Bettwäschehersteller Bierbaum Billiger als Pakistan

Gelitten, aber durchgehalten.
Borken Industrie 4.0? Über den Digitalhype kann Jan-Frederic Bierbaum nur lachen. „In unserer Firma hängen schon seit mehr als 30 Jahren kleine Computer an jeder Maschine, die alle vernetzt sind.“ Die Anlage hatte der Textilingenieur selbst entwickelt. Sie wurde erst vor zwei Jahren abgelöst. Der Chef des Bettwäscheherstellers Bierbaum im westfälischen Borken gründete Anfang der 80er-Jahre mit einem Freund eine Firma für „Betriebsdatenerfassungsanlagen“ – Neudeutsch: Industrie 4.0. Danach stieg er in das gleichnamige Familienunternehmen ein, das der 55-Jährige heute mit Großcousin Frank Bierbaum, 51, in vierter Generation leitet.
Inzwischen ist Bierbaum noch einen Schritt weiter: bei künstlicher Intelligenz. Seit kurzem sausen gelbe Roboter durch die Werkshallen. Einer transportiert Farbeimer. Mit leuchtenden Augen führen die Firmenchefs ihr neues Spielzeug vor. Ein Roboter bremst haarscharf, als Jan-Frederic Bierbaum in den Weg springt. „Ein Roboter kostet 25.000 Euro und lässt sich kinderleicht programmieren. Das macht die Produktion effizienter. Und unsere Mitarbeiter sind von stupiden Tätigkeiten erlöst.“
Automatisierung ist für die Westfalen das A und O. „Nur deshalb können wir trotz der hohen Lohnkosten in Deutschland produzieren.“ Bierbaum ist Marktführer für Bettwäsche in Deutschland und mit Abstand Europas größter Drucker von Textilien. 20 Millionen Euro wurden seit 2014 investiert – vor allem in moderne Anlagen. Bis zu 10.000 Bettwäsche-Garnituren können die Automaten am Tag zuschneiden, samt Reißverschluss nähen und falten – mit nur einer Person an der Maschine. „Damit sind unsere Lohnstückkosten geringer als etwa in Pakistan, wo 50 Leute dieselbe Arbeit machen.“ Derzeit arbeiten 470 Mitarbeiter in Deutschland. Weitere 280 erledigen in Polen die lohnintensive Verpackung.
1895 gründete Josef Bierbaum, Urgroßvater der Großcousins, die Firma. Die Region um Borken war früher ein Textilzentrum. Noch in den 70er-Jahren arbeiteten in der Bundesrepublik 700.000 Menschen in der Branche – heute nur noch 70 000. „Auch wir haben gelitten, aber durchgehalten. Schon unsere Väter waren innovativ. Sie hatten 1975 den Mut, die damals größte Druckmaschine Europas zu kaufen – für 1,5 Millionen DM. Das war eine Revolution“, erzählt Frank Bierbaum. Bettwäsche war bis dahin einfarbig oder bunt gewebt. Mit dem Druck waren erstmals komplizierte Muster möglich.
Viele Wettbewerber wie Irisette aus dem Schwarzwald verschliefen den Trend. Bierbaum kaufte 1994 die bekannte Marke. Groß wurde das Unternehmen mit Bettwäsche für Discounter. Andere Hersteller kannibalisierten sich selbst. Sie kauften aus Pakistan und China billig zu. Doch ihre Abnehmer – allen voran die Discounter – machten bald eigene Einkaufsbüros in Asien auf.
Auch die Bierbaums waren unsicher, ob sie die Produktion in Deutschland aufrechterhalten sollten. 2005 eröffneten sie eine Konfektion im chinesischen Ningbo mit 150 Leuten. Zunächst waren sie begeistert, wie unbürokratisch alles lief. „Doch wie so einige deutsche Mittelständler haben wir uns eine blutige Nase in China geholt“, erzählen die Cousins. Obwohl sie 38 verschiedene Druckereien ausprobierten, lag die Zweite-Wahl-Quote bei 50 Prozent, hierzulande sind es nur drei Prozent. 2008 beendeten sie das China-Abenteuer. Auch die Auftragsfertigung in der Türkei ist Geschichte.
„Beide Geschäftsführer haben großes Interesse, den Standort Deutschland zu stärken“, sagt Cornelia Leson-Griesbeck von der IG Metall Bocholt. Die Automatisierung erfolge in enger Absprache mit dem Betriebsrat “, versichern die Cousins.
Eigenes Blockheizkraftwerk
1988 kam bei Bierbaum ein zweites Standbein dazu: Reinigungstücher für den Haushalt aus Viskose-Vlies oder Mikrofasern. Dafür kauften sie die Firma Kornbusch & Starting. „Wir waren die Ersten, die die Tücher bunt machten“, sagt Frank Bierbaum. Supermärkte und Discounter verkaufen sie meist unter Eigenmarken. In Deutschland gibt es nur zwei Hersteller, die TWE-Group aus Emsdetten ist Marktführer. Mit fast 50 Millionen Euro tragen Putztücher schon 40 Prozent zum Bierbaum-Umsatz von 110 Millionen Euro bei. Und der Trend dürfte anhalten, denn der deutsche Markt für Bettwäsche ist gesättigt. Profitabel ist Bierbaum trotzdem. Das Ergebnis vor Steuern lag 2015 bei knapp acht Millionen Euro.
In Deutschland werden im Jahr rund 30 Millionen Garnituren verkauft, die Westfalen haben einen Marktanteil von etwa zwölf Prozent. „Bierbaum und Irisette sind starke Marken im Markt – neben Estella, Fleuresse, Ibena, Kaeppel oder Herding“, sagt Meike Kern, Direktorin der Messe Heimtextil, die gerade in Frankfurt läuft. „Viele Garnituren werden jedoch heute importiert.“
Der Deutsche kauft im Schnitt nur alle vier Jahre neue Bettwäsche und gibt dann 30 bis 40 Euro dafür aus. „Heute bekommen wir 40 Prozent weniger für eine Garnitur als vor 20 Jahren. Obwohl die Preise gefallen, Löhne und Energiekosten aber gestiegen sind, können wir hierzulande wirtschaftlich produzieren.“ Das liegt neben der Automatisierung auch daran, dass Bierbaum seinen Strom selbst erzeugt. Das firmeneigene Blockheizkraftwerk nutzt Abwärme zum Bleichen und Färben. Ständig testen die Chefs Innovationen: „Wir haben keine Flop-Angst“, sagen sie. Neu sind beispielsweise Tücher mit Schuhpolitur oder für Smartwatches.
Doppelspitzen sind oft eine Notlösung, bei Bierbaum haben sie Tradition. Das hat 120 Jahre prima funktioniert. Die beiden Großcousins, die heute die Firma lenken, ergänzen sich gut. Jan-Frederic ist der Tüftler. „Ein kreativer, impulsiver Macher“, beschreibt ihn sein Cousin. Frank, der promovierte Ökonom, ist der Analytiker.
Sieben Kinder gibt es in der fünften Generation. Sohn und Tochter von Jan-Frederic haben Interesse, einmal in die Firma einzusteigen. Die Kinder von Frank Bierbaum sind noch zu jung. Die Familien machen gemeinsam Urlaub. „Wir haben uns noch nie gestritten. Gutes Betriebsklima ist uns wichtig.“
„Beide Geschäftsführer legen großen Wert auf die Zufriedenheit der Belegschaft“, bestätigt Gewerkschafterin Leson-Griesbeck. Trotz Mehrschichtbetrieb liegt die Krankenquote nur bei drei Prozent. Die Bierbaums sind überzeugt: „Die erfolgreichsten Betriebe sind die, wo am meisten gelacht wird.“
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