Die EU-Länder müssten zumindest ihre Stimme erheben, damit der Konflikt zwischen den Großmächten nicht eskaliere. China und den USA überziehen sich mit Wirtschaftssanktionen und bringen zugleich Militäreinheiten in Stellung, um ihre Einflussgebiete vor allem im Pazifik abzustecken.
Durch gegenseitige Sanktionen würden die Wirtschaftsräumen entkoppelt, was dann auch für deutsche Unternehmen de facto gelten würde. „Das wäre ein Extremfall“, sagte Russwurm. Damit rechne der BDI nicht, da eine solche Entwicklung nur Verlierer produzieren würde. „Wir müssen und werden das verhindern.“
Um in dem Konflikt nicht zum Opfer zu werden, verlangt der BDI-Präsident ein stärkere Rolle Brüssels. „Europa muss eine eigenständige, starke Position entwickeln und kann dann gemeinsam mit anderen liberalen Partnern Einfluss auf die Weiterentwicklung der Weltordnung nehmen“, sagte Russwurm. Er sehe nicht, dass die europäische Politik Chinas Präsidenten Xi Jinping derzeit von seinem Kurs abbringen könne. Das gelte auch für die US-Regierung.
Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Herr Russwurm, der Konflikt zwischen den USA und China verschärft sich zusehends. Welche Folgen erwarten Sie für die deutsche und europäische Industrie?
Europa und darin Deutschland sollte eine aktivere Rolle spielen. Auf diese große geopolitische Entwicklung haben wir als Europäer bislang nur wenig Einfluss. Noch fällt uns die Position des Beobachters zu. Aber unser Absatzmarkt ist auch für China wichtig. Dass es zu einem echten Decoupling kommt, halte ich deshalb für unwahrscheinlich. Weder die USA und Europa noch China können daran ein Interesse haben.
Die EU ist einer der größten Wirtschaftsblöcke der Welt. Da müssten wir doch eine aktivere Rolle spielen können, um in diesem Konflikt der Weltmächte gehört zu werden.
Wir Europäer können zumindest unsere Stimme dafür erheben, dass der Handelskonflikt nicht weiter eskaliert. Es ist wünschenswert, dass alle wieder nach den gleichen Regeln spielen. Dafür wäre die Neukonzeption der WTO ein entscheidender Schritt. Wir als Repräsentanten der Wirtschaft müssen alle möglichen Folgen des Konfliktes im Blick haben.
Da reichen die Befürchtungen bis zu Szenarien, in denen Unternehmen Geschäfte verboten werden könnten.
Wenn es zu einem wortwörtlichen Decoupling käme, also wenn sich Wirtschaftsräume hart voneinander entkoppelten, dann müssten sich die Unternehmen entscheiden, in welchem Markt sie mitspielen wollen.
Sie meinen, eine Entscheidung, ob ein Unternehmen in China oder den USA aktiv ist…
Wie gesagt, das wäre ein Extremfall. Damit rechnen wir nicht, da eine solche Entwicklung nur Verlierer produzieren würde. Wir müssen und werden das verhindern.
China jedenfalls scheint sich für eine Trennung zu rüsten. Zumindest verlagert das Land seine Lieferketten in das eigene Land und technologisch versucht die Volksrepublik, unabhängig zu werden.
Das stimmt. Tatsache ist aber doch, dass China dreimal so viel in die USA exportiert wie es von dort importiert. China würde bei einer harten Trennung Hunderte von Milliarden an Exporterlösen verlieren. Auf die kann das Land nicht verzichten.
Die Geschichte zeigt aber doch, dass nicht alleine wirtschaftliche Aspekte ausschlaggebend sind. Die Politik entscheidet nach anderen Kriterien.
Die Politik geht nicht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Diese Prämisse gilt auch für China, wo der Machtanspruch der Partei darauf basiert, das Leben von 1,4 Milliarden Menschen Schritt für Schritt zu verbessern. Viele Chinesen haben einen Lebensstandard erreicht, der für frühere Generationen undenkbar war. Diesen Standard wird die Partei nicht riskieren, sondern will und muss kontinuierlichen Fortschritt anstreben.
Eine Entspannung ist nicht erkennbar. Jüngst erst hat China bei Militärübungen den Luftraum von Taiwan verletzt.
China will unabhängig sein, hart und unbeugsam gegen Druck von außen. Peking will aber am Welthandel teilnehmen. Ich jedenfalls habe nicht gehört, China wolle den Export stoppen. Im Gegenteil: China will den Handel mit der Welt ausbauen. Und das ist nie eine Einbahnstraße.
Die USA verfolgt ihrerseits eine Eindämmungspolitik gegenüber China, indem bestimmte Hochtechnologien nicht dorthin verkauft werden dürfen.
Auch die USA wollen keine echte Entkopplung. Ohne die Importe aus China werden die Produkte dort deutlich teurer, woran niemand Interesse haben kann. Es ist ein gutes Zeichen, dass die US-Handelsbeauftragte statt von Decoupling jetzt über Recoupling spricht.
Deutsche Firmen bereiten sich auf ein Decoupling vor
Die Hoffnung auf eine Entspannung unter US-Präsident Joe Biden haben sich indes nicht erfüllt. Er hat den von seinem Vorgänger Donald Trump eingeschlagenen Kurs nicht geändert.
US-Präsident Biden will die Abhängigkeit verringern, um nicht erpressbar zu sein. Dies ist ein Grund, warum Halbleiterfabriken in die USA zurückgeholt werden und das Weiße Haus politisch klare Kante gegenüber Peking zeigt.
Wären deutsche Unternehmen auf eine Verschärfung der Lage vorbereitet?
Viele Unternehmen sind mit kompletten Wertschöpfungsketten und einer eigenen Entwicklung in China präsent. Es gibt eine Reihe von Firmen, die das Szenario gedanklich durchspielen, ihre Unternehmen aufzuteilen. Eine Hälfte würde dann in Fernost und eine andere in der westlichen Hemisphäre agieren. Das sind denkbare und auch umsetzbare Szenarien. Die Eintrittswahrscheinlichkeit halte ich für sehr gering.
Der Konflikt ist hart, aber nicht voll ausgewachsen. Wie können Brüssel und Berlin deeskalierend einwirken?
Ich sehe nicht, dass die europäische Politik Xi Jinping derzeit von seinem Kurs abbringen kann. Das gilt auch für die US-Regierung. Europa muss eine eigenständige, starke Position entwickeln und kann dann gemeinsam mit anderen liberalen Partnern Einfluss auf die Weiterentwicklung der Weltordnung nehmen.
Ist der Ansatz „Wandel durch Handel“ mit Blick auf China gescheitert?
Am Anfang mag das in Teilen funktioniert haben, aber wir blicken heute auf ein komplett anderes China. Die Idee, dass sich Länder durch die Einbindung in unsere Handelskreisläufe unserem Gesellschaftsmodell anpassen, hat sich nicht bewiesen. Wandel durch Handel ist kein Paradigma, das immer und überall funktioniert. Das heißt nicht, dass man es nicht versuchen sollte. Vielfach hat der Ansatz auch positive Wirkungen entfaltet. Aber das ist keine Garantie – schon gar nicht für China.
Hat Europa überhaupt das wirtschaftliche Gewicht, um China zu beeinflussen?
Europa könnte das Gewicht haben. Es braucht dafür einen gemeinsamen Willen – und den haben wir nicht in ausreichendem Maß. Außenpolitisch spricht jedes Land für sich. Und es geht tiefer: Während Unternehmen in China und den USA in großen Binnenmärkten handeln können, stößt die Einheitlichkeit hier in Europa immer noch zu oft an nationale Grenzen. Der einheitliche Binnenmarkt mag in der Farbe der Blinker und der eingeprägten Produktionsnummern gut funktionieren. Aber wenn ich an die Finanz- oder Digitalmärkte denke, ist der Bedarf noch groß.
Wie ließe sich das ausnutzen?
Wir müssen eine ehrliche Debatte über europäische Champions zulassen. Sie können nicht nur in der Industrie, sondern auch im Finanzsektor sinnvoll sein. Die EU-Kommission sagt aber, der Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts sei wichtiger, weshalb es keine Finanzunternehmen mit dominierender Stellung geben dürfe.
Dem Schutz der Verbraucher hat sich die EU nun mal verschrieben.
Dann muss die EU auch mit Weitsicht im Sinne der Verbraucher entscheiden. Der Grundgedanke des Wettbewerbsrechts ist es, den Verbrauchern Wahlmöglichkeiten zu bieten – und dazu sollte es auch europäische Angebote geben. Wenn man keine Champions fördert, ist die Alternative, dass es bald einfach keine europäischen Anbieter mehr gibt.
Die Untersagung des Zusammenschlusses auf dem Markt der Zughersteller lieferte ein gutes Beispiel. Brüssel hatte argumentiert, bis Anbieter aus dem außereuropäischen Ausland nach Europa kämen, würde es noch lange dauern. Mittlerweile ist der chinesische Konzern CRRC aber schon da. Die deutsche Politik sollte das Thema auf der europäischen Agenda nach oben bringen.
Herr Russwurm, vielen Dank für das Interview.
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