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Die neuen Gründer – Selfapy Die App gegen Traurigkeit

Fünf Millionen Menschen in Deutschland erkranken jedes Jahr an Depressionen. Jetzt entdecken Start-ups den Markt: Selfapy bietet einen Online-Kurs für Depressive. Experten sehen großes Potenzial in dem Unternehmen.
05.04.2016 - 20:00 Uhr
Kati Bermbach (links) und Nora Blum. Quelle: PR
Raus aus der Negativspirale

Kati Bermbach (links) und Nora Blum.

(Foto: PR)

Berlin Die Fragen klingen ein bisschen so, als stammten sie aus einer Frauenzeitschrift: Fühlst du dich manchmal wertlos? Was bedeutet es, wertlos zu sein? Kann man nur wertvoll oder nicht wertvoll sein? In der Verhaltenstherapie nenne man so etwas einen „sokratischen Dialog“, erklärt Kati Bermbach. Er ist Bestandteil einer Online-Übung mit dem Titel „Negative Gedanken stoppen“.

Fünfzehn Wochen, so lange dauert es im Schnitt, bis ein depressiver Mensch in Deutschland einen Therapieplatz beim Psychologen bekommt. „Eine Ewigkeit für einen, der verzweifelt ist“, sagt Bermbach. Gemeinsam mit Nora Blum hat sie Selfapy entwickelt, einen Onlinekurs zur Selbsthilfe bei Depressionen.

„Wir wollen den Therapeuten erst mal nicht ersetzen“, sagt Blum, „aber die Wartezeit überbrücken.“

Hoher volkswirtschaftlicher Schaden

Das Leid, und damit der Markt für Start-ups wie Selfapy, ist groß. Laut Robert Koch-Institut erkranken jedes Jahr allein in Deutschland fünf Millionen Menschen an einer klinisch relevanten depressiven Episode. Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge wird die Depression die Diabetes bald als Volkskrankheit Nummer eins ablösen, jedenfalls in den reichen Ländern.

Entsprechend hoch ist der volkswirtschaftliche Schaden: Auf bis zu 22 Milliarden Euro im Jahr schätzt ihn der Versicherer Allianz hierzulande. Mit einberechnet sind nicht nur die Kosten für Behandlung und Arbeitsausfall. Depressive Mitarbeiter sind häufig unkonzentrierter, ängstlicher und weniger entscheidungsfreudig, kurz: unproduktiver als gesunde.

Etwa die Hälfte der Betroffenen in Deutschland nimmt professionelle Hilfe in Anspruch. Doch nur ein Fünftel davon erhält eine richtliniengerechte Behandlung, etwa eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie. Der Rest lässt sich vom Hausarzt trösten, schluckt Stimmungsaufheller, die zwar die Symptome lindern, aber keine Krankheit heilen können. Nach Angaben des Marktforschungsinstituts ISM Health setzt die Pharmaindustrie weltweit jährlich 16 Milliarden Euro mit Antidepressiva um.

Keine Therapeuten, sondern studierte Psychologen

Kati Bermbach, 24, arbeitet neben ihrem Studium in der psychiatrischen Abteilung der Berliner Charité. Sie sei dort unter anderem für die Absagen zuständig, erzählt sie, und wie nahe es ihr gehe, weinenden Müttern erklären zu müssen, warum ihr suizidgefährdetes Kind keinen Therapieplatz bekommt. Bermbach ist so etwas wie das Herz von Selfapy.

„Depressionen entstehen im Kopf. Nur da kann man sie auch stoppen.“
Therapie auf dem iPad

„Depressionen entstehen im Kopf. Nur da kann man sie auch stoppen.“

Der Kopf heißt Nora Blum, ebenfalls 24. Die beiden lernten sich in einem Sommerkurs an der Universität Cambridge kennen. Blum stammt aus einer Therapeutenfamilie, die Diskussion um die Versorgungslücke in Deutschland kennt sie schon aus ihrer Kindheit. Nach dem Studium ging sie für zwei Jahre zu Rocket Internet. In der Start-up-Fabrik von Oliver Samwer, der von sich selbst sagt: „Burn-out ist nicht so mein Ding“, habe sie lernen wollen, wie man ein Unternehmen aufbaut, um dann mit Selfapy durchzustarten.

Unterdessen wälzte Bermbach Bücher und interviewte Dutzende Kollegen aus der Praxis, um die Übungen für ihren Kurs zusammenzustellen. Einen wissenschaftlichen Standard gibt es nicht. Onlinetherapie ist in Deutschland nicht anerkannt, es besteht keine Haftung. Erste Forschungen, etwa von der Freien Universität Berlin, zeigen, dass solche Ansätze wirksam sein können – auch wenn viele Psychologen noch daran zweifeln, dass eine Therapie ohne persönlichen Kontakt funktioniert.

Investoren sind interessiert

Bei Selfapy können die Teilnehmer einmal pro Woche ein bis zu 45-minütiges Gespräch mit einem Menschen führen. Keinem Therapeuten, das wäre zu teuer, sondern studierten Psychologen, die sich in der vierjährigen Ausbildung zum Praktiker befinden, und sich zehn Euro pro Stunde dazuverdienen wollen. Insgesamt geht der Kurs über neun Wochen und soll 500 Euro kosten.

Momentan befinden sie sich in der Testphase, an der 90 Patienten teilnehmen. In den nächsten Wochen will die Sigmund-Freud-Universität in Wien eine Wirksamkeitsstudie starten. Das sei wichtig, um den Kurs ein medizinisches Produkt nennen zu dürfen, sagt Blum. Dann könnten theoretisch auch die Krankenkassen die Kosten übernehmen. Man sei bereits mit einigen Instituten im Gespräch.

Tatsächlich sind die Versicherer schon lange an dem Thema interessiert. Eine Therapie kostet die Kassen im Durchschnitt 6 000 Euro, und jeder Versicherte, der seine Depression nicht behandeln lässt, riskiert, dass sie chronisch wird – und noch mehr kostet.

Weitere Start-ups auf dem Gebiet

Bei solchen Zahlen werden auch Investoren neugierig. „Ich bin seit über zwei Jahren auf der Suche nach einem Start-up, das eine Lösung für das Thema Depression anbietet“, sagt Guido Hegener, Managing Partner bei Digital Health Ventures. Das Potenzial sei riesig, er würde sich sehr wundern, wenn Selfapy kein Kapital bekäme.

Umso erfreulicher sei es, dass sich gerade auch noch andere Start-ups auf den Markt wagen. MeinSigmund etwa, oder Moodpath, das Start-up von Felix Frauendorf und Mark Goering. Anders als Selfapy konzentriert sich Moodpath auf die Depressionsdiagnose und die Zusammenarbeit mit den Therapeuten. Zwar soll die App auch Achtsamkeitsübungen für leidende Patienten enthalten, die Therapie aber will der Psychologe Goering lieber den Experten in der realen Welt überlassen.

Nora Blum und Kati Bermbach hingegen glauben daran, dass Depressionen eines Tages auch im Internet geheilt werden können – wenn auch nur bei Patienten, die willens und in der Lage sind, die Übungen täglich zu praktizieren. Ein Tagesprotokoll zu führen etwa, um herauszufinden, ob wirklich alles im Leben schlecht ist, und welche Aktivitäten die Negativspirale umkehren können. „Eine Depression beginnt im Kopf“, sagt Bermbach. „Und da kann man sie auch stoppen.“

Ein erstes kleines Investment haben sie schon, von den Mavericks Founders, dem Company-Builder der Gründer der Hotel-App Conichi, die ihnen Büroraum und Programmierer zur Verfügung gestellt haben. Gerade sind sie dabei, die erste große Finanzierungsrunde abzuschließen. Mit dem Kapital wollen sie ihren Kurs weiter ausbauen – und sich dann weiteren Krankheitsbildern widmen. Angststörung, Essstörung, es gibt noch viel zu tun. In den USA würden ständig neue Störungen diagnostiziert, sagt Nora Blum. Die Internet-Abhängigkeit zum Beispiel.

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