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Die neuen Gründer – NavvisDas Navi für drinnen
GPS funktioniert in Innenräumen nicht. Zur besseren Orientierung erfand Gründer Georg Schroth so etwas wie ein Google-Street-View-Auto – nur zum Schieben. Damit eröffnen sich etwa für Museen oder Händler neue Welten.
Navvis-Gründer Robert Huitl, Sebastian Hilsenbeck, Georg Schroth, Felix Reinshagen (v.l.)
„Mit unserem Trolley ist Scannen von Räumen einfach wie Staubsaugen.“
(Foto: PR)
München Wer kennt das nicht: im Einkaufszentrum oder Flughafen verzweifelt die Toilette gesucht, im Möbelhaus die Betten nicht gefunden, im Museum am besten Exponat vorbeigelaufen. Unter freiem Himmel kommen wir dank Navi und Google Street View in fremden Städten bequem ans Ziel. In Innenräumen jedoch müssen wir uns mit Schildern und Karten behelfen – wie schon in der Antike. Das Problem: GPS funktioniert in Gebäuden nicht, die Signale der Satelliten kommen weder durch Beton noch durch Holz.
Georg Schroth wollte das nicht hinnehmen: „In Industrien unter freiem Himmel – auf dem Acker bis zum Paketdienst – ist digitales Navigieren der Standard, nur nicht in Gebäuden. Dabei findet dort der größte Teil der globalen Wertschöpfung statt.“ Bei seinen Forschungen am GPS-Lab in Stanford suchte der Doktorand der TU München nach einer Lösung: eine Indoor-Navigation, die – anders als die Technik von Google oder Apple – ohne störanfällige und wartungsintensive Sender wie Wi-Fi oder Bluetooth auskommt.
Schroth erzählte einem Segelfreund, der bei McKinsey arbeitete, von seiner Idee. Felix Reinshagen erinnert sich noch gut: „Ich riet Georg dringend von dem Promotionsthema ab – viel zu schwierig.“ Schroth hörte nicht auf den Berater und bastelte mit den Forscherkollegen Robert Huitl und Sebastian Hilsenbeck an einem Trolley, der Gebäude mit Lasern und Kameras scannt. „So etwas wie ein Google-Street-View-Auto – nur zum Schieben.“ Der Trolley zeichnet 3D-Bilder in Rundumsicht zentimetergenau auf. Darüber lässt sich eine vierte Dimension mit Informationen legen.
Indoor-Navigation – Neue Welten
Marketsandmarkets schätzen die Umsätze mit Indoor und Real Time Location 2020 auf rund 55 Milliarden Dollar. Mit Services für Handel und Industrie könnte der Markt dreistellige Milliardenhöhen erreichen.
Anders als Navvis nutzen Wettbewerber wie Google, Apple, Trimble oder deutsche Anbieter wie Leica, Infsoft und awiloc (Fraunhofer) meist Minisender wie WLAN oder iBeacons zur Innennavigation. Das ist recht teuer und wartungsintensiv. Google Business View bietet 360-Grad-Fotos von Innenräumen. Lenovo und Google arbeiten an einem System, das Handys mit Tiefensensor nutzt.
Der Prototyp war mit zwei Lkw-Batterien mehr als 100 Kilo schwer. Dennoch wollte ein Unternehmer aus Dubai das Gerät unbedingt kaufen, um neue Stadtviertel von innen zu kartieren. „Das zeigte uns: Es gibt eine echte Nachfrage“, erzählt Reinshagen. Er kündigte seinen gut dotierten Beraterjob, und zu viert gründeten sie 2013 Navvis unter dem Dach der TU München. Heute residiert die Firma mit 60 Leuten im Münchener Start-up-Viertel rund um die Nymphenburger Straße, Egym, Stylight und Flixbus liegen vis-à-vis. Bald schon hagelte es Gründerpreise, zuletzt auf der Digital-Konferenz DLD.
Museumsbesuch am PC
Navvis-Trolleys haben viele Hektar Innenraum kartiert, wie im Deutschen Museum. Per Smartphonekamera werden Besucher durch die Ausstellung geführt, per Klick können Zusatzinfos wie Filme eingeblendet werden. Möglich ist auch ein virtueller Rundgang am Computer zu Hause – dadurch ist etwa die Luftfahrtschau, die bis 2019 saniert wird, weiter zu begehen. Auch die Alte Pinakothek hat Navvis mit vielen 100 Millionen Messpunkten kartiert – in nur zwei Stunden. „Das Scannen ist so einfach und schnell wie Staubsaugen“, sagt Reinshagen.
Auch im Handel eröffnen sich neue Welten. Wenn die Kunden durch die Möbelhäuser von XXXL Lutz bummeln, können sie ihr Handy mit Kamera vor ein Sofa halten und alles über Farben, Preis und Lieferzeit erfahren. Per Klick lässt sich das Sofa in den Warenkorb schieben – wie auch der passende Teppich davor.
3D-Navigation durch Möbelmaxx
Zielgenaue Führung per Handy samt Zusatzinfos.
(Foto: PR)
Den größten Markt für Indoor-Navigation sehen die Navvis-Gründer bislang in der Industrie. Die Konzerne wollen Wartung, Planung und Abläufe optimieren. Siemens und BMW gehören zu den Kunden. So hat Navvis die komplette Fertigung von BMW in München gescannt – an einem Wochenende, 150.000 Quadratmeter mit endlosen Bändern, an denen am Tag rund 1000 Autos entstehen.
„Bisher werden weltweit Unsummen verschwendet, weil der Monteur einen defekten Saugstutzen im Werkslabyrinth lange sucht oder die falschen Ersatzteile dabei hat“, sagt Reinshagen. Jetzt checken Experten alles von Ferne vorab und werden dann direkt hingeleitet. Auch der Industrieversicherer der Allianz, AGCS, testet Navvis, um Firmengelände aus der Ferne zu beobachten und Risikoreports zu erstellen. Maarten van der Zwaag, Leiter technische Risikoprüfung für Sachversicherungen: „Normalerweise dokumentieren unsere Risikoingenieure vor Ort Sicherheitsstandards mit Fotos, die natürlich nicht an 3D-Welten heranreichen können. Unsere ersten Erfahrungen mit Navvis sind vielversprechend.“
Überaus wichtig ist den Unternehmen der Schutz ihrer hochsensiblen Daten. Schließlich soll kein Industriespion virtuell durch ihre Werke laufen. „Kaum ein Konzern würde von Google seine Fabriken scannen lassen, selbst wenn das gratis wäre“, meint Reinshagen. Meist wollten Unternehmen ihre Hallen selbst scannen und so die Datenhoheit behalten.
Die Gründer sind selbst überrascht von ihrem Erfolg: „Wir sind erst seit einem Jahr am Markt, aber haben schon Zugang zu so vielen Konzernen. Offenbar haben wir den Nerv der Zeit getroffen.“ Geld verdient Navvis mit dem Verkauf der Trolleys sowie mit einem kombinierbaren Angebot aus Hardware, Software und Service. Die Preise starten bei wenigen Tausend Euro – etwa bei einem reinen Miet- oder Subskriptionsmodell – und erreichen mehrere Hunderttausend Euro, wenn ein Kunde eigene Trolleys an mehreren Standorten einsetzt.
Keine Angst vor Google und Apple
2015 wurden 15 Wagen gebaut, in diesem Jahr sollen mindestens 50 in Serie gehen. Der Kauf lohne sich für Firmen sowie für Vermessungsbüros. Reinshagen: „Einen Quadratmeter mit dem Navvis-Trolley zu scannen kostet nur ein Prozent von dem, was Einmessen mit traditionellen Laserscannern kostet.“ Viele Trolleys hat Navvis nach Asien verkauft. „Natürlich steht zu befürchten, dass jemand unseren Trolley nachbauen will“, sagen die Gründer. „Aber wir halten Patente an den Schlüsselstellen.“
Der Markt für Indoor-Navigation ist riesig. Navvis schätzt, dass in zehn Jahren ein Drittel der umbauten Fläche weltweit digitalisiert ist. Namhafte Konkurrenten wie Google oder Apple fürchtet das Start-up nicht, die Gründer fühlen sich mit ihrer senderfreien Technik und ihrem nutzerfreundlichen Geschäftsmodell im Vorteil. Umsätze will Navvis nicht nennen: „Wir wachsen rasant. In wenigen Jahren können wir zu einem Global Player werden. Der Break-even ist in zwei bis drei Jahren erreichbar, dann wollen wir aber eher noch eine Kapitalspritze nehmen.“
Im Dezember hat Navvis 7,5 Millionen Euro von Investoren wie Target Partners eingesammelt. Damit will Navvis Trolleys vorfinanzieren, Vertrieb und Service international aufbauen. Business-Angel der ersten Stunde ist Ex-McKinsey-Mann Lothar Stein. 2014 folgten die MIG AG und die Bayerische Beteiligungsgesellschaft. Die MIG AG war froh, ihr Investment auf 15 Prozent und damit rund vier Millionen Euro aufzustocken. „Das Start-up hat ein neues Ökosystem geschaffen, auf dem viele innovative Geschäftsmodelle wachsen können“, glaubt Partner Axel Thierauf.
Navvis hat auch einen prominenten Investor aus dem Silicon Valley: Innovationsguru Don Dodge von Google. „Navvis ist wie Google Street View in 3D für Gebäude. Es wird unzählige neue Geschäftsfelder generieren. Ich bin überzeugt, dass die Technologie in ihrer Bedeutung Maps und GPS noch übertreffen wird“, meint Dodge. Sorge, dass der Google-Mann Betriebsgeheimnisse von Navvis nutzen könnte, haben die Gründer nicht: „Don ist als Privatmann investiert und ein wichtiger Multiplikator für uns im Silicon Valley.“