Arzneimittel Mit Naturheilmitteln durch die Krise: Dr. Theiss erreicht Rekordgewinn im Coronajahr

Dr. Peter Theiss gründete das Unternehmen 1978, Giuseppe Nardi leitet mittlerweile das operative Geschäft, Jonas Thielmann bezeichnet er als „seine rechte Hand“ (von links nach rechts).
Düsseldorf Das Corona-Jahr 2020 war auch für Dr. Theiss Naturwaren eine Zeit voller Herausforderungen: Kranke gingen aus Angst vor einer Infektion seltener zum Arzt, die haben dementsprechend weniger Rezepte ausgestellt. Vorsichtsmaßnahmen schützten die Menschen zugleich vor Erkältungsviren, die Nachfrage nach Medikamenten in diesem Bereich war deshalb verhältnismäßig klein.
Auch das Interesse an Kosmetik war in Zeiten von Lockdowns gering. Die Folge: weniger Kundschaft in den Apotheken. Die aber sind der wichtigste Vertriebspartner des saarländischen Familienunternehmens.
Trotzdem fehlten dem Kosmetikhersteller die Kunden nicht. Dr. Theiss verkauft naturnahe Kosmetik und Arznei sowie Nahrungsergänzungsmittel. „Damit sind wir aber auch in Bereichen präsent, die von der Corona-Pandemie profitieren konnten“, weist der geschäftsführende Gesellschafter Guiseppe Nardi hin. Insbesondere Hygieneprodukte und Nahrungsergänzungsmittel waren in der Pandemie gefragt.
Das Unternehmen steigerte seinen Umsatz im vergangenen Jahr um drei Prozent auf rund 326 Millionen Euro. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) stieg auf fast 33 Millionen Euro. 2020 war somit das bisher erfolgreichste Jahr der 43-jährigen Unternehmensgeschichte.
Das erfolgreichste Produkt der Unternehmensgruppe ist die medizinische Zahncreme Lacalut. Mundhygiene wurde von Experten immer wieder als Teil einer Prophylaxe gegen eine Corona-Erkrankung propagiert. Auch Nahrungsergänzungsmittel mit Wirkstoffen zur Stärkung des Immunsystems ließen sich im vergangenen Jahr besonders gut verkaufen.
Einen Aufschwung erlebt derzeit auch das Tochterunternehmen Allgäuer Latschenkiefer mit Pflegeprodukten für die Füße sowie Muskeln und Gelenke. Die Marke profitiert vom derzeitigen Outdoortrend – ausgelöst durch die Coronakrise. Für diese Produkte hat das Unternehmen in der Krise verstärkt geworben.
Expansion nach Osteuropa
Auch zwei Produktneueinführungen kamen in der Pandemie gut an: ein Melatonin-Spray, das die Einschlafzeit reduzieren soll, und eine Gesichtspflege mit Bräunungseffekt. Die Idee: Menschen schlafen in der Krise schlecht, weil sie sich Sorgen machen, und wollen auch gebräunt aussehen, wenn sie nicht in den Urlaub fahren können. Das Konzept ging auf: Beide Produkte belegten Angaben von Theiss Naturwaren zufolge die vordersten Plätze in den jeweiligen Teilmärkten.
Theiss Naturwaren reagierte Anfang vergangenen Jahres außerdem auf den großen Mangel an Desinfektionsmitteln. Das Unternehmen baute ein Produktionswerk um, Rezeptur und Know-how gab es bereits. Schon während der Schweinegrippe hatte die Firma Desinfektionsgel produziert. Vom Anruf der saarländischen Landesregierung bis zur ersten Lieferung vergingen gerade mal drei Wochen.
Bei der Produktion unterstützt haben das Familienunternehmen Mitarbeiter eines Restaurants und Hotels, die Theiss-Geschäftsführer Nardi in Homburg betreibt. Der positive Nebeneffekt: Insgesamt 100 Mitarbeitern blieb die Kurzarbeit somit während der Lockdowns erspart.
600.000 Liter Desinfektionsmittel hat die Firma im vergangenen Jahr produziert. Unter der Marke „Milinda Pro“ hat Theiss Naturwaren eine Produktlinie für den Handel aufgebaut. Knapp zwei Prozent hat das Geschäft mit Desinfektionsgel vergangenes Jahr zum Gesamtumsatz beigetragen. Produziert wird immer noch, die Menge ist mit der sinkenden Nachfrage jedoch erheblich gesunken. Die Angestellten des Hotels und des Restaurants werden mittlerweile wieder vor Ort gebraucht.

Theiss Naturwaren produziert noch immer überwiegend in Homburg.
Direkt gegenüber von Nardis Restaurant am Homburger Marktplatz begann 1976 die Geschichte von Dr. Theiss Naturwaren. Dort befindet sich die Apotheke, die Peter Theiss damals von seinem Vater übernahm. Im Hinterzimmer produzierte er von Hand Arnika- und Ringelblumensalbe. Seine erste Produktlinie bewarb er mit Vorträgen in Kneipp- und Hausfrauenvereinen. Wenige Jahre später begann der 17-jährige Guiseppe Nardi seine Ausbildung bei Theiss.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs entschlossen die Unternehmer, nach Osteuropa zu expandieren. Traditionsheilmittel waren dort damals sehr gefragt. Nardi erinnert sich an Szenen in Apotheken nahe der Grenze. Polnische Kunden kauften große Mengen von Naturheilmitteln, hätten ihre Taschen vollgepackt.
„Ich habe die Apothekerin gefragt: Was machen die Polen mit 20 Flaschen Biovital? Sind die so krank?“, erinnert sich Nardi. Sie habe ihm erklärt, viele Polen würden die Heilmittel über die Grenze bringen, um sie dort weiterzuverkaufen. Da habe es bei ihm „Klick gemacht“.
Anschließend gründeten Theiss und Nardi Tochter- und Vertriebsgesellschaften in osteuropäischen Ländern. Bis Anfang 2000 machte der Mittelständler fast nur Geschäft im Ausland – der Durchbruch im Heimatmarkt Deutschland kam erst später.
Heute ist Nardi Geschäftsführer, und Peter Theiss hat sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Er repräsentiert das Unternehmen aber weiterhin. Die Produkte der Unternehmensgruppe werden mittlerweile in mehr als 60 Ländern angeboten. Allein in Deutschland beschäftigt Dr. Theiss Naturwaren 550 Mitarbeiter an fünf Standorten. Weltweit sind es rund 2000. Zu den Kernmärkten gehört weiterhin Osteuropa, aber auch Deutschland, Frankreich und Italien. Hergestellt wird noch immer überwiegend in den Produktionsstätten in Homburg, verkauft mit wenigen Ausnahmen nur in Apotheken.
Trend zur Naturkosmetik
Laut Experten bei Iqvia, einem der führenden Forschungsdienstleister für die Pharmabranche, hat Apothekenexklusivität einige Vorteile: Weil Kunden in Apotheken beraten werden, können Unternehmen für ihre Produkte auch höhere Preise verlangen.
Das Unternehmen profitiert außerdem von einem Trend hin zur Naturkosmetik. „Verbraucher legen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit, nachhaltige Produktion und natürliche Inhaltsstoffe“, erklärt Alexander Mischner, Experte für Life Sciences bei der Personal- und Managementberatung Kienbaum. „Mittelständler genießen diesbezüglich häufig eine größere Glaubwürdigkeit.“
In den vergangenen Jahren ist das Familienunternehmen sowohl organisch als auch anorganisch gewachsen. Durch Akquise der Marke Lacalut, Allgäuer Latschenkiefer sowie zuletzt 2014 der Dologit Unternehmensgruppe. Insgesamt gehören inzwischen 20 Tochtergesellschaften zur Unternehmensgruppe.
Auch in Zukunft soll bei dem Familienvertrieb die Expansion im Fokus stehen. Der ein oder andere neue Markt soll erschlossen, bestehende weiter gestärkt werden. Auch weitere Übernahmen seien möglich – derzeit aber keine in Sicht. Die Corona-Pandemie ist nicht die erste Krise, die das Familienunternehmen durchlebt: „Wenn man ein Unternehmen in Osteuropa aufgebaut hat in der allerersten Stunde von 1989, dann ist man an Krisen gewöhnt“, meint Nardi. Insbesondere in Russland und der Ukraine kam es zwischenzeitlich immer wieder zu wirtschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen. Doch Krisen seien – auch wenn sich das laut Nardi „doof“ anhöre – immer Chancen für Wachstum.
Mehr: Warum Wenko jedes Jahr Hunderte neue Produkte auf den Markt bringt
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.