Online-Tagebuch Teil 7 Sag es mit dem Regenbogen: Alles wird gut!

Die Düsseldorfer Kita, die von Tanja Kewes' Kindern besucht wird, ist wegen des Coronavirus derzeit geschlossen.
Düsseldorf Als ich selbst noch ein Kind war, hat man jemandem, der geniest hat (oder sich selbst), noch „Gesundheit“ oder „Gott segne dich!“ gewünscht. Die Zeiten sind schon länger vorbei. Bis vor kurzem sagte der Niesende selbst: „Entschuldigung!“ Der Niesende entschuldigte sich also bei den (leider) Anwesenden. Und jetzt? Führt ein Hatschi zu Hysterie.
Als ich gestern Nachmittag bei uns vor dem Haus auf dem Bürgersteig geniest habe, wechselte eine Joggerin, die noch mindestens zehn Meter entfernt war, die Straßenseite. Ich kam gar nicht dazu, mich bei ihr und dem Rest der Welt zu entschuldigen, geschweige denn mich ihr zu erklären: Entschuldigen Sie bitte, dass ist jedoch nur meine Pollen-Allergie (Birke und Erle).
Ich will mich nun auch wirklich nicht über diese junge Frau lustig machen. Ich selbst hätte, vor allem noch mit den Kindern an der Seite, ähnlich reagiert. Es sind hysterische Zeiten, in denen wir gerade leben müssen.
Ein anderes Beispiel: Am Freitag letzter Woche bekam unser Jüngster plötzlich Fieber. So plötzlich wie Kleinkinder nun einmal leider und nicht selten Fieber bekommen. Man legt sie noch ohne jede Art von Anzeichen oder Ahnung zum Mittags- oder Nachtschläfchen hin, und dann wachen sie eine Stunde später heiß und schreiend auf.
Zu normalen Zeiten hätte ich wahrscheinlich nur mäßig besorgt geschnauft, und mich gefragt, was hat er nur? Halsschmerzen, Mittelohrentzündung, Bronchitis, oder nur so ein Drei-Tages-Virus?
Doch dieser hysterischen Tage? Dieser Tage, in denen unser Ältester schon fehlerfrei „Virus“ schreiben kann, überlief mich ein kalter Schauer. „Oh, nein, oh, nein“, dachte ich, „der Kleine wird sich jawohl nicht dieses sch… Coronavirus irgendwo und irgendwie geholt haben! Aaah, wir anderen haben doch null Symptome. Und Kinder sollen es doch eigentlich auch nicht schlimm kriegen. Und kann das jetzt noch sein? Wir sind doch schon seit über einer Woche unter uns zuhause.“
„Rückruf, sofort!“, schrieb ich meinem Mann in einer WhatsApp-Nachricht und einer SMS. Als er darauf in fünf Minuten nicht reagierte, rief ich ihn an. Als er nicht ranging, wurde ich schon richtig sauer. „Wo steckt er bloß? Der Kleinste hat Fieber und er plant Häuser!“
Nun, er meldete sich dann kurz danach, und kam auch besorgt-genervt nach Hause. Misstrauisch, ängstlich, ohnmächtig beäugten wir unseren Jüngsten. Hustete er etwa auch? Nein, nur das Fieber stieg so stetig wie seine Stimmung sank. Beim Zubettbringen um halb acht lag es bei 39,5 Grad.
Kurzer Arztbesuch
Wir gaben am Wochenende fiebersenkende Mittel, am Montag entschied ich mich dann mit sehr mulmigem Gefühl, zu unserem Kinderarzt zu gehen. Die Zustände dort („Eintreten nur nach Aufforderung!“) hatte ich ja wenige Tage zuvor aus journalistischer Neugierde erkundet.
Der Ablauf dort war so professionell und schnell wie sonst selten. Wir hatten um zwölf Uhr einen Termin, durften um Punkt zwölf in eines der Behandlungszimmer. Um 12:05 Uhr trat die mit Mundschutz, Haarhaube und Overall bekleidete Kinderärztin ein. Um 12:13 Uhr hatten wir Diagnose und Rezept und standen wieder draußen vor der Tür.
Und ich sage Ihnen: Ich war noch nie so erleichtert über die Diagnose Mittelohrentzündung.
![Seit 2016 Chefreporterin des Handelsblatts und Autorin der Kolumne „Faktor Mensch“. Quelle: Frank Beer für Handelsblatt [M]](/images/tanja-kewes/25650246/2-format2012.jpg)
Seit 2016 Chefreporterin des Handelsblatts und Autorin der Kolumne „Faktor Mensch“.
Normalerweise schießt uns so eine Diagnose aus unserem wohlgeplanten Alltag mit Vollzeit und drei kleinen Kindern heraus. Mein Mann und ich spielen dann Schnick-Schnack-Schnuck, wer zuhause bleibt und seine Arbeit in der Mittagspause und am Abend und in der Nacht erledigen muss, und wer normal seiner Erwerbsarbeit nachgehen darf.
Also, ich sage Ihnen: Wir leben in hysterischen Zeiten. In gewissem Maße ist das natürlich auch gewollt und notwendig. Schließlich ist dieses Coronavirus gefährlich – vor allem wohl für Alte und Schwache. Sich aus diesem Grund solidarisch zu verhalten, und sich lieber einmal zu viel die Hände zu waschen oder die Straßenseite zu wechseln, ist sicher richtig.
Das sehen im Übrigen die meisten Deutschen so. Laut dem Deutschland-Trend extra der ARD sind die Deutschen überwiegend zufrieden mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung. Wir halten es also für richtig, uns die nächsten zwei Wochen zu isolieren, um die Ausbreitung dieses Virus zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen.
Doch wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht über- oder durchdrehen. Wir bleiben jetzt bitte alle brav die nächsten zwei Wochen zu Hause und haben zu so wenig Menschen Kontakt wie es eben nur geht. Stichwort: Kontakt- oder Ausgangssperre.
Keine Dauerlösung
Doch dann sollten wir die Lage noch einmal kritisch neu bewerten. Denn das Land und das öffentliche Leben auf Dauer zu schließen, kann auch keine Lösung sein beziehungsweise können wir uns in vielerlei Bezügen nicht leisten.
Finanziell: Ich glaube nicht an die unendlichen Geldreserven der Bundesrepublik Deutschland. Zumal wir nicht allein auf der Welt sind. Wir hängen durch Globalisierung, die Europäische Union und den Euro an vielen anderen Staaten.
Die martialischen Worte unseres Bundesfinanzministers („Bazooka“) von der SPD machen mich zudem eher misstrauischer als vertrauensseliger. Oder wie warnt gerade der Präsident des Ifo-Instituts Clemens Fuest: „Es ist eine Krise, gegen die man nicht wirklich anfinanzieren kann.“
Gesellschaftlich: Es droht der Ausbruch der häuslichen Gewalt. Das Bundesfamilienministerium verbreitet deshalb schon über die sozialen Medien die einschlägigen Servicenummern und befiehlt: „Abspeichern! Weitersagen! Teilen!“
Politisch: Das Land wird derzeit von Virologen und Technokraten geführt. Das mag in einer Notsituation richtig sein. Mittel- und langfristig brauchen wir aber politische Entscheidungen.
Es gibt schließlich Zielkonflikte – etwa den zwischen der Gesundheit jedes Einzelnen und dem des Wohlstandsniveau der Gesellschaft insgesamt. Der Finanzmanager Alexander Dibelius, sicherlich kein beliebter Zeitgenosse, aber ein kühler und schlauer Kopf, spricht bereits von einer „teuflischen Spirale“.
Tja, und was heißt das für uns in unserem wahnsinnig anstrengenden Kleinklein zuhause. Im Homeoffice zu fünft mit drei kleinen Kindern, Schulaufgaben und Mittelohrentzündung? Nun, wir sollten unsere Hysterie drosseln, beim Niesen wie beim Fiebermessen.
Oder kindlich konkret gesagt: Wir malen Regenbögen bunt aus und hängen sie in unsere Fenster und verkünden und hoffen: „Alles wird gut!“
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