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Star-Verteidiger Hanns W. Feigen klagt an „Es gibt eine neue, erschreckende Lust am Strafrecht“

Er hat Wendelin Wiedeking und Jürgen Fitschen verteidigt, ebenso Klaus Zumwinkel: Im Interview spricht Star-Anwalt Hanns W. Feigen über die Angst von Topmanagern vor dem Knast und Klassenkampf mit den Mitteln der Strafjustiz.
06.07.2016 - 06:50 Uhr Kommentieren
Der ehemalige Präsident des FC Bayern hatte auch die Dienste des Star-Verteidigers in Anspruch genommen. Quelle: AFP
Hanns W. Feigen (links) und Uli Hoeneß

Der ehemalige Präsident des FC Bayern hatte auch die Dienste des Star-Verteidigers in Anspruch genommen.

(Foto: AFP)

Wer Hanns Feigen in seiner Frankfurter Kanzlei anruft, hat Ärger. Meistens ziemlich großen Ärger mit der Justiz. Der Strafverteidiger ist ein Spezialist für Wirtschaftsgrößen aller Art geworden – und damit selbst zu einer Art Star: Feigen hat den einstigen Postchef Klaus Zumwinkel ebenso verteidigt wie Deutsche-Bank-Vorstand Jürgen Fitschen oder Porsche-Lenker Wendelin Wiedeking. Oft endeten die spektakulären Prozesse mit Freisprüchen oder eher milden Strafen – wenn man mal von Uli Hoeneß absieht, den auch Feigen nicht vorm Gefängnis bewahren konnte. Und immer mehr Wirtschaftsgrößen müssen sich vor Gericht verantworten. Da habe sich atmosphärisch einiges verändert, sagt der 67-Jährige. Deshalb will er jetzt auch mal reden. Nicht über seine Mandanten, aber über Grundsätzliches.

Herr Feigen, warum sind Sie Rechtsanwalt geworden?
Nach einem medizinischen Grundlagenstudium war ich für kurze Zeit als freier Mitarbeiter einer größeren Tageszeitung tätig, deren Chefredakteur – in Oberhausen geboren wie ich – mir ein Jurastudium ans Herz legte, um anschließend zur Zeitung zurückzukehren. Dieses Studium hat mich schnell für das Strafrecht begeistert. Als Assistent an einem Bonner Lehrstuhl erreichte mich dann das Angebot von Hans Dahs, dem Altmeister der Strafverteidigung, in seinem Bereich als Rechtsanwalt zu arbeiten.

Anfangs haben Sie auch betrunkene Autofahrer, Betrüger und Mörder verteidigt…
… was eine gute Schule war. Damals gab es kaum wirtschaftsstrafrechtliche Fälle. Im Übrigen kann man als Anfänger nur schwer im Wirtschaftsstrafrecht tätig sein, es fehlt die Erfahrung.

Waren Vorstände vor 30 Jahren ehrlicher?
Sicher nicht. Sie sind auch heute noch ehrlich. Aber damals gab es höchst selten spektakuläre Strafverfahren gegen Manager. Es war nicht an der Tagesordnung, mal eben eine Vorstandsetage zu durchsuchen.

Solche Razzien sind mittlerweile fast schon Alltag. Wann begann die Veränderung?
Im Januar 1994 begann mit der Durchsuchung der Dresdner Bank eine große Zahl von Ermittlungsverfahren gegen Bankmanager – durchweg mit dem Vorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch anonymisierte Geldtransfers ins Ausland. Viele Vorstandsetagen wurden damals durchsucht, und jedwede Hemmschwelle war beseitigt. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 hat sich der Ton zwischen vielen Staatanwälten und Verteidigern enorm verschlechtert; man kann fast sagen, vielerorts ist das Klima in Wirtschaftsstrafverfahren eisiger geworden.

Was hat ausgerechnet die Finanzkrise verändert?
Offenbar sind viele Staatsanwälte der Auffassung, dass man Managern und – im Hinblick auf die Finanzkrise – manchen Bankern nicht trauen kann.

… was ja nicht ganz von der Hand zu weisen war…
… aber als Generalverdacht natürlich völlig verfehlt ist.

Ist die wachsende Zahl von Wirtschafts-Prozessen also eine Art Klassenkampf mit anderen Mitteln?
Zumindest gibt es eine neue, bisweilen erschreckende Lust am Strafrecht, die sich im Übrigen auch an der zunehmenden Zahl von Strafanzeigen ablesen lässt, die im Bereich von Wirtschaftsstrafsachen eingehen.

Einer Ihrer Mandanten war der ehemalige Postchef Klaus Zumwinkel, der am Ende wegen Steuerhinterziehung zu einer eher milden Bewährungsstrafe verurteilt wurde. War das Urteil Ihre Eintrittskarte in andere Vorstände?
Es gibt keine Eintrittskarten. Sie können Top-Manager nur verteidigen, wenn es Ihnen gelingt, mit ihnen auf Augenhöhe zu agieren. Das setzt Vertrauen voraus. Kompetenz schafft dieses Vertrauen.

Das heißt aber nicht, dass Sie Ihre Mandanten immer sympathisch finden müssen…
Nein. Oft gibt es Respekt, nicht selten auch Sympathie.

… oder gar mit ihnen befreundet sind.
Es gibt wenige Ausnahmen. In der Regel ist man froh, wenn der Strafverteidiger wieder aus dem Haus ist. Beim Firmenjubiläum hält der Strafverteidiger die Festrede eher nicht. Er bleibt besser zu Hause, um nicht die Frage aufzuwerfen: Was tut der denn hier?

Wann lehnen Sie einen potentiellen Mandanten ab?
Überspitzt gesagt: Ich muss von Frankfurt aus nicht unbedingt jemanden verteidigen, der in Rosenheim das Personal schwarz beschäftigt. Im Übrigen: Man muss seine Zeit gut einteilen. Großverfahren, insbesondere lang andauernde Hauptverhandlungen, sind äußerst zeitintensiv. Auch deshalb gilt: Die besten Prozesse sind die, die man gar nicht führen muss, weil vorher eine Verfahrenseinstellung erreicht werden konnte, notfalls ein Strafbefehl zur Vermeidung der öffentlichen Hauptverhandlung, die den Mandanten wie auch den Verteidiger über Monate – oft viel zu lange – in den Gerichtssaal zwingt.

Gibt‘s vor Gericht einen Promi-Malus?
Es gibt weder einen Malus noch einen Bonus. Aber: Gerade in publikumswirksamen Verfahren befeuern Pressemeldungen – in Süddeutschland nicht selten auch von Staatsanwaltschaften – die Erwartungen der Öffentlichkeit. Kommt es dann zu Recht zum Freispruch, macht sich bisweilen Verdruss breit: „Die Großen lässt man wieder laufen“.

Ist es nicht so, dass die Konzerne mit all ihrem Geld, ihren internationalen Großkanzleien, PR-Beratern, Profis wie Ihnen und jeder Menge Gutachten immer mächtiger sind als die Ankläger, auch wenn es heute allerorten Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität gibt?
So ähnlich argumentierte jüngst auch der mittlerweile pensionierte Stuttgarter Oberstaatsanwalt Hans Richter.

Deshalb muss es ja nicht falsch sein.
Aber er zog als Beleg für eine solche These die Verfahren Deutsche Bank und Porsche heran.

In beiden Fällen waren Sie Verteidiger…
… und daher weiß ich, dass Herr Richter irrt. Denn in beiden Verfahren saß kein einziger Vertreter einer Großkanzlei auf der Verteidigerbank. Im Porsche-Verfahren war es im Übrigen so, dass nicht die Verteidigung, vielmehr aber die Staatsanwaltschaft etliche Gutachten in Auftrag gegeben hatte, die aber im Prozess selbst eher für als gegen die Verteidigung stritten.

Gutachten sind auch für Konzernspitzen ein beliebtes Mittel der Absicherung geworden.
Dem stimme ich zu. Aber auch hier ist Augenmaß gefragt: Die Zahl der Gutachten sagt am Ende noch nichts über die Qualität der Entscheidung, die letztlich der Vorstand zu treffen hat. Dort liegt die Verantwortung – und nicht bei den beigezogenen Anwälten. Dies gilt nicht für Fälle, die rechtlich schwierig sind. Dann ist guter Rat teuer, aber auch vonnöten.

Es wächst also auch die Angst, überhaupt noch Entscheidungen zu treffen?
Es hat bisweilen den Anschein. Und es ist tatsächlich so, dass von vielen Seiten Risiken drohen: Von den Strafanzeigen einzelner Aktionäre bis hin zur Aufsichtsbehörde. Die großen Strafverfahren der Vergangenheit im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts verdeutlichen solche Risiken. Wenn sich ein derartiges Risiko realisiert und der Staatsanwalt kommt, wird das Tagesgeschäft nicht leichter.

Sie können jedenfalls kaum bestreiten, dass große Unternehmen sehr viel Geld und Personal für ihre Verteidigung einsetzen.
Nein, aber es steht ja nicht selten viel auf dem Spiel. Für Unternehmen und insbesondere auch für die Beschuldigten.

Andererseits lassen sich die Ankläger heute des Öfteren schon die Vorermittlungen von den Konzernen abnehmen. Ist das nicht ein Indiz dafür, dass das System krank ist?
Diesen Trend gab es fraglos. Die massive Skepsis von Strafverteidigern wird inzwischen auch von vielen Staatsanwaltschaften geteilt – auch von der in München.

Von der Siemens-Korruptionsaffäre 2006 bis aktuell zum Fall VW gibt es diese Fälle doch.
Vielfach ist dann die US-Justiz mit im Spiel, die entsprechende Forderungen aufstellt. Wie gesagt: In Deutschland wächst die Skepsis. Interne Untersuchungen im großen Stil werden bisweilen als Gelddruckmaschinen für die beteiligten Kanzleien bezeichnet. Sie sind ein gefährliches Terrain für die Mitarbeiter, die sich da vernehmen lassen oder vernehmen lassen müssen. Strafprozessuale Rechte stehen bisweilen hinten an, weshalb Ermittlungsbehörden eigene Ermittlungen vorziehen.

Viele Ihrer eigenen Mandanten kamen am Ende vor Gericht glimpflich davon. Weil Sie so ein toller Hecht sind... oder weil das Gesetz sich doch schwer tut, etwa mit der Beweisführung von Untreue?
Der tolle Hecht hilft nicht. Sie können einen Sachverhalt nicht besser machen, als er tatsächlich ist. Der Verteidiger muss die Schwachstellen der Anklage bloßlegen, voreilige Thesen der Staatsanwaltschaft in Zweifel ziehen und dartun, dass ein Sachverhalt alles andere als so eindeutig ist, wie die Staatsanwaltschaft ihn sieht. Denn am Ende des Tages kann ein Gericht nur verurteilen, wenn keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen. Bis zum rechtskräftigen Schuldspruch gilt – und das vergessen viele – die Unschuldsvermutung.

Darf der Staat CDs mit Daten vermeintlicher Steuerbetrüger kaufen?
Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich die Auffassung vertreten, dass dies zulässig sei.

Und was meinen Sie?
Man muss sich dieser Auffassung nun wirklich nicht anschließen. Ich halte es für problematisch, wenn der Rechtsstaat mit Straftätern paktiert und dabei Straftaten – auch finanziell – honoriert. Denn natürlich beruhen die Daten auf der CD auf Straftaten desjenigen, der sie illegal erhoben hat.

Uli Hoeneß, Thomas Middelhoff – die ersten Prominenten mussten bereits ins Gefängnis. Was macht die Haft mit jemandem, der von so weit oben kommt?
Für jeden ist der Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt ein Fiasko, weil dort schlicht andere Gesetze gelten. Das ist eine fremde Welt, in der auch körperliche Belästigung und Gewalt regieren können.

Warum soll ein Jurastudent heute noch in den schlechtbezahlten Staatsdienst gehen statt in eine große Kanzlei?
Berechtigte Frage. Aber: Immer mehr junge Juristen – auch solche mit vorzüglichem Examen – fragen sich heute: Will ich das eigentlich: Bis tief in die Nacht arbeiten, um nach einigen Jahren vielleicht hochdotierter Partner zu sein? Oder soll ich es lieber etwas ruhiger angehen und so mehr Zeit mit der Familie verbringen.

Klingt, als würden sich viele wegen der Work-Life-Balance für den Staatsdienst entscheiden. Um Ideale geht’s bei der juristischen Berufswahl gar nicht mehr?
Sie täuschen sich. Vor einiger Zeit hatten wir hier in unserer Kanzlei eine junge, hochqualifizierte Referendarin, die nach dem Examen Richterin geworden ist. Ihr ging es gerade darum, Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das ist sicher kein Einzelfall.

Sie sind jetzt 67. Haben Sie sich selbst eine Altersgrenze gesetzt?
Nein, auch wenn ich sicher nicht mit 80 Jahren noch in der Kanzlei sitzen möchte. Es gilt viele Reisen nachzuholen, für die man früher wenig oder nie Zeit hatte.

Herr Feigen, wir danken Ihnen für das Interview.

Wirtschaftanwälte reiben sich die Hände

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