenn die Beamten dabei feststellen, dass ein Dottore rechtswidrig den Doktortitel führt, so weise das Ministerium ihn darauf hin. „Wenn er dann sein rechtswidriges Verhalten einstellt, ist für uns die Sache erledigt“, sagt Hoppe. „Wenn das nicht fruchtet, gibt es möglicherweise Untersagungsverfügung, Anordnung der sofortigen Vollziehung, Androhung und gegebenenfalls die Verhängung von Zwangsgeld, eine Strafanzeige, gegebenenfalls eine Mitteilung an die Kammer.“
Nun ist also Puller am Zug. Nach Auskunft seines Sprechers hat der Steilmann-Chef sich tatsächlich an das Ministerium gewandt. Eine „abschließende Aussage“ von dort liege aber noch nicht vor. Für die Zwischenzeit teilt sein Sprecher mit: „Herr Puller wird bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts den Titel ‚Dott.’ führen.“