Die neuen Gründer – Advocado: Zalando für Juristen
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Die neuen Gründer – AdvocadoZalando für Juristen
Eine Mietminderung durchsetzen: 79 Euro. Die Prüfung eines Testaments: 199 Euro. Das Start-up Advocado vermittelt Anwaltsdienstleistungen im Internet – zum Festpreis. Viele Juristen betreten dabei Neuland.
Neuland für die konservative deutsche Anwaltsbranche.
(Foto: PR)
Greifswald Unkraut wuchert an dem grauen Gebäude, das mal ein Getreidesilo war. Der flache Schuppen nebenan hat ebenfalls schon bessere Tage gesehen. Auch wenn das alte Gelände dieser Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft in Greifswald nach Vergangenheit aussieht, wird hier an der Zukunft gearbeitet – und zwar an der digitalen des Anwaltswesens.
In einer zum Filmstudio umfunktionierten Lagerhalle zeichnet das Team von Advocado gerade Videoclips auf. Vor einem Regal mit Topfpflanzen und den roten Jura-Standardwerken erklärt Vertriebschef Maximilian Koeppen in die Kamera, wie das Start-up funktioniert. Advocado vermittelt Rechtsprodukte im Internet – und zwar zum Festpreis. Eine Erstberatung beim Thema Sorgerecht: 19 Euro. Eine Mietminderung durchsetzen: 79 Euro. Die Prüfung eines Testaments: 199 Euro. Kauft der Kunde eine Dienstleistung, bekommt er einen Fachanwalt in seiner Nähe vermittelt. „Sobald Rechtsprodukte erst einmal standardisiert sind, kann man sie wie ein paar Schuhe auf Zalando verkaufen“, sagt Jacob Saß.
Gesetzbuch
Bei den Juristen wird um Mandate gekämpft.
(Foto: Imago)
Der 27-Jährige ist einer der beiden Gründer. Er studierte BWL an der Greifswalder Uni, lernte Maximilian Block bei einem Businessplan-Wettbewerb kennen. Der Jurastudent, 33, hatte die Idee zu Advocado. Beide taten sich zusammen, gründeten 2014 die Firma. Ein Jahr später bekamen sie eine sechsstellige Anschubfinanzierung von der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern. Heute beschäftigen sie sieben feste Mitarbeiter, dazu kommen Freiberufler und Studenten.
Anders als die überschaubare Zahl von Wettbewerbern bietet das Start-up nicht nur standardisierte Produkte an. Jeder Nutzer kann seinen individuellen Fall auf einen digitalen Marktplatz werfen – und dann Angebote von Anwälten einholen. „Es funktioniert wie ein Mini-Ausschreibungssystem“, erklärt Saß.
Kundenansprache ist das neue Zauberwort
Im Finanzsektor heißen sie Fintechs, im Rechtswesen sind es die Legal Techs, die gerade den Markt aufrollen. Genaue Zahlen erfasst die Bundesrechtsanwaltskammer noch nicht über die junge Branche – doch tummeln sich um die 50 Anbieter auf dem Markt. Ursprung des Trends sind die USA. Dort gibt es bereits mehrere Hundert Legal Techs.
In vielen Branchen ist die Digitalisierung der Standard – die konservative deutsche Anwaltsszene gehört noch nicht dazu. „Jahrelang hat sich da nichts bewegt“, sagt Block, der die Juristerei seit Kindheitstagen kennt: Sein Vater hat eine Kanzlei in der Uckermark. „Erst um die Jahrtausendwende herum habe ich ihm eine Mailadresse eingerichtet“, erinnert sich Block. Die Großkanzleien seien schon längst digitalisiert, aber viele kleinere verließen sich noch auf das Faxgerät.
Advocado auf einen Blick
Maximilian Block und Jacob Saß studierten beide an der Universität Greifswald, der eine Jura, der andere BWL.
Advocado bietet Rechtsprodukte zum Festpreis und vermittelt die passenden Fachanwälte.
Die deutsche Legal-Tech-Branche ist noch jung, trotzdem gibt es mit Plattformen wie Jurato und Legalbase schon Konkurrenz.
Die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern und der Frankfurter Anwalt Jochen Brandhoff.
Besonders das Online-Ausschreibungssystem ist Neuland für die Juristen. Advocado bietet daher auch Schulungen an, gibt Nachhilfe, wie Anwälte sich auf die Spezialfälle bewerben können. Gerade abseits der großen Städte lässt die Laufkundschaft nach, Kundenansprache ist das neue Zauberwort. „Der einzelne kleine Anwalt auf dem Land ist schon lange ein Auslaufmodell“, sagt Udo Henke, Geschäftsführer beim Deutschen Anwaltverein. Seit Jahren stagnierten die Zahlen. „Das Bewusstsein, dass Anwälte in erster Linie Dienstleister sind, wird in Zukunft noch weiter zunehmen.“
Auch dank Legal Techs wie Advocado. Die Start-ups sieht Henke als großen Branchentrend. „Den Rechtsmarkt wird das stark beeinflussen und nachhaltig verändern“, glaubt er. Vor allem die Preise würden transparenter. „Die Kunden bekommen eine viel bessere Vorstellung davon, was Rechtsdienstleistungen kosten.“ Vorbei sind die Zeiten, in denen Anwälte sich einfach nur auf das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz berufen, nach dem für eine Erstberatung bis zu 190 Euro abrechenbar sind. Denn bei außergerichtlichen Fällen gibt es keine Preisbindung.
Privatkunden sind nicht die einzige Einnahmequelle
In Deutschland könnten die Neulinge auch den Wettbewerb verstärken. Advocado etwa hat ein integriertes Bewertungssystem: Anwälte, die negativ auffallen, fliegen raus. 300 Partnerkanzleien sind mittlerweile auf der Seite gelistet, die Hälfte davon nutzt den kostenpflichtigen Premiumservice, mit dem sich Advocado auch auf den Homepages der Anwälte einbinden lässt. Die Zielgruppe ist aber um ein Vielfaches größer: Knapp 164.000 Anwälte zählt die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer aktuellesten Statistik. 2015 vermittelte Advocado rund 500 Mandanten. In diesem Jahr haben die Greifswalder schon mehr als 1.000 Fälle an die Anwälte weitergeleitet.
Privatkunden sind für Advocado indes nicht die einzige Einnahmequelle. Das Unternehmen setzt auch auf Firmenpartnerschaften. Zu den großen Partnern zählen die Volksbank und Edeka. Advocado ist direkt mit den internen Unternehmenssystemen vernetzt. So können etwa Kunden von Edeka Food Service nicht nur Kassensysteme oder Werbemittel über Edeka bestellen, sondern auch Rechtsprodukte, die speziell aufs Lebensmittelrecht zugeschnitten sind.
Ende des Jahres planen Saß und Block eine neue Finanzierungsrunde. Spätestens 2018 wollen sie schwarze Zahlen schreiben. Doch erst mal wird weiter investiert: Die nächsten Märkte haben die beiden schon im Visier. Vor kurzem waren sie auf Werbetour in Österreich und der Schweiz – die ersten potenziellen Partnerkanzleien aus dem Alpenraum sind ihnen schon sicher.
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