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Die neuen Gründer – Wirkaufendeinenflug.de Der Schrecken der Lüfte

400 Euro für einen verspäteten Flug? Wer dem Hamburger Start-up Wirkaufendeinenflug.de seine Ersatzansprüche abtritt, erhält umgehend Bares. Inkasso mit Algorithmus, das die Fluggesellschaften unter Druck setzt.
16.04.2016 - 17:36 Uhr
Bei ausgefallenen Kurzstreckenflügen winkt eine Entschädigung von 250 Euro. Quelle: Pressefoto
App von Wirkaufendeinenflug.de

Bei ausgefallenen Kurzstreckenflügen winkt eine Entschädigung von 250 Euro.

(Foto: Pressefoto)

Hamburg Vier Jahre lang verklagte ein Fluggast die Airline von Thomas Cook auf Entschädigung, schließlich hatte sie ihn beim Abflug aus Kuba 22 Stunden lang warten lassen. Doch die Reisefirma weigerte sich hartnäckig. Selbst eine gerichtliche Zahlungsaufforderung schlug sie in den Wind. Erst als ein Gerichtsvollzieher auf dem Flughafen Salzburg drohte, ein Flugzeug der Gesellschaft auf dem Rollfeld zu pfänden, bekam der Kläger die verlangten 600 Euro. Und das auch nur, weil der Flughafen die Summe vorstreckte, um Behinderungen zu vermeiden.

Glaubt man Verbraucherschützern und Internetforen, engagieren manche Fluggesellschaften inzwischen ganze Anwaltskanzleien, um Entschädigungszahlungen zu verhindern oder zu verzögern. Jedes Jahr fallen in Deutschland aufgrund von Flugverspätungen Ansprüche in Höhe von mehr als 650 Millionen Euro an. Experten zufolge aber werden nur fünf Prozent durchgesetzt.

Seit Mitte Februar versucht ein Start-up aus Hamburg, den Widerstand der Airlines zu brechen – mit einem ausgeklügelten Geschäftsmodell. In den ersten zwei Monaten nach dem Start lockte es nicht weniger als 4000 Kunden an.

„Wirkaufendeinenflug.de“ haben die Gründer ihre Firma getauft, und der Name ist Programm. Wer den Hamburgern sein durch Flugverspätung erworbenes Entschädigungsrecht abtritt, erhält dafür umgehend Bares – ein Vorgang, den Finanzexperten als „Factoring“ bezeichnen.

Je höher das Risiko, desto weniger Geld

„Bis zu 400 Euro in 48 Stunden für Flugverspätung“, verspricht das Werbeschild, das die Mannschaft um Geschäftsführer Konstantin Loebner im Büroeingang postiert hat. Das Start-up hat ein Erdgeschossbüro in einem Hamburger Hinterhaus bezogen, wenige Schritte entfernt vom Gänsemarkt. Als Ein- und Ausgang dient eine Verandatür, Besprechungen finden auf einem langen Sofa statt.

Jura-Studium geschmissen, Start-up gegründet. Quelle: Pressefoto
Geschäftsführer Konstantin Loebner

Jura-Studium geschmissen, Start-up gegründet.

(Foto: Pressefoto)

Es herrscht Betriebsamkeit. Bis zu 20 Mitarbeiter überprüfen vor ihren Computern die eingehenden Entschädigungsansprüche, unterstützt durch ein eigens entwickeltes IT-Programm, das eine Bewertung der verspäteten Flüge erlaubt. Sind die notwendigen Kriterien erfüllt und hat der Kunde schriftlich eingewilligt, folgt der Vorgang einem geregelten Lauf: Der verärgerte Fluggast erhält sein Geld, während der Rechtsstreit an den verbundenen Anwalt Jens Blaffert weitergereicht wird, einen Experten für Fluggastrechte. „Nach zwei bis drei Monaten hat die Kanzlei für uns das Geld zurückgeklagt“, sagt Loebner.

Die Bearbeitungsgebühr, die das Start-up dem Kunden berechnet, orientiert sich am Risiko. Wer den Höchstanspruch auf 600 Euro besitzt, kann bei Wirkaufendeinenflug.de maximal auf 400 Euro Auszahlung hoffen. Mit dem Differenzbetrag trägt das Start-up nicht nur die eigenen Kosten – auch die von den Airlines zurückgewiesenen Ansprüche gilt es auszugleichen. „Das Risiko gibt es immer“, sagt der erst 23-jährige Geschäftsführer, der sein Jurastudium geschmissen hat, um in der Start-up-Szene zu arbeiten.

Unterstützung für Fluggäste

Bevor sie einen Auftrag annehmen, checken seine Mitarbeiter umfangreiche Datenbanken, in denen Flugverspätungen und die Ursache dafür dokumentiert werden. Entschädigungen sind erst zu zahlen, wenn der Flug mindestens drei Stunden verspätet gestartet oder ganz ausgefallen ist – aber auch nur, wenn der Fluggesellschaft die Schuld dafür angelastet werden kann. Das ist etwa der Fall, wenn es technische Probleme gab, der Flug überbucht war oder die Startfreigabe verspätet erteilt wurde. Auf 250 Euro Entschädigung dürfen Kurzstreckenflieger hoffen, 600 Euro erwarten sie auf der Langstrecke. Kein Geld gibt es hingegen, falls ein Unwetter, Streik oder höhere Gewalt im Spiel waren. Oder wenn der Flug bei einer außereuropäischen Airline gebucht wurde, die nicht in der EU startete.

Dass Klaus Peter Siegloch, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, solche Passagierrechte für übertrieben hält, ist aus Sicht der Flugbranche nachvollziehbar. Es könne doch nicht angehen, kritisiert er, „dass jemand 50 Euro für ein Ticket zahlt und bei einer Verspätung dann einen Schadensersatzanspruch von bis zu 250 Euro besitzt“.

Nachdem der Europäische Gerichtshof 2009 und 2012 für Rechtssicherheit sorgte, sind mit Flightright und Fairplane die ersten deutschen Inkasso-Anbieter auf den Markt gegangen. Sie unterstützen seither verspätete Fluggäste bei ihren Entschädigungsforderungen – so auch im Salzburger Fall von Thomas Cook – und verlangen rund 25 Prozent des Streitwerts, falls die Forderung erfolgreich ist.

Die Konkurrenz schläft nicht

Neu dagegen ist der Sofortankauf von Forderungen, wie ihn Wirkaufendeinenflug.de anbietet. Die Hamburger haben aber auch schon Konkurrenz. Fast zeitgleich startete ein 20-jähriger Jurastudent einen ähnlichen Dienst unter dem Firmennamen Compensation2Go, in Gadebusch bei Schwerin bietet seit wenigen Wochen EU-Flight ebenfalls den Sofortankauf von Forderungen an. Auch der Inkassohelfer Flightright hat sein Angebot erweitert. Der Factoring-Zweig des Potsdamer Start-ups firmiert seit kurzem unter der Marke „Flightcash“. Helfen dürfte Wirkaufendeinenflug.de, dass die Firma einen Start-up-erfahrenen Investor besitzt. Sebastian Diemer, der die Firma im Dezember gründete, war zuvor Chef des Online-Kreditgebers Kreditech gewesen.

Das international operierende Finanzunternehmen, das mit 300 Millionen Euro finanziert wurde und 200 Mitarbeiter beschäftigt, dient dem 29-Jährigen als Blaupause – zumindest was das Scoring betrifft: Während Kreditech Kreditnehmer-Daten aus dem Internet nutzt, um ihre Bonität zu bewerten, ermittelt Wirkaufendeinenflug.de aus Onlinedatenbanken die Wahrscheinlichkeit einer Flugentschädigung. Der Algorithmus wurde von einem ehemaligen Kreditech-Angestellten programmiert.

Falls sich auch Investoren an Kreditech ein Vorbild nehmen, dürfte das Kapital schnell zu finden sein. Dort stiegen zuletzt die New Yorker Private-Equity-Gesellschaft J.C. Flowers, der deutschstämmige Star-Investor Peter Thiel und die britische Venture-Capital-Gesellschaft Amadeus ein.

Auch bei Wirkaufendeinenflug.de ist man mit Venture-Investoren im Gespräch, wie Geschäftsführer Loebner berichtet. Der Einstieg sei aber eher etwas für private Investoren, sagt er, die nicht auf große Übernahmen spekulieren. Für seine Firma spreche eher, dass sie mal eine gute Dividende abwerfen könne. Wenn sie denn mal Gewinn macht.

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