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VW, Deutsche Bank, Siemens, Thyssen-Krupp Der Mythos vom Wandelfalken

Hast du ein Konzernproblem, musst du die Kultur umdrehen: Nach diesem Motto agieren viele Topmanager in Krisensituationen – nicht nur bei VW. Kann so ein abrupt verordneter Kulturwandel überhaupt gelingen?
22.01.2016 - 20:10 Uhr
Kulturwandel noch nicht abgeschlossen. Quelle: dpa
Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger

Kulturwandel noch nicht abgeschlossen.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Die Bilder ähneln sich und die Worte erst recht. Wolfsburg: Der frisch installierte Volkswagen-Chef Matthias Müller ruft am 10. Dezember 2015 den „Kulturwandel“ im gesamten Autokonzern aus. Bochum: Heinrich Hiesinger, der Vorstandsvorsitzende von Thyssen-Krupp, tritt am 18. Januar 2013 vor die Aktionäre und beteuert, wie ernst es ihm mit „dem erforderlichen Kulturwandel“ sei. Berlin: „Wertsteigerung & Kulturwandel“ steht als Motto unter der „Vision 2020“, die Siemens-CEO Joe Kaeser am 7. Mai 2014 präsentiert. Frankfurt: Deutschlands größtes Kreditinstitut betreibt auf seiner Website gleich eine ganze Rubrik unter der Überschrift „Kulturwandel bei der Deutschen Bank“.

Volkswagen, Deutsche Bank, Siemens, Thyssen-Krupp: Vier deutsche Konzerne, die, frei nach Tolstoi, alle auf ihre eigene Art unglücklich sind. Und die in ihrer Misere doch alle zum gleichen Schlagwort greifen: Ein Kulturwandel soll es richten. Aber was ist das überhaupt, ein Kulturwandel? Unter welchen Voraussetzungen kann er gelingen? Und was kann der angeschlagene Volkswagen-Chef Müller womöglich von den Lenkern der drei anderen Konzerne lernen, die den Wandel ihrer Kultur bereits vor VW ausgerufen haben?

Das, was man bei Siemens Kulturwandel nennt, wurde in den frühen Morgenstunden eines Mittwochs im November 2006 eingeleitet. 200 Polizisten und Staatsanwälte rückten zur Razzia an. Die Ermittlungen legten ein System schwarzer Kassen offen, aus denen im Ausland Schmiergeld gezahlt wurde. Ein Angeklagter in einem der folgenden Gerichtsverfahren sagte: Die Koffer mit dem vielen Bargeld seien so schwer gewesen, er habe vom Schleppen Rückenschmerzen bekommen.

Es geht auch um interne Kommunikation

Fast die komplette Siemens-Führung wurde ausgewechselt und unter der Führung des neuen Chefjustiziars Peter Solmssen eine mächtige Compliance-Organisation aufgebaut. Ihr gehörten mehr als 600 Rechtsanwälte, Referenten und interne Fahnder an, eine mittelständische Saubermann AG innerhalb des Konzerns. Schon am Eingang der Konzernzentrale wurden die Mitarbeiter fortan von Bildschirmen begrüßt, auf denen das neue Mantra zu lesen war: „Only clean business is Siemens business.“ Nur saubere Geschäfte sind Siemens-Geschäfte. Wer mit jemandem einen Kaffee trinken ging, musste eine sogenannte Scorecard ausfüllen, eine elektronische Ampel zeigte dann an, ob die Einladung in Ordnung geht.

Ein gründlicher Kulturwandel also?

Günther Grassmann von der Initio Organisationsberatung hat da seine Zweifel: „So weit ich Siemens kenne, gab es da immer ein Verständnis, dass man in weiten Bereichen ein sauberes Unternehmen ist.“ Die Mitarbeiter seien über den Schmiergeldskandal damals vielfach genauso entsetzt gewesen wie die Öffentlichkeit. „Insofern war vielleicht ein tiefgreifender Kulturwandel gar nicht nötig.“

Überhaupt, der Begriff Kulturwandel werde „häufig mit Dingen verbunden, die erst mal mit der Kultur nichts zu tun haben. Sparrunden zum Beispiel.“

Für Grassmann ist Unternehmenskultur „die Summe der Gewohnheiten und Verfahren in einer Organisation, die letztlich ausmachen, wie es sich anfühlt, in einem Unternehmen zu arbeiten.“ Unter anderem gehe es auch um die interne Kommunikation: „Was wird geredet, wie wird geredet, kennen die Mitarbeiter die Ziele der Organisation?“

Wer Fehler machte, wurde aussortiert

Tatsächlich haben oder hatten die Probleme bei allen vier Konzernen etwas mit falscher Kommunikation zu tun. In jedem der Fälle ging es um Geschäftspraktiken, von denen ein größerer Kreis von Mitarbeitern gewusst haben muss – die aber entweder nicht als bedenklich erkannt, nicht nach oben weitergemeldet wurden oder dort keine Handlungen auslösten. Bei Siemens war es die Praxis, dem Auftragseingang mit Schmiergeld auf die Sprünge zu helfen. Bei der Deutschen Bank ging es um ethisch und rechtlich grenzwertige Zockergeschäfte, oft zum Nachteil der eigenen Kunden. Bei Volkswagen um eine Schummelsoftware, die im Testbetrieb den Schadstoffausstoß von Dieselmotoren heruntermanipulierte. Und Thyssen-Krupp hatte gleich mit einem ganzen Bündel an Problemen zu kämpfen.

Als Heinrich Hiesinger vor fünf Jahren den Vorstandsvorsitz von Thyssen-Krupp übernahm, war der Industriekonzern nahezu pleite. Das Unternehmen hatte sich beim Bau von Stahlwerken in Brasilien und den USA übernommen, mit letztlich zwölf Milliarden Euro kosteten sie das Vierfache des anfänglich taxierten Betrags. Hinzu kamen unsaubere Geschäftspraktiken wie Kartellabsprachen und Bestechungen, für deren Aufarbeitung Hunderte von Millionen nötig waren.

„Unsere alte Führungskultur war an vielen Stellen von Seilschaften und blinder Loyalität gekennzeichnet“, sagte Hiesinger wenige Monate nach seinem Wechsel von Siemens zu Thyssen-Krupp. „Fehlentwicklungen wurden lieber verschwiegen als korrigiert.“

Beteiligte erklären dieses kollektive Versagen im Kern mit der ungelösten Führungsfrage. Weil der inzwischen verstorbene Berthold Beitz als Chef des Großaktionärs Krupp-Stiftung keinem Wechsel an der Vorstandsspitze zustimmen und auch trotz seines hohen Alters nicht von seinem Amt weichen wollte, hielten Manager wichtige Informationen zurück, um ihre Karriere nicht zu ruinieren. Wer nämlich Fehler machte, wurde im Rennen um den Chefposten aussortiert. Das Desaster beim Stahlwerksbau und das kriminelle Treiben einiger Mitarbeiter blieben daher unentdeckt – weil niemand so genau hinschauen wollte.

Kulturwandel braucht Zeit
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