Afghanisches Unterhaltungsunternehmen Dieser Unternehmer steht für all das, was die Taliban nicht wollen – und nun vor dem Aus

Nach dem 11. September 2001 investierte er gemeinsam mit seinen Brüdern in sein Heimatland.
Bangkok Es ist kein Zufall, dass Saad Mohseni der Erste ist, der die schlechten Nachrichten überbringt. In Afghanistan gibt es kaum jemanden, der in der Elite des Landes so gut vernetzt ist wie der 55-jährige Medienunternehmer – die engen Kontakte des einflussreichen Managers zu Botschaftern, Parlamentariern und der Spitze des Präsidentenpalastes gelten in Kabul als legendär.
Vor anderthalb Wochen – die Taliban sind zu dem Zeitpunkt bis zum Stadtrand vorgerückt – erfährt Mohseni von seinen Informanten, dass sich das bisherige Staatsoberhaupt Aschraf Ghani heimlich ins Ausland abgesetzt hat. Mohsenis Sender Tolo News setzt die Nachricht um kurz vor 18 Uhr als Eilmeldung ab.
Binnen weniger Stunden lässt die Meldung das gesamte politische System des Landes kollabieren: Für Soldaten, Polizisten und Beamte ist Ghanis Flucht das Signal, die Uniformen auszuziehen und ihre Posten ebenfalls zu verlassen.
Die Taliban können daraufhin die Hauptstadt kampflos einnehmen. Ihre Herrschaft bedroht nun Mohsenis Lebenswerk: „Wir stehen vor einer existenziellen Gefahr“, sagt der Unternehmer, der sich seit Ende Juli in London aufhält, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Sein Medienkonzern, die Moby Group, steht für alles, was die radikalen Islamisten nicht leiden können: für Seifenopern mit leicht bekleideten Frauen, Popmusik und investigativen Journalismus – bei dem es auch selbstverständlich ist, dass weibliche Reporter die politische Führung mit kritischen Fragen konfrontieren.
Doch das Erfolgsrezept der vergangenen zwei Jahrzehnte, das Moby zum klaren Marktführer machte, steht nun vor dem Aus: „Die Taliban mögen keine Musik, keine Frauen ohne Gesichtsverschleierung, und sie sind auch nicht gerade bekannt dafür, dass sie mit Kritik gut umgehen können“, sagt Mohseni – eine diplomatische Beschreibung der Extremistengruppe, die ihre Gegner in der Vergangenheit brutal verfolgte. „Für uns ist nun womöglich das Ende als Unternehmen mit Sitz in Afghanistan gekommen“, fügt der Moby-Gründer hinzu.
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Es wäre nicht das erste Mal, dass die Weltpolitik sein Leben in eine völlig neue Richtung lenkt. Mohseni ist das älteste von vier Kindern einer afghanischen Diplomatenfamilie. Er kam in London zur Welt, wo sein Vater damals arbeitete. Bis zum Teenageralter verbrachte er fast die Hälfte seines Lebens außerhalb Afghanistans.
Als Ende 1979 die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte, befand sich die Familie in Japan – Mohsenis Vater war dort stellvertretender Botschafter. Angesichts der politischen Turbulenzen hielt der Diplomat eine Rückkehr nach Kabul für unklug und bemühte sich deshalb um Asyl für seine Familie in Australien. Das Land wurde für die Familie zur neuen Heimat.
9/11 als Wendepunkt für Mohseni
Der 11. September 2001 brachte das zweite historische Ereignis, das für Mohseni zur Zäsur wurde. Der damals Mitte 30-Jährige arbeitete im Management eines Finanzunternehmens – eine Position, die er ohne Studienabschluss erreicht hatte. Den Einsturz des New Yorker World Trade Centers sah er abends live im australischen Fernsehen.
Dass daraufhin die Amerikaner mit ihren Verbündeten in Afghanistan einmarschierten, eröffnete Mohseni ein Tor zurück in sein Herkunftsland. Kurz nach dem Fall des damaligen Taliban-Regimes entschloss er sich, gemeinsam mit seinen Brüdern in Afghanistan zu investieren. Mit finanzieller Unterstützung durch US-Entwicklungshelfer baute er den ersten privaten Radiosender des Landes auf – der erste Schritt auf dem Weg zu Afghanistans erfolgreichstem Medienmogul.
In den folgenden Jahren expandierte er im Fernsehgeschäft. Seine TV-Gruppe nannte er Tolo – der persische Ausdruck für „Sonnenaufgang“. Erzkonservative Muslime schockierte er mit der Ausstrahlung lustvoller indischer Bollywood-Dramen. Mit der Regierung legte er sich an, wenn seine Reporter Korruption kritisierten und Wahlfälschungsversuche beklagten.
Die Konflikte überstand er mithilfe der neuen Verfassung von 2004, die Meinungs- und Pressefreiheit garantierte. Doch die Zeit, in der ihm der Rechtsstaat Schutz bot, ist nun vorüber. „Es gibt für uns kein Sicherheitsnetz mehr“, sagt Mohseni.
Weniger nackte Haut im Programm
Noch sind seine Fernseh- und Radiostationen auf Sendung. In den Unterhaltungsprogrammen sei nun weniger nackte Haut zu sehen, um nicht unnötig zu provozieren, erklärt Mohseni. Ansonsten laufe die Arbeit derzeit einigermaßen ungestört.
Vergangene Woche bekam die Moby-Zentrale in Kabul zwar Besuch von Taliban-Kämpfern. Sie gaben sich aber zufrieden damit, Waffen der Sicherheitsleute einzusammeln. Einer Moderatorin von Mohsenis Nachrichtenkanal Tolo News gelang sogar ein historischer Scoop: Sie war die erste Frau, die live im afghanischen Fernsehen einen Taliban-Anführer interviewte.
„Mein Team ist unglaublich mutig“, sagt Mohseni über die rund 450 Mitarbeiter seines Unternehmens. Er ermahne seine Kollegen aber, vorsichtig zu bleiben. „Ich bin mir nicht sicher, wie lange uns die Taliban noch tolerieren werden.“

Nach ihrer Machtübernahme dürfte eine freie und unabhängige Berichterstattung nur noch sehr eingeschränkt möglich sein.
Mohseni rechnet damit, dass die Restriktionen für Medien deutlich zunehmen werden, sobald die Bildung einer neuen Regierung abgeschlossen ist und die Taliban ihre Macht gefestigt haben. Er sei zwar zu Kompromissen mit den neuen Machthabern bereit, aber nur bis zu einem gewissen Punkt: „Wir können keine Kompromisse machen, wenn es darum geht, die Wahrheit zu berichten – das gehört zu unserer DNA.“
Der Kreis könnte sich für Mohsenis Moby Group damit bald schließen: Das Unternehmen kam mit den internationalen Truppen ins Land und muss es womöglich mit dem Abzug der Soldaten auch wieder verlassen. Die These, dass der zwei Jahrzehnte lange Einsatz des Westens in Afghanistan komplett umsonst gewesen sei, teilt Mohseni aber nicht: „Es wurde in der Zeit zwar nur ein militärisches Patt erreicht“, sagt er. „Für uns Afghanen war dieses Patt aber kostbar.“ Es habe Mädchen erlaubt, in die Schule zu gehen, Wahlen ermöglicht und freie Medien hervorgebracht.
Seine Arbeit in dem Land beschreibt Mohseni als das Wichtigste, was er je im Leben gemacht habe. Komplett aufhören wolle er deshalb auch im schlimmsten Fall nicht. Wenn es in Afghanistan nicht mehr gehe, würde er aus dem Ausland weitersenden, sagt der Unternehmer.
Die Hoffnung auf eine Zukunft in Kabul scheint er aber nicht ganz verloren zu haben. Er wolle demnächst zurück nach Afghanistan reisen, um sich mit den Taliban-Anführern zu treffen. Gespräche dazu würden bereits laufen, sagt er. Ob er sich damit nicht in Gefahr bringe? Das Leben sei zu kurz für solche Sorgen, antwortet er. „Manche Risiken muss ich eben eingehen – besonders wenn die Chance besteht, Afghanistan damit zu helfen.“
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