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Bahn-Konkurrent im Interview Flix-Mobility-Chef Schwämmlein: „Niemand hat Lust umzusteigen“

Der Flix-Mobility-Chef kritisiert, dass viele Investitionen direkt in die Deutsche Bahn fließen und nicht ins Netz. Die Politik müsse andere Anreize für den Umstieg bieten.
30.08.2021 - 04:04 Uhr Kommentieren
Der Flix Mobility-CEO sieht im Bus einen Wachstumsmarkt. Quelle: dpa
André Schwämmlein

Der Flix Mobility-CEO sieht im Bus einen Wachstumsmarkt.

(Foto: dpa)

Frankfurt Wird André Schwämmlein auf den von der Politik und der Deutschen Bahn vorangetriebenen Deutschlandtakt - alle halbe Stunde eine Fernverbindung zwischen den großen Städten in Deutschland - angesprochen, hat der Mitgründer und Chef von Flix Mobility eine klare Meinung: „Kein Mensch braucht während des ganzen Tages einen 20-Minuten-Takt auf einer Fernverkehrsstrecke. Man muss das Angebot dann verdichten, wenn die Menschen fahren wollen.“ Das Umsteigen sei das, was die Menschen davon abhalte, Zug zu fahren.

Dennoch will auch Schwämmlein die Zukunft des Schienenverkehrs mitgestalten, auch innerhalb des Deutschlandtaktes: „Wir wollen den Deutschlandtakt mitgestalten, wir passen mit unseren Geschwindigkeiten mittlerweile auch in den Takt hinein“, sagt der Unternehmer. Große neue Trassen quer durch Deutschland sind dafür nicht nötig, ist Schwämmlein überzeugt: „80 Prozent der erforderlichen Kapazität kann man heben, wenn man Schienen, Weichen, Signale digitalisiert.“

Flix Mobility startete 2012 zunächst mit Fernbussen (Flixbus), später folgte mit Flixtrain ein Zugangebot. Das Unternehmen ist der größte private Konkurrent des Staatskonzerns Deutsche Bahn im Personenverkehr. Schon früh expandierte Flix Mobility ins Ausland. Ein wichtiger Busmarkt ist zum Beispiel die Türkei, wo Flixmobility unter der Marke Kâmil Koç aktiv ist.

Das Auslandsgeschäft will Schwämmlein weiter ausbauen. Zum Jahresende soll Flixbus in Brasilien starten. „Es ist ein gigantischer Markt, der alleine so groß ist wie der in ganz Europa“, sagt der Unternehmer. Auch in den USA habe man Marktanteile dazugewinnen können. Noch spüre man die Pandemie, aber die Nachfrage ziehe überall wieder an, so Schwämmlein.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Schwämmlein. Viele Menschen sind geimpft, wie läuft das Geschäft bei Ihren Bahnen und Bussen?
Wir merken, dass die Reiselust zurückkommt, sogar etwas mehr als im vergangenen Sommer. Aber es ist immer noch Corona, die Nachfrage ist noch nicht da, wo sie vorher war.

Kam der schnelle Ausbau des Angebots also zu früh?
Nein, die zusätzlichen Angebote werden gut angenommen. Wir gehen kontrolliert in die Offensive. Der Hochlauf hat insgesamt sehr gut geklappt, auch wenn es hier und da natürlich etwas ruckelt. Das ist normal. Und mit dem Hochwasser, den Hitzewellen und jetzt den Bahnstreiks haben wir ja auch gleich das volle Programm der operativen Herausforderungen erlebt. Aber in Summe gibt es bisher keine großen Probleme.

Ihr Versuch, mit einem Nachtzug ohne Liegewagen von Hamburg nach München zu starten, zeigt erste Erfolge?
Wir sehen eine Nachfrage zusätzlich zu unserem Bus, den wir auf der Strecke auch fahren lassen. Wir erreichen also neue Kundengruppen. Es gibt eine Nachfrage nach Nachtzügen ohne Liegewagen. Nachtzüge sind aber ein schwieriges Geschäft. Bisher können das alle anderen Unternehmen nur mithilfe von Subventionen anbieten, wenn überhaupt. Wir wollen zu den wenigen gehören, die es ohne schaffen.

„Die Schiene ist nicht das Allheilmittel“

Kurzer Abstecher zum Bus: Sie wollen die Öffnung des Markts in Brasilien nutzen und dort starten. Liegen Sie im Plan?
Wir sind dabei, uns technologisch an den lokalen Markt anzupassen. Man ist dort sehr an den Erfahrungen mit der Liberalisierung in Europa und Deutschland interessiert und fragt: Ist das gut fürs Produkt, was hat sich dadurch verändert, wie wirkt es auf die Bevölkerung? Wir können berichten, dass sich so eine Öffnung positiv auswirkt. Es entsteht ein gutes zusätzliches Angebot, das nachhaltig und günstig ist, und die Qualität steigt.

Warum ausgerechnet Brasilien?
Sehr viele der nationalen Bus-Märkte auf der Welt sind geschlossen, übrigens auch in Europa. Wettbewerb im Sinne der Fahrgäste findet dort gar nicht oder fast nicht statt. Sie sind von Monopolen oder Oligopolen geprägt. Brasilien agiert hier mittlerweile progressiver. Und es ist ein gigantischer Markt, der alleine so groß ist wie der in ganz Europa.

Gleichzeitig wollen Sie in den USA weiter expandieren. Konnten Sie dort von dem frühen Impffortschritt profitieren?
Wir sind dort mittlerweile größer, als wir es vor Covid waren. Das liegt aber nicht nur daran, dass der Markt schneller zurückgekommen ist. Wir haben auch Marktanteile von Wettbewerbern gewinnen können, die es nicht ganz so gut geschafft haben, das Geschäft wieder hochzufahren. Jetzt müssen wir schauen, was die Delta-Welle in den USA macht. Aber ich bin sehr zuversichtlich, einen echten Lockdown wird es dort wohl nicht mehr geben.

Wenn der Markt so stark ist, denken Sie in den USA auch an Zukäufe?
Im Moment wachsen wir in den USA sehr stark organisch. Wir schauen uns aber natürlich immer an, wie wir expandieren können, und wollen mittelfristig auch dort die Nummer eins sein.

Zurück zur Schiene: Sie gilt als ein zentraler Hebel, um die Klimaziele zu erreichen. Kann dieses Verkehrsmittel das, was man von ihm erwartet, überhaupt erfüllen?
Ich bin überzeugt, dass die Schiene in einem Land wie Deutschland ein integraler Bestandteil der Mobilitätswende und damit des Klimaschutzes sein muss und kann. Hier und in einigen anderen Ländern Europas sind die Voraussetzungen dafür schwierig, aber die Chancen gut. Es geht um den Ausbau des kollektiven Verkehrs, dazu zählt auch der Bus. Wir müssen Anreize schaffen, damit die Menschen freiwillig nachhaltig reisen und aufs Fliegen oder das Auto gerne verzichten. Die Schiene ist aber nicht das Allheilmittel und wird nicht alleine eine grüne Mobilitätswende herbeiführen können – wie auch die DB das allein nicht schaffen wird. Mit Verlaub: Sie hat es in der Vergangenheit trotz massiver staatlicher Unterstützung noch nie geschafft, die Versprechungen zu erfüllen.

Aber besagte Deutsche Bahn soll im Personen- und Güterverkehr massiv wachsen. Flixtrain will auch expandieren. Wo bitte sollen all die Züge in Deutschland fahren? Das Netz ist schon an vielen Stellen überlastet.
Ich sehe die Situation nicht so negativ. Natürlich sind Investitionen in die Schiene nötig. Die müssen dann aber auch dort hineinfließen und nicht nur in die Deutsche Bahn. Insofern finde ich es gut, dass die EU-Kommission die geplante Eigenkapitalzuführung an die Bahn intensiv geprüft und die direkten Zahlungen deutlich gedeckelt hat. Denn das ist nicht die Lösung des Problems.

Sondern?
Man muss das System Schiene stützen, nicht ein einzelnes Unternehmen. Die Schiene ist in Deutschland physisch unterausgelastet, weil wir bei der Digitalisierung noch nicht so weit sind und deswegen nicht intelligent genug planen. Hinzu kommt: Man kann schon die Frage stellen, ob Projekte wie Stuttgart 21 oder auch die Schnellstrecke von München nach Berlin, wo je Richtung einmal in der Stunde ein Zug auf einer Milliardentrasse fährt, helfen, Engpässe zu beseitigen.

„Ein unabhängiger Netzbetreiber würde anders über Investments nachdenken“

Also wird in Ihren Augen falsch investiert - weil die Deutsche Bahn das Netz betreibt und ausbaut, es aber auch selbst nutzt?
Ich glaube, dass ein reiner und unabhängiger Netzbetreiber im Gegensatz zu einem Staatskonzern, der auch selbst Züge fährt, anders über seine Investments in das Netz nachdenken würde. Ich an seiner Stelle würde eine Entflechtung von Personen- und Güterverkehr vornehmen. Ich würde mich fragen: Welche Schnellfahrstrecken brauche ich wirklich? Ich bin davon überzeugt, dass ein separater Netzbetreiber besser funktionieren und dem System Schiene helfen würde.

Daraus höre ich , dass Sie von der nächsten Bundesregierung eine Bahnreform beziehungsweise die Trennung von Netz und Betrieb bei der Deutschen Bahn fordern?
Absolut. Die Beispiele, die gerne als Argument dagegen genannt werden, wie die Schweiz oder Frankreich, sind als Vergleich komplett ungeeignet. Frankreich hat eine andere Siedlungsstruktur, da konzentriert sich viel mehr auf einzelne Metropolregionen. In Deutschland gibt es deutlich mehr Großstädte und damit Zwischenhalte. In der Schweiz fließt sehr viel Steuergeld in das System. Die Effekte für den Modalsplit, also die Verlagerung von der Straße auf die Schiene, sind angesichts dieser Summen überschaubar. Wir müssen unseren eigenen Weg finden, der den strukturellen Besonderheiten in Deutschland Rechnung trägt.

Und das ist eine Zerschlagung des Bahn-Konzerns?
Das Bahnsystem in Deutschland muss smarter, pünktlicher und verbraucherfreundlicher werden. Wie schaffen wir das? Mit einem Staat, der Milliarden ins Netz steckt, nicht aber in ein Unternehmen. Ich verstehe schon, dass man nicht gleich morgen den Konzern aufsplitten will und kann. Aber es müssen die ersten Schritte der Entflechtung vorgenommen werden. Die Ausrede, dass das alles viel zu kompliziert sei, ist nämlich genau das: eine Ausrede. Ich glaube, eine klare Trennung von Netz und Betrieb auf der Governance-Seite, also bei der Führungsstruktur, ist schnell zu realisieren und unumgänglich, wenn man die Schiene stärken will. Das langfristige Ziel muss eine neutrale staatliche Infrastrukturgesellschaft sein, die nicht verpflichtet ist, Gewinne zu erzielen und abzuführen.

Das Unternehmen will mit seinen Bussen am Jahresende auch in Brasilien starten. Quelle: dpa
Bus von Flix Mobility

Das Unternehmen will mit seinen Bussen am Jahresende auch in Brasilien starten.

(Foto: dpa)

Die das Netz besser ertüchtigen kann als eine Deutsche Bahn?
Eine solche Gesellschaft wäre ein natürliches Monopol. Der Staat kann sich zudem immer günstiger refinanzieren als private Investoren, die da nichts verloren haben. Je näher wir diesem Ziel kommen, desto besser wird das für Wettbewerber und damit das Angebot und die Fahrgäste sein. Es würde anders investiert werden. Nehmen Sie die Hochgeschwindigkeitsstrecken in Frankreich. Die Trassenpreise sind so hoch, dass das prohibitiv ist. Das kann doch nicht die Lösung sein.

Mehr Wettbewerb – bedeutet das am Ende nicht nur, dass Verkehr von einem staatlichen Anbieter auf einen privaten Anbieter übergeht, ohne Gewinn für das Klima und die Verkehrswende?
Das wird immer behauptet, stimmt aber nicht. Die Liberalisierung des Fernbus-Marktes hat nicht wie befürchtet die Existenz der Deutschen Bahn gefährdet. Auch die Trennung von Netz und Betrieb ist nicht das Ende der Deutschen Bahn, es wird eine bessere DB werden. Wir nehmen niemandem etwas weg, wir haben aber die Chance, einen neuen Markt zu schaffen und mehr Menschen in die Züge zu bekommen. Am Ende würden FlixTrain und die Deutsche Bahn Fahrgäste hinzugewinnen, die Schiene als Ganzes profitiert.

Wenn man investiert. Wie soll der Ausbau gehen, wenn Planungs- und Genehmigungsverfahren Jahrzehnte dauern?
Noch mal: Das bestehende Netz ist unterausgelastet. 80 Prozent der erforderlichen Kapazität kann man heben, wenn man Schienen, Weichen, Signale digitalisiert. Dazu muss man keine neuen Trassen durch Deutschland ziehen.

Und das reicht, um den von der Politik und der Bahn versprochenen Deutschlandtakt ab dem Jahr 2030 realisieren zu können?
Es gibt Dinge, die mir beim Deutschlandtakt gefallen. Etwa der Ansatz, anders als bisher erst auf den Bedarf der Passagiere zu schauen und danach ausgerichtet die Infrastruktur zu schaffen. Aber ich halte es für eine Illusion, ein Netz in Deutschland auf Umsteiger auszulegen, wie es im Deutschlandtakt vorgesehen ist. Kein Mensch hat Lust umzusteigen. Das ist doch genau das, was die Menschen davon abhält, die Bahn zu nutzen.

Was brauchen wir dann?
Es muss ein attraktives Angebot auf möglichst vielen Verbindungen aufgebaut werden, und zwar Direktverbindungen zwischen den großen Ballungsräumen. Von dort kann man in die Fläche ausfasern und so der deutschen Struktur gerecht werden. Kein Mensch braucht während des ganzen Tages einen 20-Minuten-Takt auf einer Fernverkehrsstrecke. Man muss das Angebot dann verdichten, wenn die Menschen fahren wollen. Freitagnachmittag reisen viel mehr Menschen als Sonntagmorgen, das muss ein sinnvoller Deutschlandtakt berücksichtigen.

„Wir brauchen einen starken Schiedsrichter“

Angeblich haben sich im Verkehrsministerium jenseits der Bahn schon viele Interessenten für den Fernverkehr beim Deutschlandtakt gemeldet. Sind Sie dabei?
Wir sind bereit, viel zu investieren, auch um die Klimaziele zu erreichen. Und wir wollen den Deutschlandtakt mitgestalten, wir passen mit unseren Geschwindigkeiten mittlerweile auch in den Takt hinein. Wir machen jedem der Verantwortlichen bewusst, dass es kein reiner DB-Takt werden darf, sondern dass es da noch einen zweiten Anbieter gibt.

Haben Sie keine Bedenken, dass sie ausgebremst werden?
Wir finden es gut, dass die Schiene politischen Rückenwind hat, dass dort investiert wird. Wenn wir merken, dass das ganze diskriminierungsarm läuft und es starke Schiedsrichter wie die Monopolkommission, die Bundesnetzagentur, das Bundeskartellamt und die EU-Kommission gibt, wollen wir unseren Beitrag leisten. Diese starken Schiedsrichter braucht man aber, sonst kann man gegen einen Staatskonzern nicht bestehen.

Aber braucht so ein Deutschlandtakt nicht auch eine einheitliche Buchungs-App?
Natürlich gilt die Deutsche Bahn als das Schienenunternehmen schlechthin, der DB Navigator wird deshalb als die Plattform angesehen, die die allumfassende Schienenauskunft ist. Das liegt natürlich am generischen Namen bahn.de. Bahn ist kein Eigenname. Da ärgert es uns schon, dass sich die Bahn weigert, uns auf ihrer App zu verkaufen. Das geht rechtlich nicht, das Thema gehen wir auch an. Aber eine App für alles wird niemanden motivieren, nachhaltig zu reisen. Nur weil die App schöner und umfassender ist, werden nicht 30 Prozent mehr Menschen Bahn fahren. Die echte Arbeit ist die harte an der Infrastruktur und einem attraktiven Angebot.

Herr Schwämmlein, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Der Druck steigt: Forderungen nach einer Bahnreform mehren sich.

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