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Vordenkerin 2021 Kenbi-Mitgründerin Katrin Alberding: „Wir zeigen der Gesundheitskrise die Stirn“

Katrin Alberding will den Pflegeberuf revolutionieren. Kenbi versorgt 1000 Menschen an über 21 Standorten in Deutschland – und hat sich in der Coronakrise behauptet.
18.09.2021 - 17:00 Uhr Kommentieren
Die Digitalplattform Kenbi plant und dokumentiert den Arbeitsalltag von Pflegern.
Gründerin Katrin Alberding

Die Digitalplattform Kenbi plant und dokumentiert den Arbeitsalltag von Pflegern.

Die Coronakrise erwischte Katrin Alberding kalt – in der Aufbauphase ihres Start-ups. Kenbi heißt das Unternehmen mit Hauptsitz in Berlin, das sich die Digitalisierung der ambulanten Pflege zum Ziel gesetzt hat. Und das bundesweit. Ein höchst ambitioniertes Ziel, gilt der Markt für diese Dienstleistungen doch als bürokratisches Monster.

In der Pandemie war ein zusätzlicher Kraftakt gefordert: „Entscheidungen, die wir erfolgreich zum Schutz unserer Teams und Patienten getroffen haben, mussten wir voller Ungewissheit und vor allem schnell treffen“, sagt Alberding. „Oft schneller, als die Regierung uns unterstützen konnte.“

Alberding und ihr Co-Geschäftsführer Clemens Raemy ließen sich nicht bremsen – im Gegenteil: „Wir haben das Chaos gemeistert und konnten darin auch noch stark wachsen“, sagt sie. Ein Energieschub auch für das Selbstbewusstsein: „Es gibt uns viel Sicherheit.“

Dezentrale Organisation – das ist ein Erfolgsfaktor von Kenbi: Die lokalen Teams organisieren sich selbst, die Pflegekräfte übernehmen so mehr Verantwortung. Nicht nur das soll die Zufriedenheit erhöhen. Zudem unterstützt die lokalen Teams eine digitale Plattform, was den Aufwand für administrative Arbeiten massiv reduziert. Um 20 Prozent wurde dieser laut Kenbi gedrückt. So soll das in der Pflege häufig vernachlässigte Wohl der Kräfte vor Ort in den Fokus rücken: „Ein glückliches Team ist der Grundstein einer guten Pflege und zufriedener Kunden“, heißt es bei Kenbi.

Zugleich hoffen die Gründer auch, auf diese Weise langfristig mehr Nachwuchs in ihre Branche locken zu können – es wäre ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen den sich immer weiter verschlimmernden Pflegenotstand. Investoren glauben an das Vorhaben – sieben Millionen Euro konnte das Gründerteam schon einsammeln.

Alberding übernimmt Verantwortung – nicht nur als Managerin in ihrem Unternehmen. Es sei ein ungewohnter Schritt für sie, von ihrer Rolle im Hintergrund nach vorne auf die Bühne zu treten, sagt sie – „aber etwas, das ich gerne in Angriff nehmen und womit ich Komfort gewinnen möchte, um eine viel weiterreichende Veränderung zu schaffen“. Denn es geht ihr auch um gesamtgesellschaftlichen Wandel. Toleranz, Respekt, Gleichberechtigung – das sind Themen, für die sich Alberding einsetzt. Und sie will es künftig noch stärker tun.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Wissen Sie noch, was Sie werden wollten, als Sie klein waren?
Noch bis ins Teenageralter wollte ich immer Tierärztin werden. Damals habe ich sogar mehrere Ferien mit freiwilligen Praktika in einer lokalen Tierklinik verbracht – ich fand diesen Beruf immer sehr spannend. Mit 16 hat sich dann aber noch einmal eine ganz neue Welt für mich eröffnet, als ich für ein Jahr in den Schüleraustausch in die USA zog.

Danach ging es sehr international für mich weiter und ich entschied mich am Ende für ein Joint-Master-Studium in Management und internationalen Beziehungen in Schottland. Danach bin ich immer im global geprägten BWL-Zweig geblieben, entweder in Verbindung mit dem Gesundheitswesen oder mit Start-ups. Und mittlerweile habe ich (endlich) beides miteinander vereinen können.

Woran messen Sie Ihren Erfolg? Spielt Geld eine Rolle oder gibt es andere Faktoren?
Als wir Kenbi gründeten, wollten wir eine Firma aufbauen, in der wir selbst gerne arbeiten möchten. Was uns antreibt, ist unsere Vision, die Gesundheitsversorgung zu Hause langfristig zum Positiven zu verändern und zu sichern – nicht nur für Patienten, sondern vor allem auch für Mitarbeiter, ohne die das System nicht funktionieren kann.

Deshalb messen wir Erfolg nicht nur an den üblichen KPIs (Umsatz, Patientenzahlen, etc.), sondern auch am Wohlbefinden unserer Mitarbeiter, am Wachstum (also Zuspruch für unser Modell), an der Qualität der Versorgung und der liberierten Zeit, die mit Patienten verbracht werden kann – und daran, wie viel Entlastung wir durch Digitalisierung erreichen.

Spielt Geld eine Rolle? Natürlich. Zum einen ist die Erwirtschaftung von Profit ein hilfreicher Indikator, der uns zeigt, ob wir Mehrwert im System geschaffen haben – zum Beispiel in Form von einem besseren Angebot und einer effizienteren Versorgung. Zum anderen ist Geld aber einfach auch ein Mittel zum Zweck, um wichtige Erfolgsfaktoren weiter skalieren zu können.

Gibt es Charakterzüge, die für eine Führungsperson unabdingbar sind?
Manche Charakterzüge – oder auch erlernte Verhaltensweisen – sind sicher immer relevant. Zum Beispiel Durchhaltevermögen und der Wille zur Selbstreflexion, vor allem im Start-up-Bereich. Bei anderen Eigenschaften glaube ich, dass es auch sehr darauf ankommt, an welche Führungsphilosophie man glaubt und auch in welchem Umfeld man diese anwenden möchte.

Bei Kenbi setzen wir alles auf die Stärkung unserer Mitarbeiter und möchten Möglichkeiten zur effektiven Selbstorganisation schaffen. Um das zu erreichen, braucht es sicherlich Flexibilität im Denken, Teamfähigkeit und Kommunikationsbereitschaft in alle Richtungen. Wichtig ist auch etwas Organisationstalent, denn entgegen der häufigen Annahme ist Selbstmanagement alles andere als Anarchie und braucht vor allem Klarheit und Transparenz, damit alle zu den wichtigen Entscheidungen beitragen können.

Bitte ergänzen Sie den Satz: In Konfliktsituationen bin ich…?
…sehr involviert. Ich bin sicher nicht der Typ, der Konflikte stehen lässt oder diesen aus dem Weg geht, denn das löst normalerweise nichts. Für mich sind Konfliktsituationen temporäre Zeitspannen, in denen zwei Parteien den gemeinsamen Nenner noch nicht gefunden haben. Diesen gilt es dann zu finden, weshalb ich grundsätzlich den aktiven Ansatz bevorzuge, um lösungsorientiert daran zu gehen.

Das kann sicher auch einmal emotional sein – das finde ich sogar wichtig, denn ganz ohne ist es mir zu nah an „egal“, und das sollte es eigentlich nie sein, wenn man an einem produktiven Ausgang interessiert ist.

Der Pflegemarkt bietet Raum für digitale Effizienzen

Was waren Ihre wichtigsten drei (Arbeits-)Ergebnisse der letzten drei Jahre?

Vor weniger als zwei Jahren bestand Kenbi noch aus drei Gründern (Clemens Raemy, Bruno Pires und ich) und einer Idee. Heute stehen dahinter schon über 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gemeinsam mehr als 1000 Kundinnen und Kunden in drei Bundesländern über 21 Standorte versorgen. Hinzu kommen unser Tech-Zentrum in Porto und unsere Zentrale in Berlin – beide bestückt mit fantastischen Teams von nun über 30 Talenten, die alles dransetzen, den Pflegekräften den Rücken frei zu halten.

So viele engagierte Menschen bewegen zu können, sich einem ganz neuen Konzept anzuschließen, um gemeinsam der Gesundheitskrise die Stirn zu zeigen, ist ein ermutigendes (Zwischen-)Ergebnis, das uns sehr dankbar und glücklich macht.

Ein weiteres Arbeitsergebnis für uns ist der erfolgreiche Umgang mit Corona in einem sehr exponierten Arbeitsumfeld. Da wir erst seit November 2019 existieren, ist Kenbi ein echtes Corona-Baby und wir mussten im Schnellverfahren erwachsen werden.

Unser konkretes Ergebnis: nur zwei milde Corona-Fälle unter Mitarbeitern, die wir sofort komplett eindämmen konnten, über nunmehr knapp anderthalb Jahre hinweg, bei weit über 10.000 Patientenbesuchen pro Monat. Das Ergebnis macht uns stolz, denn im Gegensatz zu jedem anderen Arbeitsbereich können wir im Gesundheitswesen nicht einfach mal die Pforten zulassen und auf Pause drücken, um zu überlegen, was wir nun als nächstes tun.

Das dritte wichtige Arbeitsergebnis bezieht sich auf die Digitalisierung in der Versorgung. Wir merken immer wieder, dass sich wenige konkret etwas darunter vorstellen können – die meisten denken an sehr eingeschränkte Nischen-Produkte wie eine digitale Pflegeplanung oder -dokumentation.

Der eingestaubte, komplett überbürokratisierte Pflegemarkt bietet aber viel mehr Raum für digitale Effizienzen über den gesamten Versorgungsprozess hinaus, sodass wir nun eine modulare Tech-Plattform haben, welche die Pfleger und Patienten von Anfang an digital begleitet: von der Rekrutierung, über Personalmanagement, E-Learning, Pflegeplanung, Dokumentation, Kommunikation (unter Pflegern als auch mit Angehörigen über die Familien App) bis hin zur Abrechnung haben wir bereits digital Hand angelegt und den Pflegealltag erleichtert sowie auch das Angebot verbessern können. Der Anfang ist merkbar gemacht, aber auch hier haben wir noch viel mehr vor.

In den nächsten drei Jahren: Was wollen Sie lernen, das Sie heute noch nicht können?
Unendlich viel – genau das ist gerade das Spannende am Unternehmertum. Wenn ich mir eine Sache aussuchen müsste, dann wäre es „lauter zu werden“ – sei es über Social Media, relevante Gremien, die Presse. Warum ist das wichtig? Wir verbringen im Moment all unsere Zeit damit, die Fäden im Hintergrund zu ziehen, um ein System aufzubauen, das ganz anders funktioniert als das traditionelle. Alles aber innerhalb sehr verstaubter Strukturen.

Dabei sammeln wir viele Erkenntnisse aus der Praxis, die der Politik, den Kassen und der Gesellschaft sicherlich nützlich sein könnten, um aus diesen Strukturen schneller herauszufinden. Diese Verbindung nach außen gilt es nun herzustellen – und aktiv daran mitzuwirken, dass erlangtes Wissen nicht nur bei uns bleibt, sondern konkrete Lösungsansätze aus der Praxis mit den Entscheidern verbunden werden.

Integration, Diversität und Gleichberechtigung sollten nicht nur auf der Webseite stehen

Was ist Ihr langfristiges Ziel beziehungsweise Ihre Vision?
Neben der Vision, die wir für Kenbi haben, ist meine ganz persönliche Vision, ein positives „Es geht, ihr könnt das und es braucht euch“-Beispiel für Frauen in der Wirtschaft und als Gründerin zu sein. Seit meinen frühen Zwanzigern habe ich meine ganze Karriere in sehr männerdominierten Umgebungen verbracht und dort beides kennengelernt: Teams und Kollegen, in denen gegenseitiger Respekt und Gleichberechtigung keine Frage waren; aber leider auch viele Teams und Individuen, für die Diskriminierung und subtile als auch direkte Übergriffe auf der Tagesordnung standen.

Es ist kein Zufall, dass ich mich nun für einen Bereich entschieden habe, in dem vor allem Frauen die Haupttreiber des Geschäftes sind und ohne die einfach nichts laufen würde. In der Pflege sind Frauen in der überwiegenden Mehrzahl (bei Kenbi knapp 90 Prozent), viele davon Mütter.

Mir ist es persönlich sehr wichtig, eine Firma aufzubauen, in der Integration, Diversität und Gleichberechtigung nicht nur auf der glänzenden Webseite stehen, sondern wirklich gelebt werden. Und damit die wüstenähnliche Lücke an weiblichen Vorreitern in der Start-up-Szene und der Wirtschaft etwas reduzieren zu können.

Wenn man sich bei Ihren Freunden erkundigen würde: Welche alternativen Karriereoptionen würden die für Sie vorschlagen?
Meine Freunde würden wahrscheinlich sagen, dass ich heute genau das mache, was ich vor 15 Jahren schon als „alternative Karriereoption“ hätte tun sollen. Aus dem Unternehmertum wird man mich wohl (ob in aktiven oder passiven Rollen) nicht mehr rausbekommen, aber ich könnte mir sicher vorstellen, das Thema Aufbau in der Zukunft auch auf andere Themen und Bereiche auszuweiten.

Vielleicht wird es dann doch irgendwann mal etwas mit Tieren werden – obwohl wir auch das gerade gut bei Kenbi unterbringen können, denn auch unser Therapie-Tiere-Team wächst weiterhin ordentlich mit.

Frau Alberding, vielen Dank für das Interview.

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