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Vordenker

Vordenkerin Saskia Bruysten: „Ich möchte den Kapitalismus zum Besseren reformieren“

Saskia Bruysten ist Teil des Vordenker-Jahrgangs 2020. Wie die Sozial-Unternehmerin der Wirtschaft helfen will, eine positive Wirkung für die Welt zu haben.
01.09.2020 - 11:14 Uhr Kommentieren
Gründete gemeinsam mit Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus und Sophie Eisenmann das Sozialunternehmen Yunus Social Business. Quelle: Yunus Social Business Berlin
Saskia Bruysten

Gründete gemeinsam mit Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus und Sophie Eisenmann das Sozialunternehmen Yunus Social Business.

(Foto: Yunus Social Business Berlin)

Bonn Mit ihrem Unternehmen Yunus Social Business (YSB) unterstützt die ehemalige Unternehmensberaterin Saskia Bruysten Sozialunternehmen in den abgelegensten Winkeln dieser Welt. In der Coronakrise hat sie gemeinsam mit dem Weltwirtschaftsforum (WEF) eine Allianz von 50 Wohltätigkeitsorganisationen ins Leben gerufen, die Unternehmen in Entwicklungsländern unter anderem mit 90 Millionen US-Dollar Liquiditätshilfe durch die Krise hilft.

Yunus Social Business gründete die Sozialunternehmerin 2011 gemeinsam mit Sophie Eisenmann und ihrem Idol, dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. YSB finanziert Sozialunternehmen in Schwellenländern und hat bereits über 13 Millionen Menschen, die in Armut leben, geholfen. Die Firma berät darüber hinaus Firmen dabei, ihr Kerngeschäft zu nutzen, um gesellschaftliche Probleme zu lösen.

„Ich möchte meinen Beitrag leisten, um den Kapitalismus zum Besseren zu reformieren“, erzählt Bruysten im Gespräch. Sie ist überzeugt: „In den letzten zehn Jahren haben sich CEOs den Kopf über die Digitalisierung zerbrochen. Die nächste Welle, die über Firmen hereinbricht, ist die der sozialen Disruption. Wer sich als Unternehmen nicht von einem Gesellschaftsverschmutzer hin zu einem Gesellschaftsretter entwickelt, wird bald irrelevant sein.“

Studiert hat Bruysten an der European Business School im Rheingau, später in Argentinien und Amerika sowie an der London School of Economics. Ihr erster Job nach dem Examen führte sie mit 23 Jahren zur Boston Consulting Group, doch nach fünf Jahren hängte sie den Job an den Nagel – um Gutes zu tun.

Gerade wurde Bruysten als Mitglied in die Vordenker-Community aufgenommen, eine Initiative des Handelsblatts und der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG). Im Interview spricht die Gründerin über ihre Vision einer gerechten Welt, über Charaktereigenschaften, die eine Gründerin braucht, und darüber, was Geld für sie bedeutet.

Frau Bruysten, wissen Sie noch, was Sie werden wollten, als Sie klein waren?
Zuerst wollte ich professionell Voltigieren, also Akrobatik auf einem galoppierenden Pferd. Als ich merkte, dass man damit nicht wirklich seinen Lebensunterhalt verdienen kann, war ich erst mal planlos. Dann bin ich in die Beratung gegangen, um mein wirtschaftliches Handwerkszeug zu lernen und mir alle Optionen offen zu halten.

Sie haben Yunus Social Business gegründet: Um was handelt es sich dabei und wofür ist es nützlich?
Ich habe Yunus Social Business vor fast zehn Jahren gemeinsam mit Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus und Sophie Eisenmann gegründet. Wir finanzieren sogenannte Social Businesses in Entwicklungsländern. Das sind Firmen, die das Ziel haben, soziale Probleme wie Armut, Klimawandel oder Unterernährung zu lösen, dabei aber gleichzeitig ein Geschäftsmodell haben. Darüber hinaus beraten wir Konzerne dabei, wie sie ihr Kerngeschäft transformieren können, um einen positiven Beitrag für die Welt leisten zu können.

Welche Erfolge konnten Sie schon verzeichnen?
Seit Gründung haben wir mehr als 60 Social Businesses finanziert, die Gesundheitsversorgung, Bildung, Trinkwasser et cetera an über 13 Millionen arme Menschen geliefert haben und außerdem 70.000 Jobs geschaffen haben. Darüber hinaus haben wir knapp 2000 Social-Business-Gründer beim Aufbau ihrer Start-ups unterstützt. Außerdem haben wir mit einem Dutzend Konzerne wie zum Beispiel Danone oder McCain Social Business Joint-Ventures aufgebaut.

"Die nächste Welle, die über Firmen hereinbricht, ist die der “sozialen Disruption”. Wer sich als Unternehmen nicht von einem “Gesellschaftsverschmutzer” hin zu einem “Gesellschaftsretter” entwickelt, wird bald irrelevant sein." Saskia Bruysten

Was ist das genau?
Das sind Kooperationen, bei denen die Unternehmen gemeinsam mit uns ein neues Sozialprojekt aufbauen, um echte Probleme zu lösen. Als Corona begann, wussten wir, dass Entwicklungsländer noch viel stärker betroffen sein würden, als wir das hier in Deutschland sind. Für unsere Portfoliofirmen konnten wir dann glücklicherweise eine Art privates Kurzarbeitergeld mobilisieren, da in Ländern wie Brasilien oder Uganda kaum Staatshilfen zur Verfügung stehen. So konnte beispielsweise eine Firma, die in Indien mit armen Müllsammlern arbeitet, um Plastik zu recyceln, ihre Mitarbeiter trotz Umsatzeinbrüchen weiter beschäftigen und den Familien jeden Tag eine warme Mahlzeit zur Verfügung stellen.

Basierend darauf haben wir gemeinsam mit dem World Economic Forum die Covid Alliance for Social Entrepreneurs ins Leben gerufen, die 50 führende Organisationen zusammengebracht hat, um Social Entrepreneurs durch die Krise zu helfen. Diese Organisationen haben bereits 90 Millionen Dollar an Coronahilfen an Social Entrepreneurs weltweit ausgezahlt.

Wie definieren Sie ein erfolgreiches Unternehmen? Ist es nur finanzieller Erfolg oder gibt es auch andere Faktoren, die eine Rolle spielen?
Für mich zählt einzig und allein der positive Beitrag, den ein Unternehmen auf die Gesellschaft hat. Löst mein Produkt ein gesellschaftliches Problem? Wie viel von diesem Problem hat es dieses Jahr gelöst? Geld ist nur ein Mittel zum Zweck und nicht ein Zweck an sich. Zum Beispiel haben wir vor Jahren die Firma Impact Water finanziert, die sauberes Trinkwasser zu Schulkindern in Uganda bringen will. Neun Millionen Menschen in Uganda haben kein sauberes Trinkwasser. Die Firma verkauft Wasserreinigungsanlagen an Schulen. Inzwischen erreicht das Unternehmen dort über eine Million Kinder mit Trinkwasser und zahlt seinen Kredit an uns zurück. Impact Water ist sogar nach Nigeria und Kenia expandiert und erreicht nun über 6,4 Millionen Kinder. Das nenne ich Erfolg!

Gibt es Charakterzüge, die für eine Führungsposition unabdingbar sind?
Vision, Verantwortungsbewusstsein, Durchhaltevermögen. Um zu führen, muss man wissen, wo es hingehen soll. Wir sprechen häufig davon, dass wir „Social Fiction“ kreieren müssen (nicht nur Science Fiction). Nur die Welt, die wir uns vorstellen können, können wir auch kreieren. Jetzt ist es an der Zeit, sich die Post-Corona-Welt auszumalen. Bei der Umsetzung darf man allerdings nicht vergessen, dass man trotzdem Schritt für Schritt gehen muss. Wer außerdem Verantwortung übernimmt, nicht nur für sich sondern für andere und die Umwelt, ist für mich eine gute Führungsposition.

Mein großes Vorbild hier ist natürlich Muhammad Yunus, der vor über 40 Jahren begonnen hat, die Mikrofinanzbank Grameen in Bangladesch aufzubauen, die über 9,5 Millionen Frauen Kleinstkredite zur Verfügung stellt. Leider gibt es heutzutage auch viel zu viele Negativbeispiele von Trump bis hin zum Wirecard-Gründer – aber das sind für mich keine guten Führungspersönlichkeiten. Und es braucht Durchhaltevermögen.

Als Unternehmerin weiß ich inzwischen, dass manche Dinge zäh gehen und Veränderungen häufig nicht von heute auf morgen passieren. Als wir vor mehr als zehn Jahren begannen, Social Businesses aufzubauen, war der Begriff noch fremd und viele sagten „Social“ und „Business“, das passt nicht zusammen. Seit diesem Jahr erreichen unsere Social Businesses über zehn Millionen Menschen mit ihren Produkten und Services, die ihnen helfen, der Armut zu entkommen. Das Durchhaltevermögen hat sich also gelohnt.

"Millennials wollen nicht mehr für Konzerne arbeiten oder von ihnen kaufen, wenn sie keine Verantwortung übernehmen." Saskia Bruysten

Und gibt es solche Eigenschaften auch in Bezug auf die Gründung des eigenen Start-ups?
Da muss ich nochmal Durchhaltevermögen wiederholen! Ignorier die Zweifler und bleib einfach dran! Irgendwann findet man den richtigen Ansatz.

Ein Satz, den eine gute Führungskraft niemals sagen würde?
„Das hat mein Mitarbeiter X falsch gemacht….“, „Das haben wir hier noch nie so gemacht“ oder „Wird schon keiner merken“.

Bitte ergänzen Sie den Satz: In Konfliktsituationen …?
...versuche ich alle hinter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen.

In den kommenden drei Jahren: Was wollen Sie lernen, was Sie heute noch nicht können?
Ich frage mich immer, wie wir der Wirtschaft noch mehr dazu verhelfen können, eine positive Wirkung für die Welt zu haben. Bei börsennotierten Unternehmen sehe ich immer wieder, wie der quartalsmäßige Druck der Finanzmärkte zu Entscheidungen führt, die kurzfristigen Profit priorisieren, sich aber gesellschaftlich negativ auswirken. Selbst CEOs, die gerne positiv handeln wollen, sind häufig im System gefangen und verschieben so auch gerne mal eine Investition, die sich erst nach mehreren Jahren auszahlt, etwa eine CO2 neutrale Produktion.

Ich frage mich: Wie können wir das Mindset der großen Finanzinvestoren verändern, um Wert nicht mehr nur in Finanzkennzahlen zu sehen, sondern auch im gesellschaftlichen Wert einer Firma? Darüber will ich noch mehr erfahren. Wir planen hierzu Ende des Jahres eine Studie. Viele Investoren fragen bereits ESG-Faktoren (Environment - Social - Governance Kennzahlen, Anm. d. Red.) ab. Der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock hat dieses Jahr bei den Aktionärsversammlungen gegen die Vorstände von 53 Firmen gestimmt, die aus ihrer Sicht nicht ausreichend gegen die Klimakrise vorgegangen sind. Wir können da noch viel weiter gehen. Der Finanzmarkt ist eine essentielle Stellschraube, um das Verhalten von Konzernen zu verändern. Da möchte ich ran.

Was ist Ihr langfristiges Ziel beziehungsweise Vision?
Als ich vor zwölf Jahren begann, mich in diesem Bereich zu engagieren, waren „Social“ und „Business“ zwei sehr getrennt Bereiche. Heutzutage haben mehr Menschen verstanden, dass die Wirtschaft vielleicht die stärkste Kraft sein kann, um echte Probleme wie Klimawandel oder Ungleichheit in der Welt zu lösen. Meine Vision ist, dass alle Unternehmen, klein oder groß, nicht nur finanzielle, sondern auch gesellschaftliche Ziele haben. Ich möchte meinen Beitrag leisten, um den Kapitalismus zum Besseren zu reformieren.

Wenn Sie ein Buch schreiben müssten: Wovon würde es handeln?
Meine Lessons Learned von einem Jahrzehnt mit Social Businesses und wie wir dies auf Großkonzerne übertragen können.

Wenn ich mich bei Ihren Freunden erkundigen würde: Für welche alternativen Karriereoptionen wären Sie geeignet?
Von der Ambition, etwas in der Welt verändern zu wollen: Politikerin, allerdings nicht von meiner Geduld. Ich habe einen großen Respekt vor Politikern, die sich täglich für das Land einsetzen und trotzdem ständig kritisiert werden.

Möchten Sie sonst noch etwas teilen?
Social ist das neue Digital. Das ist das Mantra, was ich inzwischen mit allen Unternehmen teile. In den letzten zehn Jahren haben sich CEOs den Kopf über die Digitalisierung zerbrochen. Die nächste Welle, die über Firmen hereinbricht, ist die der sozialen Disruption. Wer sich als Unternehmen nicht von einem Gesellschaftsverschmutzer hin zu einem Gesellschaftsretter entwickelt, wird bald irrelevant sein.

Grassroots-Bewegungen, von Fridays for Future über die Gelbwesten bis hin zu Black Lives Matter fordern dies von Unternehmen. Millennials wollen nicht mehr für Konzerne arbeiten oder von ihnen kaufen, wenn sie keine Verantwortung übernehmen. Und selbst Investoren wie Blackrock verlangen von Unternehmen nun Purpose. Corona verstärkt diese Trends nur mehr. Jeder Handelsblatt-Leser kann jetzt beginnen, sein Unternehmen neu aufzustellen.

Frau Bruysten, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Vordenker*innen des Jahres 2020. Das sind die Macherinnen und Macher der nächsten Generation.

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